Digital, direkt, demokratisch?

Grünen-Politiker über "Open Government"

Stand: 21.06.2011, 06:00 Uhr

"Leicht durchschaubar, mit Bürgerbeteiligung" könnte die neue Anforderung an Regierungshandeln und Parteiarbeit sein. Was Landtagsvizepräsident Oliver Keymis (Grüne) sich von Open Government verspricht, hat er WDR.de auf dem Medienforum NRW erklärt.

Oliver Keymis, Jahrgang 1960, ist seit 1997 Mitglied von Bündnis 90/Die Grünen. Als Sachkundiger Bürger im Kultur- und Planungsausschuss der Stadt Meerbusch ist er seit 1998 aktiv. Seit 2000 ist er MdL und seit dem 25. Oktober 2006 Vizepräsident des Landtags NRW. Auf dem 23. Medienforum NRW nimmt er am Mittwoch (22.06.11) an der Podiumsdiskussion mit dem Titel "Digital, offen, partizipativ - Neue Medien, mündige Bürger, neues Regieren" teil. Ein zentrales Thema soll dort das sogenannte "Open Government" sein.

WDR.de: Radikal neue Organisationsformen in der Politik verbinden manche Experten mit dem Ausdruck "Open Government". Herr Keymis, was bedeutet der Begriff für Sie?

Portrait Oliver Keymis

Oliver Keymis

Oliver Keymis: Es soll zunächst mehr Transparenz bedeuten. Die Leute sollen auf den neuen digitalen und elektronischen Wegen mehr Zugangsmöglichkeiten als heute haben, um in Prozesse frühzeitiger eingebunden zu werden. Das ist für mich "Open Government". Ziel ist ein zügiges, effizientes, durchschaubares Verfahren in Fragen, die die Bürger bewegen. Im Idealfall würden sich Konfrontationen wie Stuttgart 21 gar nicht mehr ereignen, weil man die Dinge zukünftig von Anfang an gemeinsam entwickelt.

WDR.de: "Medienkompetenz fördern" will Ministerpräsidentin Hannelore Kraft. Wie medienkompetent ist denn Rot-Grün, wie viel Open Government erwartet uns künftig?

Keymis: Wir haben uns das sogar in der Koalitionsvereinbarung vorgenommen. Aber man muss natürlich realistisch sein. Was in der ganzen Debatte derzeit nicht berücksichtigt wird, dass es immer auch eine Legitimation dessen geben muss, was passiert. In einem repräsentativen System müssen die gewählten Vertreter Dinge erst beschließen. Das müssen möglichst viele mit vollziehen, um dann irgendwann selbst an die Stelle von Abgeordneten treten zu können und Entscheidungen in einem größeren gesellschaftlichen Zusammenhang zu fällen. Das ist ein Prozess, der sich in zwei Jahren nicht vollziehen lässt. Medienkompetenz heißt für mich, Wissen darüber zu vermehren, wie digitale Kulturtechnik funktioniert. Das bedeutet auch, Gutes von Schlechtem zu unterscheiden. Das ist seit tausenden von Jahren schwer. Das können wir nicht mit null und eins erledigen. Das ist ein fortwährender gesellschaftlicher Prozess, den wir mit einzelnen Maßnahmen Stück für Stück vorantreiben müssen.

WDR.de: Wo ist NRW-Politik schon jetzt transparent?

Keymis: Wir haben ein ganz entscheidendes Beispiel erlebt bei der Nicht-Verabschiedung des 14. Rundfunkänderungsstaatsvertrages, da ging es um den Jugendmedienschutz. Ein ganzes Parlament ist aus der Entscheidung ausgestiegen, weil es Druck aus der Basis und aus dem Internet gab. Alle Verantwortlichen haben noch einmal überlegt, ob man das so verabschieden kann und sich dann dagegen entschieden. Das ist für mich ein Beispiel, wie durch die Intervention einer großen Gruppe von Bürgern eine Entscheidung in Frage gestellt wurde.

WDR.de: Allerdings entstand dieser Protest nicht aufgrund des besonders transparenten politischen Prozesses.

