Glasfassade des Bonner Post-Towers

Zehn Jahre nach dem Regierungsumzug

Glas und Stahl: Bonn erfindet sich neu

Stand: 01.07.2009, 17:02 Uhr

In Bonn gehen die Lichter aus, hieß es, als nach der letzten Bundestagssitzung am Rhein am 1. Juli 1999 die Umzugswagen nach Berlin rollten. Aber die Stadt verfiel nicht in den Dornröschenschlaf, sondern erfand sich neu.

Ein Bundesadler, der verzweifelt um sein Gleichgewicht kämpft, die eine Kralle in den Schriftzug "Berlin" geschlagen, die andere in "Bonn": Die Karikatur, die Bernd Leyendecker irgendwann mal neben seine Bürotür gehängt hat, wirkt wie eine permanente Ermahnung. Aber wie könnte der Lokaljournalist, der seit 30 Jahren für den "Bonner General-Anzeiger" arbeitet, jemals den 20. Juni 1991 vergessen? Damals fiel die Entscheidung für Berlin und gegen Bonn, mit kaum absehbaren Folgen. "Ein Schock" sei das gewesen, sagt Leyendecker. Er sagt aber auch: "Die grundsätzliche Befürchtung, dass hier alles ganz öde wird, hat sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil."

Tatsächlich: Die Statistik zeigt, dass es in Bonn mehr Jobs, mehr Kaufkraft und deutlich weniger Leerstand als im Rest Deutschlands gibt - obwohl das Parlament und weite Teile der Regierung vor zehn Jahren ihre Zelte endgültig abgebrochen haben. Am 1. Juli 1999 tagte der Bundestag zum letzten Mal am Rhein - nach der Sommerpause ging es in Berlin weiter. Bonn hat seitdem Wissenschaft, Wirtschaft und Vereinte Nationen an den Rhein geholt, sich quasi neu erfunden - und ein neues Gesicht bekommen, das auch Architekturfans anzieht. Ein Strukturwandel, gegossen in Stahl, Glas und Beton.

WDR.de: Herr Leyendecker, was haben Sie gefühlt, als die Regierung aus Bonn wegzog?

Bernd Leyendecker: Da war der größte Schmerz schon vorbei, der Hauptstadtbeschluss ist ja schon acht Jahre vorher gefasst worden. Und in der Zwischenzeit hat man einige Weichen gestellt: Es war klar, dass der UN-Campus in den Langen Eugen kommt und ein Kongresszentrum gebaut wird und dass Post und Telekom in Bonn bleiben. Ganz wichtig war auch, dass sechs Ministerien hier geblieben sind und der Bund alle Immobilien selber nutzt, zum Teil auch neu gebaut hat. Man darf nicht vergessen: Er hat viel, viel Geld investiert, eine Milliarde Euro. Die Berliner mosern zwar immer darüber, aber der Bonn-Berlin-Beschluss sieht halt eine faire Arbeitsteilung und die Präsenz des Bundes vor.

WDR.de: Der Bauboom begann aber schon vorher, ironischerweise kurz vor dem Fall der Mauer.

Leyendecker: Das stimmt, das kollidierte dann mit der Wiedervereinigung. Der Bund hat aber keine Ruinen hinterlassen, weil alle Parteien gesagt haben: "Wir lassen Bonn nicht im Regen stehen." Die Bundeskunsthalle war im Bau und das Haus der Geschichte, da ist alles durchgezogen worden. Auch beim Schürmann-Bau, obwohl der durch ein Hochwasser in Schieflage geraten war. Es gab erst Überlegungen, das abzureißen und eine grüne Wiese daraus zu machen. Jetzt sitzt die Deutsche Welle drin.

WDR.de: Vorher haben die Politiker ja permanent ein schlechtes Gewissen gehabt, weil Bonn offiziell ein Provisorium sein sollte.

Leyendecker: Ja, bis in die 70er Jahre hinein hat man mehr oder weniger rumgeeiert und nur zaghaft gebaut. Damals hieß es, jeder Stein, der in Bonn bewegt wird, ist ein Stein gegen Berlin. Aber dann ist Willy Brandt Kanzler geworden und hat zum ersten Mal definitiv erklärt, der Bund muss der Bundeshauptstadt auch finanziell helfen. Danach ist richtig Gas gegeben worden, da wurde die Hardthöhe für das Verteidigungsministerium aufgebaut oder die "Kreuzbauten" für die Ministerien Justiz und Bildung.

WDR.de: Richtig schön sind die aber nicht.

Leyendecker: Das waren eben alles Zweckbauten. Bei Bundesbauten gibt es ganz genaue Vorschriften: Der Flur darf nur so und so lang sein bis zum nächsten Aufzug, von Oberamtsrat aufwärts bekommt das Büro drei Fenster. Da können nur Zigarrenkisten herauskommen, das würde ich nicht den Architekten vorwerfen.

WDR.de: Um so mehr fallen die "Neubauten" auf.

