Demonstration nach dem Archiveinsturz

Bürger wollen mehr Transparenz

"Juckpulver" für den Kölner Rat

Stand: 25.02.2010, 09:19 Uhr

Sie lesen Ratsprotokolle, schieben Bürgerbegehren an und stehen seit dem Einsturz des Historischen Stadtarchivs jeden Montag vor dem Kölner Rathaus. Innerhalb eines Jahres wurde aus einer E-Mail die Initiative "Köln kann auch anders".

Von Conny Crumbach

Am Anfang stand für das Ehepaar Dorothee Schneider und Frank Deja eigentlich nur der Impuls "jetzt reicht's" und der Wunsch, dem politischen Klüngel in ihrer Stadt nicht länger tatenlos zuzusehen. Vor allem fassungslos darüber, dass niemand in der Stadt Verantwortung für den Einsturz des Stadtarchivs übernehmen wollte, verfassten sie gemeinsam mit einigen Freunden eine Protest-Mail und schickten sie in ihre Verteiler. Eine Aktion mit Folgen: "Bei mir nimmt 'Köln kann auch anders' zurzeit etwa gefühlte eineinhalb Arbeitstage pro Woche ein", sagt Frank Deja, der freiberuflicher Übersetzer ist, über den zeitlichen Aufwand. Auch am Mittwochabend (24.02.2010) ist er dafür unterwegs.

Kabarettist: Freiwillige Selbstzerstörung

In einer Kirchengemeinde im Kölner Stadtteil Dellbrück sitzt er, wie so häufig in den letzten Monaten, auf einem Podium. Unter dem Titel "Lehren aus dem Kölner Stadtarchiv-Einsturz" diskutiert er an diesem Abend unter anderem mit dem Kölner Oberbürgermeister Jürgen Roters (SPD) über die Zukunft der Kölner Politik. Der Kirchenraum ist überfüllt. Viele Menschen sind gekommen, um Fragen zum Archiveinsturz und den Kölner U-Bahn-Bau zu stellen. Zum Warmwerden kommentiert Kabarettist Jürgen Becker kurz und prägnant die jüngsten Ereignisse: "Köln ist die einzige Stadt in der Geschichte, die sich freiwillig selbst zerstört."

"Wir sind keine Bedrohung für den Rat"

Auf dem Podium in Dellbrück ist Transparenz bei politischen Entscheidungen ein wichtiges Thema. Oberbürgermeister Roters reagiert jedoch eher abwehrend auf Vorschläge der Diskussionsteilnehmer, sich nicht nur von der Verwaltung, sondern auch von Experten aus der Bürgerschaft beraten zu lassen. Frank Deja versucht ihn daraufhin zu überzeugen: "Ich möchte Sie bitten, unser Engagement nicht als Bedrohung, sondern als Alternative wahrzunehmen." Von den Zuhörern erntet Deja dafür großen Beifall.

Fernab von Ideologien

"Köln kann auch anders" versteht sich als Plattform für alle, die sich mehr Transparenz und Beteiligung in der städtischen Politik wünschen. Inzwischen wird die Initiative von rund 600 Menschen unterstützt. Darunter sind auch Fachleute etwa aus der Finanzwelt oder dem Bauwesen. "Wir gehören bewusst keiner Partei an und verfolgen keine bestimmten Ideologien", erklärt Frank Deja. "Wir sehen uns als Informationsplattform, und die kann von Bürgern und von der Politik genutzt werden".

"Anfangs wurden wir belächelt"

Seit gut einem dreiviertel Jahr stehen die "Köln kann auch anders"-Organisatoren jeden Montagabend vor dem Rathaus und lassen dort Experten zu verschiedensten Themen Vorträge halten. "Anfangs wurden wir belächelt. Dann gab es großes Misstrauen. Immer verbunden mit der Frage: Was steckt eigentlich dahinter?", beschreibt Deja die Reaktionen auf den Protest. Inzwischen habe die ständige Präsenz vor dem Rathaus etwa so einen Effekt, als "hätte man dem Rat Juckpulver in den Kragen geschüttet", setzt Deja lachend nach.

Schramma ausgebremst

Doch einiges sieht inzwischen nach mehr als Juckpulver aus. Mit ihren Aktionen hat die Bewegung mit dazu beigetragen, dass der ehemalige OB Fritz Schramma nicht als externer Experte in den Aufsichtsrat der Kölner Messe berufen wurde. Eine weitere wichtige Aktion ist das Bürgerbegehren gegen den Abriss des Kölner Schauspielhauses. Etwa alle sechs Wochen lädt "Köln kann auch anders" alle Unterstützer zu einem Treffen ein. "Meist sind wir zwischen 30 und 50 Leuten, und alle wollen konkrete Ideen umsetzen", berichtet Deja. Dabei entstand unter anderem ein umfangreiches Programm zum Jahrestag des Archiveinsturzes am 3. März 2010. Von dem Jahrestag hätte man ohne die Aktivisten in Köln nicht viel mitbekommen. Die Stadt selbst veranstaltet lediglich eine kurze Gedenkstunde im Rathaus.