Kirchliche Offensive gegen Missbrauch

Von Opfern, Tätern und schlechten Geheimnissen

Stand: 02.10.2012, 15:00 Uhr

Die katholischen Kirche in NRW nimmt den Kampf gegen sexuellen Missbrauch auf. Tausende haupt- und ehrenamtliche Mitarbeiter werden in den kommenden Monaten geschult, um Kinder und Jugendliche vor Übergriffen bestmöglich zu schützen. WDR.de hat am Montagabend (01.10.2012) einen der ersten Kurse besucht.

Von Susanne Schnabel

Man begrüßt sich leise, einige blättern in Büchern gegen sexuellen Missbrauch, die auf einem Tisch ausgelegt sind. Die Stimmung ist angespannt. In Mönchengladbach lernen 25 Menschen erstmals das, was die Deutsche Bischofskonferenz vor zwei Jahren beschlossen hat: die gezielte Prävention von sexuellem Missbrauch an Minderjährigen. Katecheten - Eltern, die Kinder auf die Firmung oder die Erstkommunion vorbereiten - nehmen im Pfarrraum der katholischen Gemeinde St. Johannes an diesem dreistündigen Kurs teil, einem der ersten in NRW.

Positive Rückmeldung

Gemeindereferent Roland Weber, der die Erstkommunion 2013 koordiniert, hatte Bedenken, ob sich genügend Eltern als Katecheten zur Verfügung stellen. Für diese ehrenamtliche Aufgabe opfern die Katecheten sowieso viel Zeit - und nun kommt ein weiterer Pflicht-Kurs dazu. Bedenken hatte er auch, dass einigen das Thema peinlich sein könnte. "Ich bin positiv überrascht, dass dies überhaupt kein Problem war. Das führe ich darauf zurück, dass die Katecheten, die selber Kinder in diesem Alter haben, sehr sensibel bei der Materie sind", sagt Weber. Er geht allerdings davon aus, dass doch einige mit einem mulmigen Gefühl kommen, und möchte die Katecheten gemeinsam mit Pfarrer Michael Schicks bei diesem Kurs begleiten. Für die Teilnehmerin Claudia Münch steht fest, dass solche Maßnahmen wichtig und richtig sind: "Ich spüre eine Verantwortung den Kindern gegenüber, die mir anvertraut werden. Hier heute Abend zu sein, ist für mich kein Opfer, sondern eine Chance, mehr Sicherheit zu bekommen."

Erfahrene Referentinnen

Im Stuhlkreis haben alle Platz genommen. Die Diplom-Pädagoginnen Martina Specker und Ursula Hakes sorgen schnell für eine entspannte Atmosphäre. Schon nach wenigen Minuten wird herzlich gelacht, als sie fragen, wer an diesem Montagabend lieber zu Hause geblieben wäre, und sich eine ehrliche Teilnehmerin meldet. Die Referentinnen sind extra für diesen Kurs vorbereitet worden und bringen selber viel Erfahrung mit - durch Präventionsschulungen für andere Einrichtungen und die langjährige Arbeit mit Kindern und Jugendlichen. Probleme sexueller Übergriffe kennen sie aus ihrer täglichen Arbeit.

Handlungsleitfäden für Laien

Im Laufe der Schulung erfahren die Teilnehmer, wie Täterinnen und Täter vorgehen, in welcher problematischen Lage sich die Oper befinden und an wen sich die Katecheten wenden können, wenn sie einen Verdacht haben oder sich ein Kind offenbart. Die Kursleiterinnen betonen, dass Laien auf keinen Fall selber eingreifen dürfen, sondern die Verantwortung an geschulte Fachleute abgeben sollen. Die Referenten sind darauf vorbereitet, dass Teilnehmer selber Erfahrungen mit sexuellem Missbrauch gemacht haben. Rein statistisch gesehen ist das sehr wahrscheinlich – nach Expertenschätzungen hat etwa jedes fünfte Mädchen und jeder zwölfte Junge sexuelle Übergriffe erlebt, meist in der Familie oder dem näheren Umfeld.

Täterinnen und Täter abschrecken

Ziel der Schulung ist es auch, Täterinnen und Täter abzuschrecken, indem sexueller Missbrauch offen thematisiert wird und klar ist, dass der Schutz der Schwachen höchste Priorität hat. "Immer mehr gucken hin, übernehmen Verantwortung und betroffene Kinder und Jugendliche können sich leichter an Erwachsene wenden. Der ein oder andere Täter zieht sich nach unseren Erfahrungen aus einem solchen Umfeld zurück", so Martina Specker. Allen Geschulten wird am Ende des Kurses eine Selbstverpflichtungserklärung zur Unterschrift vorgelegt. Darin erklären sie, dass sie von seelischer, körperlicher oder sexueller Gewalt Abstand nehmen. Außerdem verpflichten sich die Mitarbeiter zum Eingreifen, wenn sie von möglichen Übergriffen etwas erfahren, und werden auf die disziplinarischen und strafrechtlichen Folgen von Fehltritten hingewiesen. "Auch diese Unterschrift könnte möglicherweise Täter davon abhalten, Kinder zu missbrauchen", sagt Specker.

Kein Tabu-Thema

Die drei Stunden, da sind sich die Kursteilnehmer aus Mönchengladbach einig, waren kurzweilig und sehr informativ. Katechet Michael Franken begrüßt dieses Engagement der katholischen Kirche. Das Thema dürfe nicht mehr tabu sein. Die Schulung, sagt er, hätte die Teilnehmer mit anschaulichen Beispielen sensibilisiert und die Referentinnen hätten viele praktische Tipps gegeben, wie man sich in gewissen Situationen verhalten sollte. Franken: "Ich werde mir zum Beispiel den Satz merken: Die schlechten Geheimnisse darf man immer weiter erzählen."