Feiern gegen die Krise? Europa im Bürgercheck!

Der Faktencheck zur Sendung vom 27.03.2017

60 Jahre ist die EU alt und feiert sich. Doch viele Bürger zweifeln. Sie kommen bei „hart aber fair“ zu Wort: Ist die Union am Ende nach Flüchtlingsstreit und Brexit? Oder heißt die Antwort in Zeiten von Trump und Erdogan: Europa, jetzt erst recht!

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Bernd Lucke über Arbeitslosigkeit in Südeuropa

Bernd Lucke, EU-Abgeordneter der Liberal-Konservativen Refomer (LKR), sagt, die Arbeitslosigkeit im Süden Europas sei gestiegen und nicht, wie der EU-Kommissions-Vize Frans Timmermans kürzlich andeutete, gesunken.

Frans Timmermans, auf den sich Bernd Lucke bezieht, hatte nicht speziell über die Arbeitslosenzahlen der südeuropäischen Länder gesprochen. Allgemein hat der niederländische Kommissions-Vize zum Ausdruck gebracht, dass man Menschen, die sich Sorgen machen, nicht mit Statistiken über sinkende Arbeitslosigkeit und wachsender Wirtschaft beruhigen könne.

Betrachtet man aber die Entwicklung der Arbeitslosenzahlen südeuropäischer Länder in den vergangenen Jahren, hat Bernd Lucke Recht. Zwar gingen die Arbeitslosenquoten in Ländern wie Italien, Spanien, Portugal oder Griechenland 2016 im Vergleich zum Vorjahr überall leicht zurück. In den Jahren 2005 bis 2015 hatte die Zahl der Arbeitslosen in diesen Ländern jedoch zum Teil dramatisch zugenommen. In Italien lag die Arbeitslosenquote 2005 noch bei 7,7 Prozent und stieg bis 2015 auf 11,9 Prozent an. Ähnlich stark war der Anstieg in Portugal, wo die Quote in diesem Zeitraum von 8,8 auf 12,6 Prozent anstieg. Besonders drastisch entwickelten sich die Arbeitslosenzahlen in Griechenland und Spanien. In beiden Ländern hat sich die Arbeitslosenquote zwischen 2005 und 2015 mehr als verdoppelt: In Griechenland sprang sie von zehn auf 24,9 Prozent, in Spanien von 9,2 auf 22,1 Prozent. Gesunken sind die Quoten in diesem Zeitraum vor allem in osteuropäischen Ländern wie Polen, Tschechien und der Slowakei.

Markus Preiß über Bulgarien und Luxemburg

Der Leiter des ARD-Studios in Brüssel, Markus Preiß, spricht das höhere Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Luxemburg im Vergleich zu Bulgarien an. In Luxemburg verdienten die Menschen 15mal mehr als in Bulgarien.

Markus Preiß spricht hier zwei verschiedene Dinge an. Zum einen das Pro-Kopf Einkommen und zum anderen das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf. Für das BIP pro Kopf stimmt die Größenordnung. Laut der europäischen Statistikbehörde Eurostat lag das BIP pro Kopf im Jahr 2015 in Luxemburg bei 89.900 Euro. Bulgarien weist - umgerechnet auf einen Einwohner - mit 6.300 Euro dagegen ein 14mal niedrigeres BIP auf. Weniger dramatisch erscheint der Unterschied allerdings, wenn man das BIP pro Kopf in so genannten Kaufkraftstandards (KKS) betrachtet. Hierbei werden Währungs- und Preisniveauunterschiede ausgeglichen und ermöglichen nach Angaben der EU-Statistiker einen sinnvolleren Vergleich zwischen einzelnen Ländern. Der Durchschnitt des BIP pro Kopf in KKS wird für die gesamte EU auf 100 festgelegt. Liegt der Index eines Landes höher, so hat es ein BIP pro Kopf über dem EU-Durchschnitt. Liegt der Index darunter, liegt das BIP des Landes pro Kopf unter diesem Durchschnitt. Nach dieser Betrachtung weist Eurostat im Jahr 2015 für Luxemburg einen Index von 264 aus – also gut eineinhalbmal höher als der EU-Durchschnitt. Bulgarien kommt hier auf 47 - gut die Hälfte unter dem EU-Durchschnitt. Zum Vergleich: In Deutschland liegt das BIP pro Kopf nach dieser Berechnung bei 124.

Betrachtet man die Einkommen in beiden Ländern, so lag der durchschnittliche Bruttojahresverdienst in Luxemburg 2014 bei rund 51.000 Euro, in Bulgarien mit knapp 5.000 Euro zehnmal niedriger.

Edmund Stoiber über Handel mit USA und Visegrád-Staaten

Edmund Stoiber (CSU) sagt, Deutschland betreibe mit den "Visegrád-Staaten" Polen, Ungarn, Tschechien und Slowakei mehr Handel als mit den USA.

Das ist richtig, wenn man die Handelsbilanzen der vier Visegrád-Staaten addiert. Deutschland exportierte nach ersten Schätzungen des Statistischen Bundesamtes im Jahr 2016 Waren im Wert von rund 107 Milliarden Euro in die USA. Nimmt man alle vier Visegrád-Staaten zusammen, exportierten wir Waren im Wert von 128 Milliarden Euro nach Polen, Tschechien, Ungarn und in die Slowakei, wobei Polen mit 54,8 Milliarden Euro der größte Abnehmer war, gefolgt von Tschechien (38,2), Ungarn (22,8) und der Slowakei (12,8). Auch die Summe der Importe aus den Visegrád-Staaten liegt höher als die Importe aus den Vereinigten Staaten. Im vergangenen Jahr wurden Waren im Wert von 57,9 Milliarden Euro aus den USA eingeführt. Die Visegrád-Staaten importierten Güter im Wert von 161 Milliarden Euro. Auch hier stellt Polen für Deutschland den wichtigsten Handelspartner der vier Visegrád-Staaten dar. Alleine aus Polen wurden Waren im Wert von 46,5 Milliarden Euro importiert.

Stand: 28.03.2017, 11:48 Uhr