Sicherheit, Steuern, Rente – der Wahlcheck 2017!

Der Faktencheck zur Sendung vom 16.01.2017

Wie soll Deutschland vor dem Terror geschützt werden, wie weiter in der Flüchtlingsfrage, was bringt mehr soziale Gerechtigkeit? Zum Auftakt des Superwahljahrs 2017 diskutieren Spitzenpolitiker von Union, SPD, Linken, Grünen, AfD und FDP!

Eine Talkshow ist turbulent. Auch in 75 Minuten bleibt oft keine Zeit, Aussagen oder Einschätzungen der Gäste gründlich zu prüfen. Deshalb hakt "hart aber fair" nach und überprüft einige Aussagen. Die Antworten gibt es hier im Faktencheck.

Volker Kauder und Christian Lindner über Flat-Tax und Freibeträge

Volker Kauder sagt, das Bundesverfassungsgericht habe der Politik in Sachen Erbschaftssteuer deutlich gemacht, dass es bei einer Flat-Tax ohne Ausnahmen auch keine Ausnahmen mehr für Erben von beispielsweise kleinen Hausgrundstücken geben könne. Dies bedeute auch, dass Freibeträge (wie sie Lindner vorgeschlagen hatte) ebenfalls nicht in Frage kämen. Stimmt das?

"Die Aussage von Volker Kauder entbehrt die Substanz", stellt Roman Seer, Professor für Steuerrecht an der Universität Bochum, klar. In den vergangenen 25 Jahren habe das Bundesverfassungsgericht drei grundlegende Entscheidungen zur Erbschaftsteuer gefällt, sagt der Rechtswissenschaftler. "In keiner dieser Entscheidungen findet sich eine substanzielle Aussage zu einer Flat-Tax und demgemäß auch nicht im Zusammenhang mit persönlichen Freibeträgen." Die höchsten Richter hätten 1995 lediglich über die damals progressive Steuertarifstruktur entschieden, die sich zwischen drei und 70 Prozent bewegte. Demnach sollte das Vermögen im Wert "eines durchschnittlichen Einfamilienhauses" innerhalb einer Übertragung im Familienverbund von der Erbschaft- u. Schenkungsteuer verschont werden, erläutert Seer. "Dass dies bei einer Flat-Tax - genau umgekehrt - nicht gelten dürfe, davon findet sich nirgendwo etwas."

Thomas Oppermann über Ungleichheit beim Einkommen

Zwar sieht auch Thomas Oppermann (SPD) eine extreme Ungleichverteilung des Vermögens. Bei den Einkommen allerdings sei dies anders. Hier sei die Schere – auch wegen der Einführung des Mindestlohns - nicht weiter auseinander gegangen. Stimmt das?

"Unstrittig ist, dass die Einkommensungleichheit der verfügbaren Einkommen heute weit höher ist als noch vor gut 20 Jahren", stellt Dr. Dorothee Spannagel, Armuts- und Reichtumsforscherin am WSI, klar. Vor allem zwischen 1999 und Mitte der 2000er Jahre sei sie deutlich angestiegen, so die Expertin. Laut Gini-Koeffizient – einem Index zur Messung der Einkommensverteilung - erreichte die Einkommensungleichheit in Deutschland im Jahr 2005 ihren bis dahin höchsten Stand. Nach einigen Jahren in denen der Index mehr oder weniger konstant blieb, steige die Ungleichheit seit 2010 jedoch wieder an, sagt Spannagel. “Bereits im Jahr 2012 erreichte die Konzentration der Einkommen fast wieder das Niveau von 2005. Im Jahr 2013 hat sie einen neuen historischen Höchststand erreicht.“ Für die Expertin zeigt der langfristige Trend eine weiter wachsende Einkommensungleichheit. Vor allem für die letzten Jahre sei diese Entwicklung sehr problematisch: “Deutschland hat seit einigen Jahren eine sehr gute und stabile konjunkturelle Lage, Rekordbeschäftigung und Bruttolohnzuwächse. Aber nicht mal unter diesen sehr positiven Rahmenbedingungen geht die Einkommensungleichheit zurück.“ Inwieweit sich der Mindestlohn insgesamt auf die Ungleichverteilung auswirkt, kann nach Angaben von Spannagel wegen fehlender Daten noch nicht klar beantwortet werden. Erste Untersuchungen aber hätten gezeigt, dass der Mindestlohn zumindest bei den Löhnen am unteren Ende die Spreizung etwas eindämmen könnte, so Dorothee Spannagel.

