Monitor Nr. 607 vom 17.06.2010

Euro in Gefahr: Wie Deutschland die Euro-Krise befeuert

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Bericht: Markus Zeidler, Kim Otto

Euro in Gefahr: Wie Deutschland die Euro-Krise befeuert

Monitor 17.06.2010 07:38 Min. Verfügbar bis 17.07.2999 Das Erste

Moderation Sonia Seymour Mikich: "Und jetzt: Schuldenkrise und Sparpolitik. Da wird einem einiges von der Regierung eingebimst zurzeit, nämlich: "Zu dieser Politik gibt es keine Alternative". Oder: "Am Sparkurs führt kein Weg vorbei". Oder: "Wir leben über unsere Verhältnisse". Sätze, die falsch oder einfach lähmend sind. Markus Zeidler und Kim Otto werden in ihrem Bericht ein paar gängige Vorurteile umkrempeln. Die von den Schuldigen an der Euro-Krise und die vom richtigen Weg, aus der Misere wieder herauszukommen."

Guido Westerwelle: "Jetzt ist eine Zeit des Sparens angesagt."

Angela Merkel: "Wo können wir sparen?"

Guido Westerwelle: "Wir haben in den letzten Jahren über die eigenen Verhältnisse gelebt."

Haben wir wirklich über unsere Verhältnisse gelebt? Ist Sparen um jeden Preis der Ausweg aus der Krise? Oder sind Sparen und Lohnverzicht jetzt genau das Falsche?

Prof. Heiner Flassbeck, Chef-Ökonom UNCTAD: "Wenn wir jetzt alle massiv sparen und kürzen, wird es eine nächste und tiefere Rezession in Europa geben."

Portraitfoto von Prof. Peter Bofinger

Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser

Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser der Bundesregierung: "Ja, was jetzt beschlossen wurde in Berlin, steht ganz klar im Gegensatz zu dem, was der Euroraum an Wachstumsimpulsen benötigen würde."

Also doch nicht sparen? Eines ist sicher. Alex Vranesevic lebt bestimmt nicht über seine Verhältnisse. Und sparen, das ist für ihn seit Jahren Alltag. Von dem, was er verdient, bleibt immer weniger übrig."

Portraitfoto von Alex Vranesevic

Alex Vranesevic, Facharbeiter

Alex Vranesevic, Facharbeiter: "Ja, der Lohn ist schon gestiegen, aber dadurch, dass alles teurer ist, ist es eigentlich nicht besser geworden, sondern eher schlechter. Also man kann sich nicht mehr so viel leisten wie früher."

Dabei geht es ihm noch relativ gut. Er ist Facharbeiter, hat einen unbefristeten Vertrag. Sein Betrieb zahlt nach Tarif. Und die Maschinen, die er und seine Kollegen in Nürnberg bei der Firma ten Brink bauen, die werden in die ganze Welt exportiert. Die Firma lebt vom Export. Von Nürnberg in den Norden Griechenlands, nach Skydra. Auch hier produziert ten Brink, seit über 30 Jahren. Über all die Jahre hat sich das richtig gelohnt, wegen der niedrigeren Löhne für Christos Birlis und die anderen griechischen Kollegen. Doch was viele Jahre galt, gilt so nicht mehr, erfahren wir von seinem Chef in Deutschland. Und damit erfahren wir auch viel über die eigentlichen Ursachen der aktuellen Krise.

Portraitfoto von Sascha ten Brink

Sascha ten Brink, Unternehmer

Sascha ten Brink, Unternehmer: "Früher haben wir hauptsächlich von Griechenland exportiert, aufgrund der niedrigeren Lohnkosten. Und jetzt ist es so, dass wir mehr von Deutschland aus exportieren, was für uns einfach aufgrund der moderaten Lohnkostenentwicklung in Deutschland sinnvoller ist."

Eigentlich ja ganz gut für uns in Deutschland. Oder vielleicht doch nicht? Im griechischen Werk haben sich die Löhne von Birlis und seinen Kollegen in zehn Jahren zum Teil mehr als verdoppelt. Dadurch hat das Werk an Wettbewerbsfähigkeit eingebüßt. In Deutschland wird inzwischen teilweise günstiger produziert.

Reporter: "Haben Sie da Angst, dass die Deutschen irgendwann mal sagen, die Griechen, die brauchen wir nicht mehr?

Portraitfoto von Christos Birlis

Christos Birlis, Facharbeiter

Christos Birlis, Facharbeiter: "Ja, ja. Die Firma ist 30 Jahre hier. Vielleicht eines Tages sagen die, die brauchen wir nicht mehr die Griechen."

Arbeitsplatzangst in Griechenland als Folge der deutschen Lohnpolitik? Überall in der EU sind die Reallöhne in den Jahren vor dem Finanzcrash gestiegen, zum Teil deutlich. Nur in Deutschland nicht. Hier sind sie sogar gesunken. Wie noch mal klang das beim Vize-Kanzler?

Guido Westerwelle: "Wir haben in den letzten Jahren über die eigenen Verhältnisse gelebt."

Zurück in seine Wirklichkeit. Früher flog Alex Vranesevic oft zweimal im Jahr in Urlaub. Heute muss der Facharbeiter selbst beim Essen sparen. Längst kommt nur noch das Notwendigste in den Korb.

Alex Vranesevic, Facharbeiter: "Heutzutage bleibt einem nicht mehr viel Geld übrig am Ende des Monats. Man muss gucken, wo man spart."

