MONITOR Nr. 671 vom 15.01.2015

Schmutziger Deal: wie die Politik den Atomkonzernen zu Millionen-Klagen verhilft

Kommentieren [11]

Bericht: Jan Schmitt, Nikolaus Steiner

Schmutziger Deal: wie die Politik den Atomkonzernen zu Millionen-Klagen verhilft

Monitor 15.01.2015 06:27 Min. Verfügbar bis 15.01.2099 Das Erste

Georg Restle: „Seit ein paar Wochen steht es fest: Rund 900 Millionen Euro fordern die deutschen Atomkonzerne von Bund und Ländern. 900 Millionen als Schadenersatz wegen der vorübergehenden Stilllegung von Atomkraftwerken nach dem atomaren Gau von Fukushima. Dies allein ist kein Skandal. Das, was wir Ihnen jetzt zeigen, allerdings schon. Denn offenbar haben Regierungsvertreter auf Bundes- und Landesebene kräftig mitgeholfen, dass diese Klagen überhaupt möglich wurden. Und das nicht aus Dummheit, sondern aus engster Verbundenheit. Recherchen von Jan Schmitt und Nikolaus Steiner.”

Das ist die Geschichte einer beispiellosen Absprache zwischen Spitzenpolitikern und Konzernbossen auf Kosten der Steuerzahler. Und es ist die Geschichte eines Briefes, der uns alle hunderte Millionen Euro kosten könnte. Bonn Dezember 2014: Hier, beim Landgericht Bonn geht kurz vor Jahreswechsel die Klage des Energieversorgungsunternehmens EnBW ein. Es ist die dritte Klage dieser Art. Insgesamt fordern die Atomkonzerne RWE, E.ON und EnBW von Bund und Ländern rund 882 Millionen Euro Schadenersatz.

Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), Atompolitische Sprecherin: „Die Atomkraft war für die Energiekonzerne ein Riesengeschäft, Milliardengewinne über Jahrzehnte. Und jetzt, nachdem klar ist, dass die Atomkraft, der Nutzen aus dem Stromverkauf ein Auslaufmodell ist, dass das zu Ende geht, versuchen sie noch einmal über Klagen dem Steuerzahler Millionen - wenn nicht Milliarden - abzunehmen.“

Rückblende: März 2011. Eine gigantische Flutwelle zerstört das Kernkraftwerk Fukushima, in drei Reaktoren kommt es zur Kernschmelze. Der Gau ist da. Es ist die Macht dieser Bilder, die die Politik zum Umdenken zwingt. Die gerade erst von Schwarz-Gelb beschlossene Laufzeitverlängerung für deutsche Atommeiler wird infrage gestellt, stattdessen soll ihre Sicherheit überprüft werden und die sieben ältesten Kernkraftwerke gehen vom Netz.

Angela Merkel (14.03.2011): „Dies ist ein Moratorium. Und dieses Moratorium gilt für drei Monate.“

Betroffen vom Moratorium unter anderem der Altreaktor Biblis B. Betreiber RWE fährt ihn aber auch nach dem Moratorium nicht wieder hoch, obwohl er das eigentlich durfte. Trotzdem klagt RWE auch für diese Zeit auf Schadenersatz. Und genauso machen es auch die anderen Energiekonzerne. Insgesamt wollen sie also 882 Millionen Euro vom Staat. Warum aber wurden die Atomkraftwerke nicht einfach wieder hochgefahren? In ihren Klageschriften, die MONITOR vorliegen, dient den Energiekonzernen dafür ein Brief als zentrales Argument. Er stammt vom Hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier, und er könnte Gold wert sein. Volker Bouffier schreibt an den Chef von RWE. Er warnt davor, das Kernkraftwerk Biblis B nach dem Moratorium wieder hochzufahren. Ansonsten werde

Zitat: „die hessische Atomaufsicht (…) dagegen vorgehen“.

Klingt wie eine klare Drohung an die Atomkonzerne. Für Atomrechtsexperten hat Bouffier ihnen damit aber eindeutig in die Hände gespielt.

Prof. Joachim Wieland, Universität Speyer: „Ministerpräsident Bouffier hat mit seinem Brief, in dem er angedroht hat, dass beim Wiederanfahren der Kernkraftwerke eine einstweilige Anordnung ergehen würde, die Grundlage für die heutige Schadensersatzklage der Kernkraftwerksbetreiber geschaffen. Diese Klage kann dazu führen, dass der Steuerzahler erhebliche Beträge als Schadensersatz an die Kraftwerksbestrieber zahlen muss.“

