Vorentscheidung im Westen: Was liefern die Parteien bei Integration, Sicherheit, Gerechtigkeit?

Der Faktencheck zur Sendung vom 08.05.2017

Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, das wichtige Signal für die Wahlen im Bund. Was erwarten die Bürger bei den Topthemen Integration, Sicherheit und sozialer Gerechtigkeit? Und was können die Parteien liefern?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Karl Lauterbach über aufgeklärte Einbrüche

Karl Lauterbach (SPD) sagt, bundesweit würden lediglich zwei Prozent der Einbrüche "komplett aufgeklärt". Stimmt das?

Wenn Karl Lauterbach unter "komplett aufgeklärt" die Verurteilungsquote meint, ist die Größenordnung richtig. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen kam im vergangenen Jahr in einer Studie zu dem Ergebnis, dass es in 2,6 Prozent der untersuchten Fälle zu mindestens einer Verurteilung gekommen ist. Zu ähnlichen Zahlen kommt der Kriminologe Frank Kawelowski von der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW.

Anders sehen die so genannten Aufklärungsquoten der Polizeilichen Kriminalstatistiken (PKS) aus. Hierunter fallen auch die Fälle, bei denen mindestens ein Tatverdächtiger namentlich bekannt ist und laut PKS als aufgeklärt gelten – unabhängig vom Verlauf des Verfahrens. Nach dieser Systematik konnten laut PKS des Bundesinnenministeriums im Jahr 2016 16,9 Prozent der 151.000 registrierten Wohnungseinbrüche aufgeklärt werden. Noch ein Jahr zuvor lag Zahl der Einbrüche bei 167.000. In 15,2 Prozent der Fälle konnten die Täter dingfest gemacht werden. Auch in NRW ist die Zahl der Wohnungseinbrüche im vergangenen Jahr gesunken und die Aufklärungsquote gestiegen. 2015 wurden 13,8 Prozent der über 62.000 Wohnungseinbrüche aufgeklärt. 2016 konnte die nordrheinwestfälische Polizei in 16,2 Prozent der etwa 52.500 Einrüche einen Ermittlungserfolg vermelden. Im Vergleich zum Bundesdurchschnitt steht NRW bei der Aufklärungsquote nicht wesentlich schlechter da.

Hermann Gröhe über Einbrüche in NRW und Bayern

Hermann Gröhe (CDU) sagt, in NRW gebe es auf 100.000 Einwohner fünfmal mehr Einbrüche als in Bayern. Hat er Recht?

"Das ist richtig", sagt Dr. Dominic Kudlacek, stellvertretender Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen. "Tatsächlich ergibt sich aus den Zahlen der polizeilichen Kriminalstatistik, dass in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2016 von 100.000 Einwohnern ca. 294 von einem Wohnungseinbruchdiebstahl betroffen waren. In Bayern waren es im selben Zeitraum hingegen ca. 58 Personen." Im Jahr 2015 seien die Unterschiede sogar noch erheblicher gewesen, sagt der Kriminologe. "Bezogen auf 100.000 Personen der Wohnbevölkerung ergaben sich 2015 sechsmal mehr Wohnungseinbruchdiebstähle in Nordrhein-Westfalen als in Bayern." Allerdings habe sich die Lage in Nordrhein-Westfalen 2016 deutlich verbessert, so der Experte. Zudem hätten Studien gezeigt, dass der Grad der Urbanisierung einen Einfluss auf die Häufigkeit der Einbrüche habe: "In städtischen Räumen ergeben sich mehr Wohnungseinbruchdiebstähle als in ländlichen Gebieten. Daher ist zu berücksichtigen, dass der Verstädterungsgrad in Nordrhein-Westfalen höher ausfällt als in Bayern", sagt Kudlacek.

Hermann Gröhe über Aufklärungsquoten

Hermann Gröhe sagt, in Bayern würden zwei Drittel aller Delikte aufgeklärt, in NRW dagegen weniger als die Hälfte. Für Gröhe liegt dies unter anderem daran, dass es in NRW – im Gegensatz zu Bayern – keine Schleierfahndung gibt. Stimmt das?

