Polizisten mit Waffen und Schlagstöcken

Islamische Dschihad Union

Und die Erkenntnis aus dem Geständnis?

Stand: 04.03.2010, 15:00 Uhr

Bis zum Prozess gegen die Sauerlandgruppe kannte kaum jemand die Islamische Dschihad Union. Doch deren vier in Düsseldorf verurteilte Mitglieder haben ausgiebig über diese Terrororganisation ausgesagt. Was sind diese Informationen wert?

Dr. Guido Steinberg gehört der Forschungsgruppe Naher Osten und Afrika in der Stiftung Wissenschaft und Politik an. Einer seiner Forschungsschwerpunkte in dem Berliner Institut ist der islamistische Terrorismus. Für die Bundesanwaltschaft hat Steinberg ein Gutachten über die Islamische Dschihad Union verfasst, der die Sauerland-Gruppe angehörte.

WDR.de: Haben die Geständnisse überhaupt neue Erkenntnisse über die Islamische Dschihad Union gebracht?

Guido Steinberg: Die Aussagen sind sehr wertvoll gewesen. Allerdings ist es fraglich, was die Sicherheitsbehörden davon nutzen können. Es ist das erste Mal hier in Deutschland, dass Mitglieder einer terroristischen Zelle so weitgehend über ihren gesamten Werdegang Auskunft gegeben haben. Man kann daran sehr gut nachvollziehen, dass es nicht nur, wie in der Vergangenheit vermutet, entweder vollkommen unabhängige Zellen gibt oder Zellen, die sehr, sehr eng an eine große Organisation angebunden sind. Sondern es gibt Mischformen. Und die Sauerland-Zelle scheint so ein Fall gewesen zu sein, bei dem die Radikalisierung weitgehend unabhängig von größeren Organisationen hier in Deutschland stattfindet und die Rekruten dann selbst die Anbindung an eine Organisation suchen, um sich so die notwendige Ausbildung zu verschaffen. Das ist eine sehr explosive Mischung, die für die Sicherheitsbehörden ganz neue Herausforderungen bedeutet.

WDR.de: Welche Ziele hat die Dschihad Union, außer in Usbekistan einen islamischen Staat zu errichten?

Guido Steinberg, Islamwissenschaftler und Terrorismus-Experte

Guido Steinberg

Steinberg: Das ist das Ursprungsziel dieser Organisation. Sie hat ihre Strategie jedoch erweitert, weil sie sich seit 2002 in Pakistan aufhält. Das Nahziel der Dschihad Union ganz sicherlich, die Taliban in Afghanistan wieder an die Macht zu bringen, indem man die ausländischen Truppen zu einem Rückzug zwingt.

WDR.de: Die Mitglieder der Sauerland-Gruppe haben ausgesagt, ihr Ausbildungsleiter im Terrorcamp habe sie ermuntert, Anschläge auf deutsche Politiker zu begehen. Ist das glaubhaft?

Steinberg: Das kann man in der eigentlichen Anschlagsplanung nicht mehr nachvollziehen. Ganz deutlich ist, dass die Gruppe amerikanische Ziele hier in Deutschland angreifen wollte. Das ist gesichert und lässt sich auch an der Vorgehensweise bei der Anschlagsplanung nachvollziehen.

WDR.de: Gehen Sie davon aus, dass die Dschihad Union weiter in Deutschland aktiv ist?

Steinberg: Das ist sehr schwer zu sagen. Zunächst einmal ist die Organisation in Pakistan heute sehr geschwächt. Sie war ohnehin eine sehr kleine Organisation. Und es scheint eher zufällig gewesen zu sein, dass sie eine deutsche Zelle für sich gewinnen konnte. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass die Organisation eine Unterstützer-Szene in Deutschland aufgebaut hat.

WDR.de: Der Prozess gegen die Sauerland-Gruppe hat einen Tätertyp erkennen lassen, der sonst im Leben nicht viel auf die Reihe bekommen hat. Ist das typisch für Europäer, die sich für den islamistischen Terrorismus anwerben lassen?

Steinberg: Die Angehörigen der Sauerlandzelle sind sicherlich kein islamistisches Lumpenproletariat. Es sind Leute, die wie viele andere auch Probleme auf ihrem Lebensweg gehabt haben. Unter den deutschen Dschihadisten gibt es Rekruten, die durchaus erfolgreiche junge Leute mit Studienabschlüssen und besten Aussichten im Leben sind, es gibt andererseits Leute, die eher als Beispiele für eine gescheiterte Integrationspolitik gelten und die im Terrorismus Alternativen für ihr Leben suchen. Die Spannbreite ist so groß, dass man überhaupt nicht mehr vom Profil des islamistischen Terroristen reden kann. Und das ist eines der Probleme, mit denen unsere Sicherheitsbehörden stark zu kämpfen haben.

Das Gespräch führte Stefan Michel.