Aloisiuskolleg in Bonn

Sexueller Missbrauch in kirchlichen Institutionen

Missbrauchsfälle in den NRW-Bistümern

Stand: 24.03.2010, 09:37 Uhr

Viele Fälle liegen Jahrzehnte zurück und sind juristisch verjährt. Andere beschäftigen die Staatsanwaltschaft. Und es tauchen immer noch neue Fälle auf. WDR.de hat den Kenntnisstand zum Missbrauch in katholischen Instituten von NRW zusammengestellt.

In ganz Deutschland werden täglich mehr Fälle von Kindern und Jugendlichen, die von Geistlichen missbraucht wurden, bekannt. Der aktuelle Stand der Vorfälle und Vorwürfe in Nordrhein-Westfalen:

Bistum Köln

Sechs Jesuitenpatres stehen im Verdacht, Schüler des Bonner Aloisiuskollegs sexuell missbraucht zu haben. 30 Fälle insgesamt sind inzwischen bekannt, es könnten aber noch mehr werden. Gegen einen mittlerweile 82-jährigen Pater ermittelt die Bonner Staatsanwaltschaft. Er soll einen Jungen im Jahr 2005 beim Duschen belästigt haben. Der Jugendliche, der die Schule in Bad Godesberg noch besucht, hat sich einem Lehrer anvertraut. Derselbe Pater soll zudem mindestens zwölf Schüler in den 1970er und 80er Jahren missbraucht haben. Die Vorwürfe sind erst kürzlich gemeldet worden. Der Geistliche lebt inzwischen in einem Pflegeheim.

Auch an einem Internat der Pallottiner-Gesellschaft in Rheinbach soll es Anfang der 1960er Jahre mindestens drei Missbrauchsfälle gegeben haben. Der betreffende Geistliche wurde suspendiert.

Darüber hinaus gab es nach Angaben des Erzbistums Köln in den vergangenen 30 Jahren einen weiteren Fall sexuellen Missbrauchs, der strafrechtlich geahndet wurde. In drei weiteren Fällen gab es Ermittlungen, die jedoch eingestellt wurden. 2008 erhielt das Bistum zudem Informationen, dass sich in den 1970er Jahren ein mittlerweile verstorbener Pfarrer an Kindern vergriffen haben soll.

Bistum Essen

Im Bistum Essen ist bisher gegen fünf Priester ermittelt worden. Ein Geistlicher hat im Jahr 2008 ein Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten erhalten, ein weiterer wurde zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Ein Verfahren wurde eingestellt, ein Fall war bereits verjährt. In allen Fällen wurden neben strafrechtlichen von der Kirche selber disziplinarische Maßnahmen ergriffen: zumeist Versetzungen mit der Gewährleistung, dass die Täter zukünftig nicht mehr mit Kindern und Jugendlichen zu tun haben würden.

Darüber hinaus ist ein ehemaliger Essener Domkapitular wegen sexuellen Missbrauchs eines 16-Jährigen verurteilt worden. Der 66-Jährige erhielt ohne öffentliche Verhandlung einen Strafbefehl über 14.000 Euro und ist damit vorbestraft. Nach Informationen des WDR soll sich die Tat im Dezember 2009 in der Dienstwohnung des Geistlichen abgespielt haben. Nach Bekanntwerden der Vorwürfe legte er seine Ämter nieder. Das Bistum Essen hat zudem ein kirchenrechtliches Verfahren eingeleitet.

Einem früheren Mitarbeiter des "Franz Sales Hauses" wird aktuellen Medienberichten zufolge sexueller Missbrauch eines Schutzbefohlenen vorgeworfen. Ein ehemaliger Bewohner soll Ende der 1960er Jahre hier missbraucht worden sein. Das "Franz Sales Haus" betreut 1.500 Menschen mit Behinderung. Es versteht sich zwar als katholische Einrichtung, der Trägerverein ist aber eine selbstständige Vereinigung, so dass das "Franz Sales Haus" nicht dem Verantwortungsbereich des Bistum Essen zugeordnet wird.

Bistum Aachen

Vier Geistliche im Bistum Aachen gerieten unter Verdacht, Schutzbefohlene missbraucht zu haben. Der aktuelle Fall: Ein Pfarrer, der aus Willich stammt und in Johannesburg/Südafrika eingesetzt wurde. Er soll sich dort während einer Freizeit den Kindern unsittlich genähert haben. Die zurückliegenden Vorfälle ereigneten sich in den Jahren 1978, 1979 und 1988. Zwei der Fälle wurden juristisch geahndet.

