Envio-Gebäude in Dortmund

Viele Vorwürfe gegen Dortmunder Firma

Arbeiter schildert Schlamperei bei Envio

Stand: 20.07.2010, 16:03 Uhr

Im Skandal um die Dortmunder Firma Envio berichtet ein Leiharbeiter des Unternehmens dem WDR von schlechten Sicherheitsvorkehrungen und dubiosen Arbeitsbedingungen. Der Mitarbeiter muss selbst mit stark erhöhten PCB-Werten im Blut leben.

Von Wolfram Goetz

"Ich habe mich total scheiße gefühlt, mit meinen hohen Werten", sagt Jörg Tetzlaf in einem exklusiven Interview mit dem WDR-Fernsehen: "Der Spitzenwert lag ja 300 Mal höher als der Durchschnitt, da habe ich mich ein bisschen verrückt machen lassen. Aber mein Hausarzt hat mich beruhigt und gemeint, es kann was passieren, es muß aber nichts passieren." Ein 300fach erhöhter Wert sei nicht gleichbedeutend mit einem 300fach erhöhten Krebsrisiko.

Neun Monate lang hat Jörg Tetzlaf (49) bei der Entsorgungsfirma Envio am Dortmunder Hafen gearbeitet. Als Leiharbeiter war er bis zur Stillegung des Betriebes im Mai dabei. Damals waren in Kehrproben sehr hohe PCB-Konzentrationen gemessen worden, teils tausendfach über dem einschlägigen Grenzwert. Auch im Blut von 30 untersuchten Envio-Mitarbeiter fanden sich extrem hohe Mengen PCB, im Einzelfall lag ein bestimmter Wert 25.000fach über dem Bevölkerungsdurchschnitt. Einen medizinischen Grenzwert gibt es nicht.

Verseuchte Transformatoren im Freien geöffnet

PCB gilt unter anderem als krebsfördernd und wurde deswegen 1989 in Deutschland komplett verboten. Die Altlasten beschäftigen Entsorgungsbetriebe aber bis heute: Bei Envio wurden PCB-haltige Transformatoren gesäubert, teilweise zerlegt, und dann als sauberer Schrott weiterverkauft. Laut Envio geschah das in einem speziellen System, mit einer klaren Trennung zwischen einer Werkshalle für belastetes und einer für bereits gereinigtes Material. Jörg Tetzlaf will aber selbst gesehen habe, wie Transformatorengehäuse unter freiem Himmel auf dem Werksgelände geöffnet wurden: "Was mir sehr merkwürdig vorkam. Der Kollege, der das machen musste, hat Vollschutz getragen, das heißt, Gesichtsmaske mit seitlichem Filter und auch einen speziellen Arbeitsanzug. Er hat uns dann auch immer gewarnt und hat gesagt: Kommt jetzt nicht hierhin, das ist ganz giftig."

Werkshalle stand meist offen

So etwas sei zwar nicht regelmäßig geschehen, hätte aber überhaupt nur an einem Ort durchgeführt werden dürfen: in der Halle 1 auf dem Envio-Gelände, im sogenannten "schwarzen Bereich" mit kontaminiertem Material, wo Jörg Tetzlaf arbeitete. Dort herrschte laut Envio Unterdruck, damit kein Gift nach außen gelangen sollte. Der Leiharbeiter sagt dazu: "Die Tore waren eigentlich immer offen, jedenfalls die Lkw-Ausfahrt. Da es keine Absaugung gab, war es in der Halle mit den Rüttelöfen, mit Dampfanlage und Schredderraum sonst so warm, das hat man gar nicht ausgehalten."

Keine saubere Trennung der Arbeitsbereiche

Auch sei die klare Trennung des sauberen und unsauberen Bereichs nicht durchgehalten worden: Vorarbeiter und Betriebsleiter seien von der einen in die andere Halle gelaufen, ohne - wie vorgeschrieben - die Schuhe zu wechseln. Auch sei Werkzeug vorübergehend in der jeweils anderen Halle verwendet worden. Andererseits sei keineswegs überall geschlampt worden: "Dass da PCB direkt verschüttet wurde, kann ich nicht behaupten. Und wenn, so wie ich es gesehen habe, wurde es auch sofort entfernt, mit Ölfresser oder mit Putzlappen." Auch habe er nach der Einarbeitung jeden Tag Chemikalien-Schutzanzüge getragen oder zumindest eine Staubmaske. Auch die Kollegialität im Betrieb sei gut gewesen.

Bei der Polizei hat Jörg Tetzlaf bereits ausgesagt. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Envio wegen gefährlicher Körperverletzung, wegen Umweltdelikten und wegen möglichen Betruges. Noch wurden nicht alle Beschäftigten vernommen, ihre Angaben sind bisher widersprüchlich. Die Envio-Geschäftsführung weist die Vorwürfe zurück und hüllt sich ansonsten weitgehend in Schweigen. In einer schriftlichen Stellungnahme ist von möglichen Altlasten auf dem Gelände und von "vereinzelten Fehlern im Betriebsablauf" die Rede.

Vorwürfe auch gegen Bezirksregierung Arnsberg

Anwohner und Kommunalpolitiker erheben zudem Vorwürfe gegen die Bezirksregierung Arnsberg, sie sei Hinweisen auf Schlamperei bei Envio lange nicht wirklich nachgegangen, sondern habe Envio sogar noch 2009 eine neue Betriebsgenehmigung erteilt. Die Bezirksregierung erklärte auf Nachfrage, es habe vor Mai dieses Jahres keinen Anlass geben, Envio ganz oder auch nur teilweise stillzulegen. Zwar habe die Firma zeitweise Anlagenteile ungenehmigt betrieben, jedoch seien durch diese insgesamt weniger Immissionen produziert worden, so dass die betreffende Genehmigung nachträglich erteilt worden sei.