Schreibende Hände auf einer Laptoptastatur

"Das sind meine Daten!"

Die Macht der digitalen Gewohnheit

Stand: 19.05.2014, 12:00 Uhr

"Ich habe doch nichts zu verbergen!" Wirklich nicht? Der Netzwerkforscher Sam Zeini erklärt, was Internetkonzerne aus unseren Daten alles herauslesen können - und warum das die meisten trotzdem nicht juckt.

Er ist eine Art Goldgrube 2.0: Der unermeßliche Datenreichtum, den Internetkonzerne wie Google, Facebook und all die anderen anhäufen - und die große Macht, die sie damit ausüben, oder zumindest ausüben könnten. Als Netzwerkforscher nutzt der Wuppertaler Soziologe Sam Zeini ganz ähnliche Verfahren wie die Konzerne - und er hat eine Erklärung dafür, warum die meisten User die Datensammelwut nicht als bedrohlich empfinden.

Was sind die Analyse-Instrumente der Internetfirmen? Oder anders gefragt: Was machen die eigentlich mit unseren Daten?

Die Herausforderung bei diesen großen Datenmengen ist zunächst einmal, dass es sehr viel "noise" gibt, also Hintergrundgeräusche. Deshalb muss man erst einmal das Relevante vom weniger Wichtigen trennen. Dafür gibt es bestimmte Analyseverfahren. Im nächsten Schritt geht es darum, Werbung zu platzieren, denn damit verdienen die Unternehmen ihr Geld. So durchsucht beispielsweise Google Ihre E-Mails, um, basierend auf Schlagworten, zielgerichtet Werbung zu schalten, die Sie anspricht. Darüber hinaus kann man sogenannte Netzwerkanalysen durchführen: Dafür wird dann beispielsweise ein Diskussionsverlauf grafisch dargestellt, mit den einzelnen Diskussionsteilnehmern als Knoten. Da lassen sich dann Meinungsmacher identifizieren, also Nutzer, die diese Community zusammenhalten und prägen. Kennt man die Meinungsmacher, kann man über sie eine Diskussion gezielt beeinflussen und in eine gewünschte Richtung lenken.

Längst gibt es ja auch wissenschaftliche Studien, die belegen, welche teilweise sensiblen Informationen - Geschlecht, Religionszugehörigkeit oder sexuelle Orientierung - sich erstaunlich zuverlässig aus den digitalen Spuren ableiten lassen, die einzelne Nutzer hinterlassen. Trotzdem sagen viele immer noch: "Ich habe doch nichts zu verbergen." Was antworten Sie darauf?

Es ist auch unsere Erfahrung, dass die Nutzer nach wie vor nicht ausreichend sensibilisiert sind und immer noch zu viel Information preisgeben. Dabei gehören die Daten ihnen - aber die Unternehmen nutzen sie für ihre Zwecke, ohne dass die User etwas dafür bekommen. Sie arbeiten also im Prinzip umsonst für diese Firmen. Und selbst wenn sich jemand, zum Beispiel mit Blick auf mögliche Arbeitgeber, besonders positiv darstellt, kann er Probleme bekommen: Dann passiert es nämlich schnell, dass die natürliche Umgebung abgeschreckt wird, dass sich also zum Beispiel die richtigen Freunde daran stören, dass jemand im Netz ein unrealistisches Bild von sich selbst verbreitet. Das haben wir schon häufig beobachtet.

Und warum sind wir trotz allem, was wir mittlerweile über Datenschnüffelei und die Überwachungs-Maschinerie wissen, so bequem und unvorsichtig? Hat das etwas damit zu tun, dass sich viele einfach gar nicht vorstellen können, was mit unseren Daten alles möglich ist?

Ja. Zum Einen ist die mögliche Bedrohung zu abstrakt und für viele einfach sehr weit hergeholt. Zum Anderen schiebt man das alles gerne vor sich her, weil es Aufwand bedeutet: Die Privatsphäre-Einstellungen von Facebook zum Beispiel sind sehr komplex, da muss man sich durch ganze Listen durchklicken. Das ist generell das Problem: Die Nutzung solcher Plattformen ist ganz einfach, weil sie ganz normale Prozesse nachbildet, die wir aus dem Alltag kennen. Das ist alles unkompliziert. Aber dahinter steckt eine ziemlich komplizierte Technik - und wenn man sich damit näher beschäftigen will, wird es schnell sehr abstrakt.

Was müsste sich denn Ihrer Ansicht nach ändern?

Klar ist: Wir können das Ganze nicht mehr aufhalten. Die Kommunikationsstrukturen haben sich nun mal etabliert, die Leute haben sich daran gewöhnt, zum Beispiel mit ihren Klarnamen im Netz unterwegs zu sein. Und: In Deutschland läuft das im internationalen Vergleich immer noch recht zurückhaltend. In den USA zum Beispiel steht es um den Datenschutz deutlich schlechter. Trotzdem müssen wir etwas ändern - wenn ich mir zum Beispiel vorstelle, wie die Bundeskanzlerin darauf reagiert hat, dass sie von der NSA abgehört wurde. Sie hat es einfach hingenommen. Als Leitfigur vermittelt Angela Merkel den Bürgern damit den Eindruck: Wenn die das auch einfach hinnehmen, können wir uns erst recht nicht dagegen wehren.

Besteht nicht die Gefahr, dass sich die Situation bei uns - allen Bemühungen der EU zum Trotz - der in den USA annähert, zumal viele Plattformen von dort aus betrieben werden?

Die Entwicklung ist schon ein bisschen erschreckend - vor allem, wenn man bedenkt, wie eng dort Unternehmen und Nachrichtendienste kooperieren. Das gilt auch für die Wissenschaft: Da führen wir zum Beispiel mit Militärforschern intensive Diskussionen über ethische Standards.

Und was kann der Einzelne tun?

Man sollte keine Angst schüren - aber es sollte ein Verständnis dafür geben, was alles möglich ist. Und es geht um die grundsätzliche Einstellung. Jeder sollte sich klar machen: "Das sind meine Daten und die gehen niemanden etwas an!" Wir müssen es schaffen, diese abstrakte Gefahr konkreter werden zu lassen. Es gab schon Versuche, in denen man Facebook-Nutzer im echten Leben mit Informationen konfrontiert hat, die sie auf ihrer Seite gepostet hatten. Die waren teilweise sehr erschrocken.

Das Gespräch führte Anna Beerlink.