Wollte Volker Bouffier den Kraftwerksbetreibern mit seinem Brief also eine Klagemöglichkeit auf Schadenersatz verschaffen? Er lässt uns mitteilen, dieser Vorwurf sei abwegig. Wirklich? Wir recherchieren weiter. Und bekommen bisher geheime Dokumente zugespielt. Dokumente, die es in sich haben. Denn - es gab noch einen anderen Brief. Geschrieben von dem damaligen RWE-Chef Jürgen Großmann. Er ist bestens vernetzt bis in die Spitzenpolitik. Genau eine Woche vor dem Schreiben des hessischen Ministerpräsidenten schreibt der RWE-Chef ihm:

Zitat: „Lieber Herr Bouffier, der 15. Juni und damit der Tag, an dem wir Biblis B wieder anfahren könnten, rückt näher. Herr Minister Pofalla sagte mir zu, mir bis dorthin wieder einen schriftlichen Bescheid zu geben, dass Sie ein eventuelles Anfahren verhindern werden. Wann können wir mit diesem Schreiben rechnen?“

Für Biblis B heißt das: RWE lässt sich eine Begründung schreiben, warum man das alte Kernkraftwerk nicht wieder hochfahren muss. Und fordert heute den ausgefallenen Gewinn als Schadenersatz zurück.

Sylvia Kotting-Uhl (Bündnis 90/Die Grünen), Atompolitische Sprecherin: „Ein Brief, in dem sich Herr Großmann bei einem Ministerpräsidenten eine Drohnung bestellt, damit er seine Atomkraftwerker nicht wieder anfahren muss. Auf ganz freundschaftlicher Basis. Diese Nähe zwischen Politik und einem großen Energiekonzern, um den Steuerzahler am Ende um sein Geld zu bringen. Weil dieser Brief eine Berechtigung zur Klage schafft. Das ist unglaublich empörend!“

Eine Absprache, die den Steuerzahler hunderte Millionen kosten könnte, eingestielt hier im Kanzleramt - unter der Federführung des Kanzleramtsministers persönlich, Ronald Pofalla. Und auch der damalige Umweltminister Norbert Röttgen war in Kenntnis gesetzt.

Prof. Wolfgang Renneberg, ehem. Abteilungsleiter Reaktorsicherheit Bundesumweltministerium:„Ein solcher Vorgang hat mit Rechtstaatlichkeit nichts mehr zu tun, das ist einfach eine Umgehung von Rechtstaatlichkeit. Es ist nicht nur ... für mich ist es nicht nur ein Thema, wo es hier um Schadenersatz geht. Hier geht’s eigentlich um Glaubwürdigkeit von Repräsentanten die gewählt sind. Und die letztliche Millionen Steuergelder verkaufen.“

Ronald Pofalla verdient heute sein Geld bei der Deutschen Bahn. Deswegen will er keine unserer Fragen beantworten. Auch Norbert Röttgen und sein damals mit verantwortlicher Abteilungsleiter Gerald Hennenhöfer möchten das nicht. Die beiden wollen nun gemeinsam eine Anwaltskanzlei eröffnen. Und wer weiß, vielleicht vertreten sie ja demnächst die Atomkonzerne gegen uns alle.

Georg Restle: „Nur zur Erinnerung. Volker Bouffier ist heute Chef einer Schwarz-Grünen Regierung in Hessen. Nicht nur wir sind gespannt, wie der grüne Koalitionspartner auf unsere Enthüllungen reagiert.“

Stand: 13.01.2015, 15:26 Uhr

Kommentare zum Thema

Kommentar schreiben

Unsere Netiquette

*Pflichtfelder

Die Kommentartexte sind auf 1.000 Zeichen beschränkt!

11 Kommentare

  • 11 Andras 15.11.2015, 12:44 Uhr

    Sollen sie die 900 Mio bekommen, dafier aber dann die Gesamtkosten der Atommüllentsorgung / Einlagerung übernehmen....

  • 10 das geht gar nicht! 05.02.2015, 22:39 Uhr

    Und das bei den "sogenannten" Grünen bei uns in Hessen. Hätte ich nicht geglaubt, dass die Grünen zuarbeiten die Aufklärung verhindern. Als Wähler habt ihr mich gesehen... Tschüss!

  • 9 Anonym 02.02.2015, 10:37 Uhr

    Hallo, ich habe mir gerade in der Mediathek den Bericht über die drohende Schadensersatzklage des Energieunternehmens RWE angeguckt. Das ist schon dreist und sehr traurig zugleich. Ich sag mal so: Das ist ja -wie im Beitrag angeklungen- nicht "sehr rechtstaatlich", gerade zu erpresserisch von RWE... Naja und dann besitzt RWE die Frechheit und Dummheit, Schadenersatz zu fordern, Also gehts noch. Können die sich hier alles erlauben???. Es wäre doch nur recht für die ganze Gesellschaft, den Schadensersatz nicht zu zahlen, wenn schon die Klage "rechtswiedrig" ist/war. Oder? Also ich falle hier gleich vom Glauben ab. Sind wir hier bei "Wünsch Dir was?". Und die deutsche Bevölkerung nimmt das alles kommentarlos hin. Oh Gott. Wo sind wir nur reinreraten? Korruption und Vetternwirtschaft !!