Frauke Petry über mittlere Einkommen

Frauke Petry (AfD) sagt, die mittleren Einkommensgruppen hätten in den vergangenen Jahren unterm Strich weniger verdient, weil die Kosten für Abgaben und Sozialversicherungen gestiegen seien. Stimmt das?

Dorothee Spannagel, differenziert die Aussage von Petry. Zwar sei es korrekt, dass die Einkommen der mittleren Einkommensgruppen in den letzten Jahren rückläufig waren, sagt Spannagel. Dies liege aber nicht an steigenden Sozialabgaben, sondern daran, dass von den guten realen Bruttolohnzuwächsen, die wir seit 2010 haben, die oberen Einkommensgruppen überdurchschnittlich profitiert haben, während vor allem die Bezieher unterer Einkommen oftmals leer ausgegangen sind, erklärt die Expertin.

Seit Anfang der Neunziger Jahre seien die mittleren Einkommen in Deutschland deutlich gestiegen. Im Jahr 2009 erreichten sie ihren bis dahin höchsten Stand: Ein Einpersonenhaushalt, der genau zwischen der ärmeren und reicheren Bevölkerungshälfte lag, verdiente 20.000 Euro. Richtig ist laut Spannagel aber auch, dass dieses Einkommen bis 2013 auf 19.600 Euro wieder leicht zurück gegangen ist. Der Anstieg der Einkommen seit den neunziger Jahren verteile sich jedoch nicht gleichmäßig auf alle Einkommensbezieher, erklärt die Expertin: "Die Zuwächse bei den obersten zehn Prozent waren weit überdurchschnittlich. Bei den unteren 40 Prozent der Einkommensbezieher hingegen waren die verfügbaren Einkommen rückläufig", sagt Spannagel. Selbst in der Mitte der Bevölkerung seien die Einkommen unter Berücksichtigung der Inflation seit dem Jahr 2000 insgesamt lediglich konstant geblieben. "Der erste Teil von Frau Petrys Aussage ist in der Tendenz richtig." Allerdings liegen die Ursachen für diese Entwicklung nicht an steigenden Sozialabgaben, erklärt Spannagel: "Das lässt sich widerlegen: Der Beitragssatz zu den Sozialversicherungen (Rente, Pflege, Kranken- und Arbeitslosenversicherung) ist insgesamt in den letzten Jahren rückläufig. Der Gesamtanteil der Abgaben lag Ende der 1990er Jahre noch teilweise bei über 42 Prozent. Im Jahr 2016 waren es nur noch 39,75 Prozent."

Sahra Wagenknecht über Steueraufkommen

Die Fraktionschefin der Linken, Sahra Wagenknecht, sagt, Lohn- und Verbrauchssteuern machen inzwischen einen Anteil von 80 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus.

Das stimmt so nicht. Im Jahr 2015 spülte die Lohnsteuer nach Angaben des Bundesfinanzministeriums rund 179 Mrd. Euro in die Staatskasse. Sie hat damit einen Anteil am gesamten Steueraufkommen von etwa 29 Prozent. Rechnet man die Einnahmen aus der Umsatzsteuer hinzu (rund 210 Mrd. Euro und damit ca.31 Prozent am Steueraufkommen) machen diese beiden Steuerarten rund 60 Prozent des gesamten Steueraufkommens aus. Auch unter Einbeziehung anderer Verbrauchssteuern wie Tabak- oder Energiesteuer werden die von Sahra Wagenknecht genannten 80 Prozent nicht erreicht.