Darüber hinaus liegen dem Missbrauchsbeauftragten Vorwürfe gegen zwei Priester vor, die zunächst noch auf ihren Wahrheitsgehalt geprüft werden müssen.

Bistum Münster

Einem Pater der Herz-Jesu-Missionare wird vorgeworfen, 1993 auf einer Klassenfahrt eine Schülerin sexuell belästigt zu haben. Der beschuldigte Pater war damals als Schulseelsorger an einer Schule in Münster tätig. Zuletzt wirkte er an einem Kloster in Bayern. Der Fall sei schon damals vom Kultusministerium, der Aufsichtsbehörde und der Schulleitung behandelt und die Vorwürfe gegen ihn ausgeräumt worden, sagte Christian Lucya von den süddeutschen Herz-Jesu-Missonaren. Der heute 47-jährige Pater hatte jüngst die Staatsanwaltschaft um die erneute Klärung der Vorwürfe gegen ihn gebeten. "Das ist aber keine juristische Selbstanzeige", so Pater Werner Gahlen von der Ordensgemeinschaft in Münster am Mittwoch (24.03.10) gegenüber WDR.de. Der Mann sei wegen den erneuten Anschuldigungen nervlich am Ende.

Ein Pfarrer in der Gemeinde St. Benedikt in Münster hat den Bischof von Münster um die sofortige Entpflichtung von seinem priesterlichen Dienst gebeten. Dem Wunsch des Pfarrers habe Bischof Felix Genn entsprochen, teilte die Bischöfliche Pressestelle am Sonntag (14.03.10) in Münster mit. Dem Bistum lägen jedoch "keine aktuellen Anschuldigungen oder Verdachtsäußerungen" vor, so die Pressestelle.

Weiter ist es in der Vergangenheit zu einem Vorfall in einem von den Pallottinern betreuten Internat in Rheinberg gekommen. Der Beschuldigte wurde aus dem Dienst genommen, therapeutisch behandelt und wechselte dann in die Altenarbeit. Die Schule wurde 1970 geschlossen.

Insgesamt soll es seit 2002, als die Leitlinien "Zum Vorgehen beim sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Geistliche" erlassen wurden, zehn Verdachtsfälle gegeben haben. "Ich habe mittlweile den Überblick verloren", so Bistumssprecher Karl Hagemann gegenüber WDR.de. Er könne keine genauen Zahlen zu aktuellen Fällen nennen. "Das ist Detektivarbeit, so etwas nach so langer Zeit zu ermitteln."

Bistum Paderborn

Ein Benediktiner-Mönch der Abtei Königsmünster im sauerländischen Meschede hat mittlerweile Selbstanzeige wegen sexuellen Missbrauchs erstattet. Die Staatsanwaltschaft Arnsberg spricht von insgesamt 19 Geschädigten. Schon an seiner früheren Arbeitsstelle, einem Hagener Kinderheim, soll es zu Übergriffen gekommen sein. Später habe der Mann dann zu Schülern eines Gymnasiums Kontakt gehabt, das die Abtei Königswinter auf dem Klostergelände in Meschede unterhält. Der Benediktinerbruder des Klosters soll Schüler auf Freizeiten begleitet haben. Nach erstmaligem Bekanntwerden der Vorwürfe im Jahr 2000 sei er mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben entbunden worden. Zwischen 2000 und 2005 lebte der Mönch in einer Abtei im Ausland. Den dortigen Verantwortlichen waren die Hintergründe bekannt. Während dieser Zeit habe sich der Ordensmann einer mehrjährigen Therapie unterzogen. "Wir prüfen zur Zeit, ob die Fälle möglicherweise schon verjährt sind", so Oberstaatsanwalt Josef Hempelmann gegenüber WDR.de.

Auch in Werl soll ein Geistlicher einen Internatsschüler missbraucht haben. Von dem Vorfall aus dem Jahr 1980 hat die Kirche erst 2002 erfahren. Der Mitarbeiter ist kurz darauf suspendiert worden, strafrechtliche Folgen hatte die Tat nicht - angeblich auf Wunsch des Opfers. Ein Dortmunder Vikar wurde darüber hinaus 2003 zu sechs Jahren und drei Monaten Freiheitsstrafe verurteilt, 2009 erhielt ein zweiter Kleriker wegen Missbrauchs von Minderjährigen eine Strafe von zwei Jahren auf Bewährung. Beide wurden von der Kirche entlassen. "Wir müssen davon ausgehen, dass es weitere, uns nicht bekannte Fälle gibt. Die derzeit hergestellte Öffentlichkeit für das Thema ist ein positiver Tabubruch", erklärt der Paderborner Erzbischof Hans-Josef Becker.