Beine beim Lauf in Turnschuhen

Die wilden Anfangsjahre von WDR Online

Datentransfer im "Turnschuh-Netz"

Stand: 14.08.2005, 00:12 Uhr

1995 ging der WDR erstmals online. Damals, im letzten Jahrhundert, war alles anders: Die Computer waren noch nicht vernetzt und Daten wurden per Diskette zu Fuß weitergeleitet.

Von Sabine Tenta

"Herzlich willkommen beim WDR. Mehr hören. Mehr sehen." Diese drei Sätze bildeten zusammen mit der Postadresse des Westdeutschen Rundfunks die erste Homepage des Senders. Sie ging am 09. Mai 1995 online. Es war der Startschuss für ein neues technisches Zeitalter. Dennoch war Georg Berg, heute WDR.de-Redakteur, überhaupt nicht aufgeregt, denn "wir wussten, dass es nur ganz wenige sehen." Ein Internet-Anschluss war 1995 eine echte Rarität. Die erste repräsentative Erhebung für Deutschland erschien erst zwei Jahre später, damals nutzten nur 6,5 Prozent der erwachsenen Bevölkerung Online-Dienste (ARD-, später: ARD/ZDF-Online-Studie).

Die Anfänge des WDR im Internet waren kein durchorganisierter Sendestart. WDR.de-Redakteurin Angelina Konrad, die damals als Systemtechnikerin beim jungen Radio 1Live arbeitete, nennt die ersten Schritte "richtig anarchisch". Es waren Computer-Freaks wie sie, die einfach angefangen haben, Seiten zu programmieren. Immer wenn eine Seite fertig war, wurde sie auf Diskette gespeichert und zu Fuß in ein anderes Gebäude getragen. Dort war die Abteilung Kommunikationstechnik, die alles auf den Server laden konnte. "Wir nannten es auch das 'Turnschuh-Netz'", erinnert sich Angelina Konrad. Im Raum der Kommunikationstechnik traf sie weitere Disketten-Träger. Es waren Redakteure von Quarks & Co, dem Computerclub, Plusminus oder dem Schulfernsehen.

Die Scanner-Prozession

Wollte man wissen, ob eine Seite wirklich online war, dann lautete die Kontroll-Frage: "Kann man das jetzt in Amerika sehen", erzählt Georg Berg. Nicht, dass jemand in den USA angerufen hätte - "Amerika" war so etwas wie das Synonym für die weltweite Vernetzung. Das technische Equipment war Mitte der 90er Jahre noch auf einem bescheidenen Niveau: Die Computer waren im Grunde nur schnelle Schreibmaschinen und ein Scanner eine Seltenheit. Heute ist er ein Allerweltsprodukt, das zwischen Sauerkraut und Klopapier im Supermarktregal steht. Doch 1995 war sein Besitz der Beweis, nicht nur auf der Höhe der Zeit zu sein, sondern sogar auf ihrem Gipfel zu stehen. "Agenturen, die mit uns zusammen arbeiten wollten, mussten nicht sagen, 'wir haben Referenzen', sondern 'wir haben einen Scanner'", erzählt Online-Redakteur Georg Berg. Unvergessen ist für ihn auch, wie der erste Scanner für den WDR angeliefert wurde: "In einer Prozession folgten dem Lieferanten mehrere Redakteure und staunten das Gerät ehrfürchtig an."

Surfen mit dem Faxgerät

Ins Netz kam in den Anfangsjahren nicht, was wichtig und aktuell war, sondern das, was in elektronischer Form auf Diskette vorlag. Manuskripte, die noch mit der Schreibmaschine getippt waren, hatten keine Chance. So kam es, dass die Informationswelle WDR2 online zunächst nur mit dem U-Punkt vertreten war. Die meisten Redakteure im WDR sahen die Homepage auch nicht online, sondern als gefaxte Version, denn erst wenige Mitarbeiter waren drin, im Internet. Darum konnten sie auch keine E-Mails empfangen. Die "elektronische Post", wie es damals hieß, die an den WDR geschickt wurde, lief zentral bei Georg Berg auf. Er war damals noch in der Öffentlichkeitsarbeit tätig. Pro Tag druckte er rund 30 E-Mails aus und faxte sie dann weiter.

Otto sah sich selbst sofort

1Live hatte 1995 den umfangreichsten Internet-Auftritt innerhalb des WDR. Das Medium Internet wurde hauptsächlich von Studenten genutzt, also der jungen Zielgruppe des Senders. "Da passte einfach alles", sagt Angelina Konrad. Doch leider bremste die analoge Fototechnik die Onliner immer wieder aus. Bilder von 1Live-Gästen konnten erst Tage später ins Netz gestellt werden.

Also wurde eine digitale Kamera angeschafft. Ein klobiges Teil, das aber ein bestaunenswertes Novum hatte: Ein Display! Für die bescheidene Auflösung von 640 mal 480 Pixel zahlte man damals stolze 1.500 Mark. Eine Investition, die sich lohnte. Als Otto Waalkes im Studio war, wollte er zunächst nicht abgelichtet werden. "Aber als er das Bild gleich auf dem Display sah, war er so begeistert, dass wir ihn doch fotografieren durften", sagt Angelina Konrad. Ähnlich sei es dann mit vielen anderen Gästen gewesen.

"World Wide Wait": Redakteure gehen auf langsame Reise

"Wie spricht man eigentlich dieses @-Zeichen aus?" Als die ersten Trailer produziert wurden, die das Angebot von 1Live im Internet bewerben sollten, war die Unsicherheit groß. "Klammeraffe" wurde es umgangssprachlich genannt. Nach einer spontanen Umfrage unter den Onlinern einigte man sich auf die heute übliche Aussprache.

Die Faszination für das Medium Internet nahm rasant zu. Bereits im Juli 1995 lautete eine Schlagzeile in der WDR-Mitarbeiterzeitschrift Print: "Redakteure können per Computer auf Recherchereise gehen". Die Redakteure waren übrigens gut beraten, für ihre Recherchereise auch genügend Proviant einzupacken. Das Kürzel WWW wurde damals mit "World Wide Wait" aufgeschlüsselt. Die erste Homepage des WDR lud fast eine ganze Minute! Und dabei stand dort nur: "Herzlich willkommen beim WDR. Mehr hören. Mehr sehen."

Weitere Themen