Ihre Rechnung würde nur aufgehen, wenn man die Einkommensteuer insgesamt einbeziehen würde. Also neben der Lohnsteuer auch Steuern aus Kapitalerträgen, Körperschaftssteuern und Steuern auf Einkommen aus selbstständiger Arbeit: In der Summe wurden rund 290 Mrd. Euro an Einkommensteuer eingenommen. Das entspricht einem Anteil von 43,7 Prozent an den gesamten Steuereinnahmen. Der gemeinsame Anteil von Einkommensteuer und Umsatzsteuer liegt dann also bei etwa 75 Prozent. Rechnet man noch Verbraucherabgaben wie zum Beispiel Tabak- und Energiesteuern hinzu, steigt der Anteil sogar auf über 80 Prozent.

Frauke Petry über die Berichterstattung des ZDF zum Anschlag in Berlin

Frauke Petry sagt, das ZDF habe gemeldet, der polnische Beifahrer des LKW sei für den Anschlag, bei dem am 19.12.16 am Berliner Breitscheidplatz zwölf Menschen ums Leben gekommen waren, verantwortlich. 

Zu diesem Vorwurf hat uns das ZDF eine Stellungnahme abgegeben. Richtig ist, dass das ZDF in einem Tweet um 20 Uhr 58 unter Berufung auf die Berliner Feuerwehr gemeldet hat, dass bei einem Unfall ein polnischer LKW-Fahrer in die Menschenmenge gerast sei. Allerdings haben die ZDF-Mitarbeiter ihren Tweet bereits nach sieben Minuten korrigiert und klar gestellt, dass die Herkunft des Fahrers noch unbekannt sei.

Christian Lindner über Grüne und Sicherheit

Christian Lindner sagt, in den Ländern, in denen die Grünen politische Verantwortung tragen, seien Maßnahmen wie die Beschränkung der Bewegungsfreiheit von Gefährdern oder Abschiebungen “Fremdwörter“ geworden. Betreiben Länder mit grüner Regierungsbeteiligung eine laschere Sicherheitspolitik als andere?

Prof. Markus Thiel, Rechtswissenschaftler an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung NRW erinnert daran, dass in keinem der elf Bundesländer mit grüner Regierungsbeteiligung ein Politiker der Grünen das Innenressort besetzt. Eine 'laschere' Sicherheitspolitik in Ländern mit grüner Regierungsverantwortung kann der Jurist daher pauschal nicht erkennen. Dennoch schränkt er ein: "Allerdings fällt - auch auf Bundesebene - auf, dass die Vorbehalte und Widerstände grüner Parlamentarier gegenüber einer Erweiterung oder Verschärfung sicherheitsrelevanter Gesetze regelmäßig vergleichsweise groß sind." Dies hänge mit dem politischen Programm der Partei zusammen, das seinen Fokus auf Bürgerrechte wie dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung und dem Grundrecht auf Asyl legt und ihnen eine besondere Bedeutung zumisst, so Thiel. Aspekte der Sicherheit hätten demgegenüber nach Auffassung zahlreicher grüner Politiker tendenziell zurückzutreten. "Entsprechende Stellungnahmen in der Öffentlichkeit führen dann zu dem Eindruck, die Partei und ihre Vertreter stünden sicherheitspolitischen Gesichtspunkten generell skeptischer gegenüber als die Vertreter anderer Parteien", sagt Thiel. Die teilweise fundamental kritische Haltung gegenüber Abschiebungen und Kontrollmaßnahmen von Flüchtlingen sei politisch motiviert. Nach Ansicht des Experten für Gefahrenabwehr sind Änderungen sicherheitsbezogener Gesetze in Ländern mit einem großen Einfluss von Bündnis 90/Die Grünen grundsätzlich schwieriger. Dies gelte auch für sachgerechte Anpassungen an die aktuelle Sicherheitslage, sofern damit zusätzliche Beeinträchtigungen für die Bürger verbunden sind, so der Experte. Für ihn ermöglicht die Gewährleistung von Sicherheit in Zeiten erhöhter Bedrohungen erst die Ausübung grundrechtlicher Freiheiten. Diesem Argument aber zeigten sich die Grünen eher selten zugänglich, so Thiel.

Stand: 17.01.2017, 08:58 Uhr