  • 8 Rainer Proksch 24.01.2015, 19:10 Uhr

    Ich habe lange Jahre als Consultant und Claimmanager gearbeitet, u.a. auch an Claims gegen RWE. In meinem Beruf gibt es auch den Begriff der Claimvermeidung, also Ausschöpfung aller Präventiv-Maßnahmen zur Claimverhütung. Wenn Angela Merkel nebst deren Ministerien beim damaligen Moratium in 2011 auch gleich auf die Atomkonzerne zugegangen wäre und einen Ausgleich angeboten hätte, wäre es vielleicht gar nicht zu weiteren Schadenersatzforderungen gekommen. Es hat sich immerhin um einen politischen Eingriff in Wirtschaftsunternehmen gehandelt.

  • 7 Peter Schmid 16.01.2015, 16:52 Uhr

    Verbrechen in dieser Grösse, begangen von kriminellen "Volksvertretern" werden in Deutschland nicht geahndet ? So schlimm waren ja nicht einmal die DDR-Lumpen in der Regierung.

  • 6 dot 16.01.2015, 09:59 Uhr

    Manchmal wundert man sich ja. Konzerne sollen doch immer alles für Profite tun. Nun haben sie offensichtlich auf Profit verzichtet, um ihn lieber langwierig einzuklagen. Das klingt erst mal nach einer sehr umständlichen Art, auf Null zu kommen. Aber Monitor kann mir das bestimmt erläutern, oder mir zumindest das Wort SKANDAL ein paar mal ins Gesicht schreien, bis ichs glaub.

  • 5 Fjord Springer 16.01.2015, 09:40 Uhr

    Wie dumm, ignorant und gleichgültig können Menschen nur sein? Und damit meine ich nicht die üblichen Verdächtigen wie Großmann, Bouffier, Pofalla und all die anderen - ja, wie sag ich's jetzt ohne moderiert zu werden? - Betrüger. Ich meine uns, die Menschen im Land, die schweigende Mehrheit, die es zulässt, dass diese Leute "ihre Geschäfte" machen und damit dem Land und dem Volk nachhaltig größten Schaden zufügen. Ist es nicht langsam an der Zeit, gegen diese Leute aufzustehen und ihnen in ihre Suppen zu spucken? Diese Raubzüge, und nichts anderes ist dieses Verhalten, werden dereinst, wenn das System an sich selbst erstickt und die Demokratie im Orkus entsorgt sein wird, in die Geschichtsbücher eingehen. Aber vielleicht braucht es doch erst wieder ein noch nie da gewesenes Schlüsselerlebnis, bspw. ein GaU mitten in Europa, bevor diese Leute auf der Anklagebank sitzen und die Konsequenzen für ihr Handeln tragen müssen.

  • 4 Rudi Gruber 16.01.2015, 09:40 Uhr

    Der Verbraucher könnte darauf eine relativ einfache Antwort geben und als Stromverbraucher diesen Kernkraft-Konzernen konsequent den Rücken kehren! Idealerweise durch einen Wechsel zu Anbietern, die sich konsequent zum Umstieg auf sichere und umweltfreundlichen Alternativen einsetzen! Wer immer noch meint, dass Kernenergie günstige Energie sichert, sollte dringend die Augen öffnen uns sich angsichts solcher Fakten dringend Gedanken machen! Ich bin mir sicher, das dicke Ende kommt erst noch - von der Sicherheitsfrage und der Entsorgung des Atommülls mal ganz abgesehen!

  • 3 Naumann 16.01.2015, 08:07 Uhr

    Hallo Monitor, schon für diese eine Recherche hätten sich die Rundfunkgebühren für uns gelohnt, wenn sie dranbleiben und helfen das uns Steuerzahler diese 900 Millionen Euro erspart bleiben und der genannte verantwortlicher CDU Minister für dieses kriminelle Vorgehen seinen Rücktritt erklärt! Danke!

  • 2 Thomas Raßmann 15.01.2015, 22:43 Uhr

    Herzlichen Dank für die Recherche an Monitor. Maßlos enttäuscht und entsetzt. Für mich dennoch nichts Neues. Ich werde unsanft an Karl Marx erinnert. Staatsmonopolistischer Kapitalismus in Reinkultur. Mich ekeln diese Polittypen an. Hoffentlich kommt der Untersuchungsausschuss zustande.

  • 1 Revoluzzer2000 15.01.2015, 18:31 Uhr

    "Spitzenpolitiker haben ... dabei geholfen, ... Schadenersatzforderungen zu stellen." Wie hätte es auch anders sein können? Politiker haben offenbar nur ein Ziel, den Steuerzahler immerwährend zur Kasse zu bitten. Da es sich hierbei um "Spitzenpolitiker" handeln soll, kann man sich ja denken, aus welchen Parteien diese wohl stammen !