Keymis: Nein, aber man kann heute ganz anders an Parteien herantreten und sich in Prozesse einschalten als vor fünf Jahren noch: Verhandlungen im Livestream verfolgen und direkt eine E-Mail schreiben. Und der Mailverkehr hat enorm zugenommen. Bei den Grünen haben wir vor den Wahlen die "Drei-Tage-wach"-Aktion, bei der jeder übers Netz eine Frage stellen kann, die dann auch beantwortet wird. So ergibt sich über Frage und Antwort eine Diskussion und damit Transparenz.

WDR.de: Stichwort Transparenz: Viele Landtagsabgeordnete betreiben Twitterkanäle, Facebook-Profile und Fanpages. Und Sie?

Keymis: Ich bin bei Facebook wieder raus. Ein zentrales Erlebnis war, als mich ein Parteifreund ansprach und sagte: "Du hast mich bei Facebook nicht als Freund akzepiert, ich bin aber in der Partei." Da habe ich gemerkt, dass es schwierig wird, wenn man nicht mehr selbst entscheiden kann, wen man als Freund hat und der Druck zu groß wird. Außerdem erwartet die Community ja zu Recht, dass man sich persönlich um sie kümmert. Weil ich das zeitlich nicht schaffe, bin ich wieder ausgestiegen. In der Regel sind Politiker auch so über das Netz oder über Telefon erreichbar.

WDR.de: Politiker müssen sich aus Ihrer Sicht also nicht in sozialen Medien herumtreiben?

Keymis: Wer etwas von einem Politiker will, braucht die Social Networks nicht. Es ist eine Form, transparent zu machen, was man tut, denkt, politisch gestaltet. Wer das nutzen möchte - Politiker oder Bürger - soll das tun. Ich bin nur gegen einen Zwang dazu. Wir brauchen beides: Die reale Versammlung und die virtuelle Weiterentwicklung und Verbreitung der Themen. Die altbekannten Formen von Protest und Meinungsäußerung werden nicht aussterben, aber die neuen werden zunehmen.

WDR.de: Onlinepetitionen wären ein Beispiel der virtuellen Meinungsäußerung.

Keymis: Das Feld hat sich enorm erweitert und es ist eine gute Möglichkeit. Aber Vorsicht: "Ja, der Meinung bin ich auch", ist schnell gesagt, aber ob jemand dafür auch auf die Straße geht, ist wieder eine andere Frage. Mein Lieblingsbeispiel ist zu Guttenberg: Im Internet fanden sich schnell 500.000 Freunde, bei der Demo in Berlin waren aber nur 150 Leute. Es ist also nochmal ein Unterschied, sich öffentlich zu seiner Meinung zu bekennen.

WDR.de: Bei der Diskussion am Mittwoch (22.06.11) wird auch ein Gast aus Island über das "modernste Mediengesetz der Welt" referieren - haben Sie schon davon gehört, ob über Transparenz die Bürgerbeteiligung gesteigert werden konnte?

Keymis: Die Entwicklung dort hat mit der immensen Enttäuschung über die Regierung und deren Finanzgebaren zu tun. Nun darf man so einen Minikosmos wie Island (knapp über 300.000 Einwohner, Anm. d. Redaktion) nicht vergleichen mit einem Land wie NRW mit 18 Millionen. Es ist viel leichter in einer Stadt wie Reykjavík eine Interessensgruppe oder Community zu organisieren. Dort hat quasi eine digitale Radikalisierung stattgefunden.

WDR.de: Wie transparent könnte Regierungshandeln denn in NRW einmal werden?

Keymis: Das hängt vom System ab. Wir leben in einem repräsentativen System und wenn man sich als Politiker zur Wahl stellt, hat man bestimmte Vorstellungen, die man gemeinsam mit Leuten vertritt. Das sind ja heute auch schon sehr komplizierte Prozesse. Nicht jeder kann überall mitreden, es bilden sich Fachleute heraus zu bestimmten Fragen. Meine Vision wäre, dass wir dieses geballte Wissen stärker miteinander vernetzen und zu einer gemeinsamen Meinungsbildung kommen. Dennoch werden das manche weiterhin hauptberuflich machen und andere nicht. Dazu müsste eine pluralistische Gesellschaft in der Lage sein. Dafür muss nicht immer jeder alles mitentscheiden. Das endet in einem Chaos.

Das Gespräch führte Insa Moog.