Alltägliche Geldsorgen deutscher Arbeitnehmer. Für ihre Lohnzurückhaltung bekamen sie viel Lob von Unternehmern und Politikern. Doch international wächst die Kritik an diesem deutschen Modell: in Europa und bei den Vereinten Nationen.

Reporter: "Was hat der deutsche Facharbeiter mit der Krise zu tun?"

Portraitfoto von Prof. Heiner Flassbeck

Prof. Heiner Flassbeck, Chef-Ökonom UNCTAD

Prof. Heiner Flassbeck, Chef-Ökonom UNCTAD: "Ja, der hat sehr viel damit zu tun, weil er gezwungen wurde sozusagen, auf Lohnerhöhungen zu verzichten, die ja auch ihm geholfen hätten, die auch der deutschen Wirtschaft geholfen hätten, aber der Binnenwirtschaft geholfen hätten. Indem er seit über zehn Jahren gezwungen wurde, auf solche Lohnerhöhungen zu verzichten, hatte die deutsche Wirtschaft sehr einseitig auf den Export getrimmt. Der deutsche Exportanteil am Bruttoinlandsprodukt ist gestiegen von 30 auf 45 Prozent."

Auch Unternehmer ten Brink exportiert immer mehr Ware von Deutschland aus ins Ausland. Made in Germany. Früher konnten die europäischen Konkurrenten vielleicht bei der Qualität nicht immer mithalten, heute können sie es oft sogar bei den Preisen nicht mehr.

Prof. Heiner Flassbeck, Chef-Ökonom UNCTAD: "Und das bedeutet, dass wir natürlich, wenn wir billiger anbieten, dort einen unglaublichen Druck auf den Märkten veranstalten und dort viele Unternehmen bankrott gehen. Das ist im normalen Unternehmensverhältnis richtig und durchaus akzeptabel. Nur wenn es über Löhne läuft, wenn es über Lohndumping läuft, wenn es darüber läuft, dass Löhne, und in Deutschland war das so, unter Druck der Politik massiv niedrig gehalten werden, dann ist es nicht mehr akzeptabel."

Die deutschen Wettbewerbsvorteile ein Stück weit aufgeben, damit die Griechen, Portugiesen und Spanier besser mithalten können? Klingt zunächst absurd. Doch was, wenn der Süden weiter abstürzt? Dann kauft hier keiner mehr deutsche Autos. Dann braucht hier kein Betrieb mehr deutsche Maschinen, dann hat vor allem der Export-Weltmeister Deutschland ein Problem. Denn 60 Prozent unserer Waren gehen nach Europa.

Portraitfoto von Prof. Peter Bofinger

Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser

Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser der Bundesregierung: "Und wenn alle Länder in Europa in den letzten zehn Jahren Deutschland gespielt hätten, also über zehn Jahre hinweg ihre Löhne kaum erhöht hätten: über zehn Jahre ihre Nachfrage nicht erhöht hätten, dann wären unsere Exporte auch nicht gestiegen. Und dann wären in Europa die Lichter ausgegangen."

Ein in Deutschland wenig bekannter Blick auf die Euro-Krise. Der wirtschaftliche Verfall in Südeuropa, die Gefahr für unsere gemeinsame Währung. Auch Folge der deutschen Lohnpolitik der letzten Jahre. Das muss sich ändern, fordern jetzt die europäischen Nachbarn. In einem gemeinsamen Papier - unterzeichnet von den Finanzministern der Euro-Staaten. Darin heißt es:

"Es muss in allen Euro-Staaten gehandelt werden. (...) Länder mit hohem Leistungsbilanz-Überschuss [also Länder mit hohem Exportanteil, vor allem also Deutschland; die Redaktion] sind gefordert, die Binnen-Nachfrage zu stärken."

Die Binnen-Nachfrage in Deutschland stärken, um dem Euro zu retten. Das geht nur mit höheren Löhnen oder mit staatlichen Ausgaben. Und was erzählt und die deutsche Kanzlerin?

Portraitfoto von Angela Merkel

Angela Merkel

Angela Merkel: "Scheitert der Euro, dann scheitert Europa." "Wo können wir sparen?"

Sparen, sparen, sparen. Für die Binnen-Nachfrage ist das Gift. Für Alex Vranesevic bleibt es Alltag. Und das heißt, immer nur das Billigste, Fernsehen statt Kino, zu Fuß gehen statt mit dem Auto fahren. Alex Vranesevic und Millionen andere Arbeitnehmer werden die Binnen-Nachfrage also vorerst nicht ankurbeln können. Haben also die Recht, die gegen die Sozialkürzungen der Regierung auf die Straße gehen? Spart Deutschland ganz Europa immer tiefer in die Krise? Wer kann den Euro-Kollaps noch stoppen?

Prof. Peter Bofinger, Wirtschaftsweiser der Bundesregierung: "Das Land, das am meisten dazu beitragen kann, ist Deutschland. Wir haben noch eine vergleichsweise gute Schuldensituation und wir wären am ehesten in der Lage, vielleicht zusammen mit Niederlanden, Österreich und Finnland, dem Euroraum die Impulse zu geben, die er braucht, dass die Konsolidierung insgesamt erfolgreich ist."

Prof. Heiner Flassbeck, Chef-Ökonom UNCTAD: "Ich habe vor zehn Jahren die Krise in der Eurozone vorhergesagt. Ich mache jetzt die Vorhersage, dass diese Eurozone die nächsten fünf Jahre nicht überleben wird, wenn Deutschland nicht sofort sich diesem Problem widmet, seiner Bevölkerung erklärt, dass dieses Problem existiert und dafür sorgt, dass es beseitigt wird."

Stand: 24.02.2014, 11:43 Uhr

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