Leyendecker: Stimmt, das sind richtig schöne Gebäude: die Bundeskunsthalle von Peichl, das städtische Kunstmuseum von Schultes und natürlich der Plenarsaal von Behnisch. Nicht zu vergessen der Post Tower von Jahn, ohne Frage ein exzellentes Gebäude. Ich habe übrigens gehört, dass ganze Gruppen von Architektur-Interessierten nach Bonn kommen, um sich die Bauten anzusehen.

WDR.de: Da hatten die Bauherren eben nicht diese Beschränkungen, von denen Sie gerade sprachen.

Leyendecker: Ja, die konnten bauen, wie sie wollten. Natürlich in Abstimmung mit der Stadt, die die Spielregeln festlegt, damit es keinen Wildwuchs gibt. Für den Post Tower zum Beispiel musste erst der Bebauungsplan geändert werden, da war kein Gebäude mit 40 Geschossen vorgesehen. Aber die Post AG war Bauherr und konnte sich den Architekten aussuchen. Die Telekom an der B9 hat es genauso gemacht. An dem Ergebnis scheiden sich die Geister, aber mir gefällt es ausgesprochen gut.

WDR.de: Interessiert das eigentlich den normalen Bonner, was da gebaut wird?

Leyendecker: Ich glaube nicht, dass der "Normal-Bonner" sich bewusst ist, dass da auf einem relativ kleinen Feld tolle Architektur steht. Der findet zwar die Bundeskunsthalle "schön", der findet das Kunstmuseum "schön" und vielleicht auch den Plenarsaal, aber ich glaube nicht, dass der sagt, ich fahre da mal hin und lasse mir das erklären. Der sieht das eher pragmatisch. Das ist schön, und das war's.

WDR.de: Ist das ehemalige Regierungsviertel überhaupt ein Teil der Stadt? Oder doch eher ein Fremdkörper?

Leyendecker: Früher war es das, als nur die Regierung da war. Jetzt ist das ein bisschen anders wegen der Nutzer, also Post, Telekom und Vereinte Nationen. Jeder zehnte Bonner Arbeitsplatz ist hier, auf einem ziemlich kleinen Gebiet. Das ist ein normales Viertel geworden, das jetzt auch noch aufgehübscht wird. Das wird ein Wohnzimmer der Stadt.

WDR.de: Im ehemaligen Regierungsviertel wird gerade am großen Kongresszentrum inklusive Hotel gebaut. Passt das überhaupt dahin?

Leyendecker: Das eigentliche Kongresszentrum passt unglaublich gut, weil es die Höhe des Behnisch-Baus aufgreift. Da wird auch mit viel Glas gearbeitet, in dem sich die Fassade des Plenarsaales spiegelt. Die Architektur gefällt mir ausgesprochen gut. Das Hotel verändert aber schon einiges. Das musste gebaut werden, weil das Kongresszentrum wirtschaftlich arbeiten muss. Mal sehen, wie es wirkt, wenn es fertig ist.

WDR.de: Kritiker sagen, dann ist vom Geist des Ortes nichts mehr zu spüren.

Leyendecker: Der heimelige Charakter verschwindet, das stimmt. Andererseits ist es ja auch ein gutes Beispiel für den Strukturwandel. Wenn man sich überlegt, was vorher da stand, die kleinen Baracken aus dem 50er Jahren, in dem die FDP-Fraktion und sämtliche Presseorgane untergebracht waren - das war alles sehr provisorisch, das ist jetzt weg.

WDR.de: Vom alten Bonn gibt es keine Spuren mehr?

Leyendecker: Doch, die Abgeordneten-Appartementhäuser an der Heussallee zum Beispiel, oder der Kiosk, der wieder zurückkommt: Die stehen unter Denkmalschutz. Aber es ging nach dem Bonn-Berlin-Beschluss gerade nicht darum, eine Käseglocke über das Viertel zu setzen und zu sagen: "So war das, so bleibt das auch", sondern "Okay, wir haben verloren, jetzt müssen wir sehen, dass wir etwas Neues machen." Und das finde ich durchaus gelungen.

WDR.de: War der Beschluss und der Umzug, im Nachhinein betrachtet, gut für Bonn oder nicht? Es gibt Leute, die sagen, das ist wie bei einer Scheidung: Danach geht es erst richtig los.

Leyendecker: Die grundsätzliche Befürchtung, dass hier die Lichter ausgehen und alles ganz öde wird, hat sich nicht bewahrheitet, im Gegenteil. Der Stadt geht es gut, nicht finanziell, aber das ist bei jeder anderen Stadt auch so. Aber wenn ich vom Glamourfaktor absehe und dass Obama in Berlin spricht und nicht in Bonn und die Queen am Brandenburger Tor steht und nicht auf dem Marktplatz, muss ich sagen: Bonn hat nicht gelitten.

WDR.de: Und der Post Tower ist Bonns neues Wahrzeichen.

Leyendecker: Genau.

Das Interview führte Marion Kretz-Mangold.