Angela Merkel, CDU, NRW-Farben, Berliner Wappen

Interview zu Röttgen-Rauswurf

Das Dilemma der NRW-CDU

Stand: 22.05.2012, 15:00 Uhr

Ist der Rauswurf von Norbert Röttgen auch ein Hieb gegen die NRW-Landesgruppe der CDU in Berlin? Zumindest einige Abgeordnete sprechen von einem Vertrauensverlust gegenüber Merkel. Parteienforscher Volker Kronenberg von der Universität Bonn über die Probleme der NRW-CDU.

WDR.de: Als einen Affront der Kanzlerin gegen die NRW-Landesgruppe hat der Bundestagsabgeordnete Uwe Schummer den Röttgen-Rauswurf gewertet. Ist das ein berechtigter Vorwurf?

Professor Volker Kronenberg: Das war sicherlich nicht die Zielsetzung der Kanzlerin. Es ging Merkel darum, ihre Handlungsfähigkeit angesichts der Ereignisse der Vortage unter Beweis zu stellen. Denken wir an das Seehofer-Interview zu der verheerenden Wahlniederlage (im ZDF Heute Journal am 14.05.2005). Die Kanzlerin wollte zudem zeigen, dass sie das große Projekt der schwarz-gelben Koalition - die Energiewende - mit jemandem vorantreiben will, dessen Zugkraft nicht in Frage gestellt wird.

WDR.de: Ist der Rauswurf von Röttgen denn für die NRW-CDU so dramatisch?

Kronenberg: Eine Ministerentlassung ist per se dramatisch und in der Geschichte der Bundesrepublik ein ganz seltener Vorgang. Wenn dann noch ein einstiger Vertrauter der Kanzlerin und Vertreter des Modernisierungskurses der Merkel-CDU geschasst wird, ist die Dramatik offenkundig. Doch ursächlich für diese Entwicklung war das Wahldebakel der NRW-CDU am 13. Mai. Viele Faktoren kamen zusammen: Schon der Wahlkampf ist verheerend gelaufen. Auch hat der Landesverband in diesen 60 Tagen nicht geschlossen agiert. Die Diskussion, ob Norbert Röttgen nach der Wahl in NRW bleibt oder nicht, ist auch in den eigenen Reihen lebhaft geführt worden. Dass die Empörung über den Rauswurf Röttgens als Bundesumweltminister nun groß ist, ist ebenso verständlich wie von symbolischer Bedeutung, um die eigenen Reihen zu schließen.

WDR.de: Ist der CDU-Landesverband in Berlin ohne Röttgen als Minister nun deutlich geschwächt?

Kronenberg: Ronald Pofalla ist Kanzleramtsminister und damit im Zentrum der Macht. Hermann Gröhe ist zwar nicht Regierungsmitglied, hat aber als CDU-Generalsekretär auch politisches Gewicht. Es ist also nicht so, dass es keine einflussreichen Kräfte aus NRW in Berlin gibt. Einen nachhaltigen Effekt auf die Machtverhältnisse innerhalb der CDU wird der Röttgen-Rauswurf nicht haben, zumal die Kanzlerin die Arithmetik der Macht kennt und beruhigend auf den Landesverband einwirken wird. Frau Merkel weiß genau, dass die NRW-CDU immerhin ein Drittel der Delegierten auf dem CDU-Parteitag stellt.

WDR.de: Armin Laschet, stellvertretender NRW-CDU-Vorsitzender meint, ein Politikstil, der Minister nach Landesverbänden zähle, sei heute nicht mehr gefragt. Welche Rolle spielen die Landesverbände in der Bundespolitik?

Kronenberg: Das Regionale und Proportionale spielt schon noch eine Rolle in der Bundespolitik. Es ist ein Unterschied, ob sie aus einem kleinen Landesverband wie Mecklenburg-Vorpommern oder aus einem großen wie Nordrhein-Westfalen kommen. Das zeigt sich in der Zahl der Delegierten auf den Parteitagen, auf denen dann über Personalpakete, beispielsweise die Zusammensetzung von Präsidium und Vorstand, abgestimmt wird.

WDR.de: Die NRW-CDU muss nach dem Rücktritt von Röttgen nun einen neuen Landesvorsitzenden wählen. Welche Fähigkeiten braucht der neue CDU-Landesvorsitzende?

Kronenberg: Er muss erstens schnellstmöglich Geschlossenheit herstellen. Es dürfen nicht wieder wie in früheren Zeiten Westfalen gegen Rheinländer stehen und unterschiedliche inhaltliche Strömungen gegeneinander kämpfen. Zweitens muss er die CDU thematisch neu aufstellen. Die Schlüsselfrage lautet: Womit will die CDU Rot-Grün Paroli bieten? Die Kommunikation des zentralen Wahlkampfthemas Schuldenabbau und Sparen war wenig überzeugend, weil man keine konkreten Einsparvorschläge vorgelegt hat. Das hat das Wahlergebnis gezeigt. Außerdem muss der Spagat zwischen wirtschaftlicher Vernunft und sozialer Gerechtigkeit gelingen. Dieses "Kümmer-Image" gehört in NRW konstitutiv dazu, auch für einen CDU-Spitzenmann. Wenn die CDU das nicht schafft, wird sie auf lange Sicht ein Nachsehen gegenüber der NRW-SPD, vor allem gegenüber Ministerpräsidentin Hannelore Kraft haben.

WDR.de: Wer würde die Landesinteressen in Berlin besser vertreten Karl-Josef Laumann oder Armin Laschet? Oder braucht die CDU in NRW ein ganz neues Gesicht an der Spitze?

Armin Laschet während einer Pressekonferenz im Landtag

Armin Laschet will CDU-Landesvorsitzender werden

Kronenberg: Eigentlich ist die CDU in einem Dilemma. Wir erleben hier die Neuauflage einer Auseinandersetzung zwischen Laumann und Laschet, die vor zwei Jahren schon einmal stattgefunden hat. Laschet steht für die moderne CDU und kann sich medial präsentieren. Auf der anderen Seite steht Laumann, das personalisierte soziale Gewissen. Ein strahlender Neuanfang verbindet sich nicht wirklich mit den beiden. Aber die Option, aus der Bundesebene jemanden ins Land zu holen, scheidet ebenfalls aus. Das hat nicht funktioniert, wie wir bei Röttgen gesehen haben. Womöglich sucht die CDU noch einen dritten Kandidaten, um aus dem Dilemma heraus zu kommen.

WDR.de: Einige NRW-Abgeordnete sprechen von einem Vertrauensverlust gegenüber Angela Merkel. Hat die Kanzlerin mit ihrem Rauswurf den verbliebenen CDU-Wählern in NRW vor den Kopf gestoßen?

Kronberg: Sicherlich hat Angela Merkels überraschend hartes Handeln berechtigte Irritationen hervorgerufen. Der Versuch Röttgens, die Landtagswahl auf den letzten Metern zu einer Abstimmung über Merkels Europapolitik zu machen, hat wohl zu dieser Reaktion beigetragen. Man darf aber jetzt nicht Ursache und Wirkung miteinander verwechseln. Die CDU in NRW steht vor einem Scherbenhaufen. Bei der Landtagswahl ist eine große Anzahl von Stammwählern der Union zu Hause geblieben oder hat die Partei nicht gewählt. Die Empörung über die Entlassung des bisherigen Spitzenmannes ist momentan eine psychologische Entlastung für die NRW-CDU, weil der Groll gegen die Kanzlerin von den angesprochenen Problemen und Fehlern des Landesverbandes ablenkt.

Das Interview führte Anke Fricke.