"Die Aussage ist recht pauschal, jedoch nicht falsch", sagt Dominic Kudlacek. "Richtig ist, dass die Aufklärungsquote laut polizeilicher Kriminalstatistik in Bayern besser ausfällt als in Nordrhein-Westfalen." Die Ursachen sind nach Ansicht des Kriminologen jedoch vielfältig: "Die Polizei in Bayern ist beispielsweise personell besser ausgestattet. Daher verfügt sie über bessere Ermittlungsmöglichkeiten", sagt Kudlacek. Er hält es für plausibel, dass der Einsatz von Schleierfahndung die Arbeit der Polizei erleichtert und so indirekt auch einen Beitrag zu einer besseren Aufklärungsquote leisten kann. Einen empirischen Beleg gebe es hierfür jedoch nicht, so der Experte. In Bayern lag die Aufklärungsquote im Jahr 2016 bei 65,9 Prozent. In NRW konnten im vergangenen Jahr dagegen nur 50,7 Prozent aller Delikte aufgeklärt werden.     

Sahra Wagenknecht über Einkommen

Sahra Wagenknecht (Die Linke) sagt, 40 Prozent der deutschen Bevölkerung habe heute weniger Einkommen als noch vor einigen Jahren. Stimmt das?

“Es ist richtig, dass das Realeinkommen von 40 Prozent der deutschen Bevölkerung in 2014 unter dem Einkommen von 2009 lag“, sagt Tim Obermeier, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz. “Dagegen liegen die Realeinkommen der 60 Prozent der Bevölkerung mit dem höchsten Einkommen deutlich über dem Niveau von 2009.“ Dies gehe aus einer Auswertung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) auf Basis des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) hervor. “Damit hat die Einkommensungleichheit in den letzten Jahren zugenommen“, so das Fazit von Tim Obermeier.

Hermann Gröhe über Jobs in Deutschland

Hermann Gröhe sagt, seit Angela Merkel Kanzlerin ist, seien in Deutschland fünf Millionen neue Arbeitsplätze geschaffen worden. Stimmt das?

Es ist richtig, dass die Zahl der Erwerbstätigen zwischen 2005 und 2016 um 4,1 Millionen zugenommen hat, sagt Tim Obermeier. Er gibt aber zu bedenken, dass die Entwicklung der Erwerbstätigkeit noch nichts über die dahinterstehenden Beschäftigungsverhältnisse aussage. "Denn in der Statistik der Erwerbstätigen wird ein Minijobber auf 450-Euro-Basis genauso gezählt wie eine sozialversicherungspflichtig beschäftigte Person." Zwar habe auch die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung von 26,1 Millionen auf 32 Millionen zugenommen, sagt der Arbeitsmarktexperte. Allerdings sei diese Entwicklung fast ausschließlich von der Teilzeitbeschäftigung getragen worden, die sich zwischen 2005 und 2016 fast verdoppelt hat. Auch die Zahl der Minijobber sei um rund eine Million gestiegen. "In den letzten Jahren sind damit sogar über sechs Million sozialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse entstanden, die aber häufig nur in Teilzeit ausgeübt werden und somit eine gewisse sozialpolitische Brisanz aufweisen, weil damit häufig keine eigenständige Absicherung im Alter aufgebaut werden", sagt Obermeier.  

Karl Lauterbach über Schulabbrecher

Karl Lauterbach (SPD) sagt, in NRW liegt die Quote der Schulabbrecher bei 5,5 Prozent und damit leicht unter dem Bundesdurchschnitt.

Die Größenordnung stimmt. Allerdings lag die Zahl der Schulabbrecher in NRW zuletzt im Jahr 2013 bei 5,5 Prozent. Die aktuellsten Zahlen hierzu zeigen, dass die Quote 2014 leicht auf sechs Prozent angestiegen ist. Seit 2012 analysiert die Caritas anhand amtlicher Daten die Bildungschancen in Deutschland. Dabei dokumentiert sie auch die Zahl der Jugendlichen, die die Schule ohne Abschluss verlassen. Bundesweit lag die Quote im Jahr 2014 bei 5,7 Prozent. NRW liegt somit leicht über dem Bundesdurchschnitt. Die wenigsten Schulabbrecher gab es in Bayern (4,4 Prozent). Am häufigsten verließen Jugendliche in Sachsen-Anhalt die Schule ohne Abschluss (9,2 Prozent).

Stand: 09.05.2017, 12:24 Uhr