Der Alternative – wie gefährlich wird Schulz für Merkel?

Der Faktencheck zur Sendung vom 20.02.2017

Martin Schulz zündet – an der SPD-Basis und in den Umfragen. Woher kommt dieser Erfolg und wie lange wird er halten? Findet die Union noch Mittel, um Schulz zu entzaubern? Oder zeigt sich jetzt: Nach 12 Jahren sind viele Bürger Merkel-müde?

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Christian Lindner über ältere Erwerbstätige

Christian Lindner (FDP) sagt, im Jahr 2005 seien lediglich 28 Prozent der über 60-jährigen erwerbstätig gewesen. Heute seien es über 50 Prozent.

Für die Altersgruppe der 60 bis 65-jährigen ist das richtig. Die Gesellschaft in Deutschland altert. Dies schlägt sich auch auf die Alterstruktur am Arbeitsmarkt nieder. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im Jahr 2005 28,1 Prozent der 60 bis 65-jährigen erberwerbstätig. Zehn Jahre später waren es in dieser Altersgruppe bereits 53,1 Prozent. Hinzu kommen aber noch die Arbeitnehmer, die noch älter sind. Im gleichen Zeitraum stieg auch der Anteil der 65 bis 70-jährigen, die noch einer Arbeit nachgingen, deutlich an. Im Jahr 2005 waren 6,5 Prozent dieser Altersgruppe erwerbstätig. Bis 2015 stieg diese Quote auf 14,4 Prozent.

Hajo Schumacher über Niedriglohnsektor

Der Journalist Hajo Schumacher sagt, in Deutschland arbeiten acht bis zehn Millionen Menschen im Niedriglohnsektor.

Die Zahlen für den Bereich des Niedriglohnsektors basieren auf der so genannten Verdienststrukturerhebung, die nur alle vier Jahre erhoben wird. Die aktuellsten Daten stammen aus dem Jahr 2014. Demnach waren zu diesem Zeitpunkt 7,6 Millionen Beschäftigte im Niedriglohnsektor tätig. Das entspricht einem Anteil von 21,4 Prozent aller Beschäftigten. Zum Niedriglohn zählen nach Festlegung der OECD jene Verdienste, die unter zwei Dritteln des Einkommensmedians liegen – also Einkommen, die zwei Drittel oder weniger als die Mitte aller Einkommen in Deutschland betragen. Nach Angaben der Bundesregierung lag die Schwelle zum Niedriglohn im Jahr 2014 bei einem Bruttostundenlohn von zehn Euro oder einem Bruttomonatsverdienst von 1.993 Euro. Ein Jahr zuvor lag der Anteil der Beschäftigten im Niedriglohnsektor laut der fünf Wirtschaftsweisen noch bei 24,4 Prozent.

Christian Lindner über Martin Schulz und "LuxLeaks"

Christian Lindner sagt, vor allem die Liberalen in Person von Wettbewerbskommissarin Margrethe Verstager gingen gegen Steuerdumping in Europa vor. Martin Schulz dagegen habe solche Steuerpraktiken in Luxemburg lange gedeckt.

Mit dem Verweis auf die dänische Wettbewerbskommissarin Margrethe Verstager spielt Christian Lindner auf deren Entscheidung an, Apple zu einer Steuernachzahlung in Milliardenhöhe zu verpflichten. Irland hatte dem Softwarekonzern in den vergangenen Jahren Steuervergünstigungen in Höhe von 13 Milliarden Euro verschafft. Damit habe der Inselstaat gegen die Regeln des europäischen Binnenmarktes verstoßen, argumentiert Verstager.

Lindners Vorwurf, Martin Schulz habe Steuerdumping-Praktiken in Luxemburg gedeckt, zielt auf die so genannte Lux-Leaks-Affäre ab. Im Jahr 2014 wurde bekannt, dass eine Vielzahl an Großkonzernen von Steuervermeidungsmodellen in Luxemburg profitiert hat, darunter Apple, Google und Amazon. Besonders Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker – lange Jahre Finanzminister und Regierungschef in Luxemburg – geriet unter Druck. Was folgte, waren Rufe nach einem Untersuchungsausschuss im EU-Parlament. Tatsächlich gelang es Grünen und Linken die nötigen 25 Prozent der Abgeordneten für eine Untersuchung der luxemburgischen Steuerdeals zu gewinnen. Auch Martin Schulz, der als enger Vertrauter von Juncker gilt, stellte sich in öffentlichen Äußerungen nicht in den Weg. Gegenüber Spiegel online sagte er 2015: "Ich möchte vor allem ein Ziel erreichen: aufklären, welche verbotenen Beihilfen es über Steuerbegünstigungen gegeben hat und noch gibt und wer daran beteiligt war. Zudem ist mir wichtig, dass wir in der EU endlich Schritte einleiten, um gegen Steuerdumping, Steuervermeidung und Steuerflucht wirksam anzugehen." Doch es kam anders. Ein Gutachten des juristischen Dienstes des Parlaments, also einer Schulz untergeordneten Einrichtung, äußerte rechtliche Bedenken. Es habe keine Verletzungen gegen EU-Recht gegeben. Daraufhin lehnte eine Mehrheit der Fraktionschefs eine Untersuchung ab, obwohl in Teilen auch die EVP-Fraktion von Juncker einer Aufklärung offen gegenüber stand. Martin Schulz wurde von Grünen und Linken vorgeworfen, sich hinter dem Gutachten zu verstecken um einen Untersuchungsausschuss gegen seinen Freund und politischen Weggefährten zu verhindern. Einigen konnten sich die Fraktionen lediglich auf einen Sonderausschuss mit weit weniger Befugnissen.

Zur Bekämpfung von Steuervermeidung hat sich der Rat der EU im Sommer letzten Jahres auf neue Vorschriften geeinigt. Unter anderem soll es Unternehmen erschwert werden, ihre Gewinne, die sie beispielsweise in Deutschland erwirtschaften, über Tochtergesellschaften in steuerlich günstigeren Ländern zu veranlagen.

Stand: 21.02.2017, 12:15 Uhr