Rosenkranz in der Hand eines Geistlichen

Reaktionen der Gläubigen

Betroffenheit, aber wenig Austritte

Stand: 22.03.2010, 09:00 Uhr

Nach den Missbrauchsfällen sind viele Gläubige ratlos und empört. Zunächst bleiben sie aber ihrer Kirche treu. Eine Austrittswelle erwarten die beiden christlichen Kirchen erst in einem halben Jahr.

"Die letzten Wochen und Tage haben uns teilweise den Atem verschlagen angesichts der fast täglich neuen Fälle in unserer Kirche. Wir fühlen uns wie gelähmt vor Entsetzen", schreibt die Katholikin Gertrud Kantert aus Kaarst. Briefe dieser Art gehen derzeit häufig in der Redaktion der "Kirchenzeitung" ein, die vom Bistum Köln herausgegeben wird. "Zum Thema Missbrauch bekommen wir seit Mitte Februar deutlich mehr Leserbriefe als zu anderen Themen", sagt Redakteur Helmut Pathe.

Verstörung unter den Gläubigen

Empörung und Betroffenheit ja, Austritte nein - so fassen die Bistümer Köln, Aachen, Essen, Münster, Paderborn der katholischen Kirche und die evangelische Kirche in Rheinland und Westfalen die Reaktionen ihrer Gemeinden zusammen. "Natürlich bekommen wir vermehrt Briefe und Mails, in denen Menschen den Gedanken formulieren, aus der katholischen Kirche auszutreten", sagt Ägidius Engel, Sprecher des Bistums Paderborn. "Die meisten Briefeschreiber wollen sich jedoch nicht von der Kirche abwenden, sondern uns mitteilen, dass sie verstört sind und ihr Vertrauen in unsere Institution verloren haben." Das Bistum versuche, alle Anfragen zu beantworten. "Wie sind froh, dass die Menschen erst das Gespräch mit uns suchen", sagt Engel.

Konkrete Austrittszahlen liegen derzeit für den Zeitraum seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle nur für das Bistum Essen vor. Dort meldeten die Amtsgerichte nicht mehr Kirchenaustritte als vor dem Skandal.

Auch Evangelische Kirche von Missbrauchsfällen betroffen

Aber die Mitarbeiter der katholischen Kirche spüren den Unmut ihrer Gemeindemitglieder - wie im Bistum Aachen. "Die Gläubigen sind irritiert und fordern von uns Aufklärung und Orientierung ein", sagt Franz Kretschmann. Das Bistum und seine Mitarbeiter müssen immer wieder erklären, wie sie mit Missbrauchsverdacht umgehen und den Opfern helfen.

Diese Auskünfte verlangen mittlerweile auch die Mitglieder der evangelischen Kirche. Wie die Evangelische Kirche im Rheinland am Montag (22.03.2010) bekannt gibt, litten Kinder und Jugendliche auch in evangelischen Heimen und Internaten unter sexuellem Missbrauch und Erziehungsmethoden, die auf Gewalt und Einschüchterung setzten. "Solche Taten sind ein gesamtgesellschaftliches Problem, das auch unsere Kirche nicht ausschließt. Wie die Katholische Kirche sind wir von Missbrauchsfällen betroffen", sagt Jens Peter Iven, Sprecher der Evangelischen Kirche im Rheinland.

Problem der Katholischen Kirche?

Andreas Duderstedt von der Evangelische Kirche in Westfalen distanziert sich von diesen Aussagen. "Wir hatten in den letzten 15 Jahren zwei Fälle von Missbrauch. Die Täter wurden strafrechtlich verfolgt und rechtskräftig verurteilt. Wir hoffen, die Menschen können unterscheiden: Missbrauch ist vor allem ein Problem der Katholischen Kirche." Die Evangelische Kirche in Westfalen verzeichne keine gestiegenen Austrittszahlen.

"In dem Laden arbeitest du?"

Viele Gemeindemitglieder bleiben ihrer Kirche vorerst treu. "In den letzten beiden Monaten ist keiner unserer 5.000 Gemeindemitglieder ausgetreten", sagt Pfarrer Ludger Keite, der der Katholischen St.-Clemens-Gemeinde in Dortmund-Brackel vorsteht. "Die Menschen können differenzieren zwischen den Fällen von Missbrauch in kirchlichen Einrichtungen und unserem Gemeindeleben vor Ort." Keite bestätigt jedoch, dass Austrittswellen oft etwa ein halbes Jahr nach einem Skandal einsetzen. "Solche Ereignisse sind aber der letzte Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt. Oft denken diese Menschen schon jahrelang über einen Austritt nach." Unter der Situation leiden nun vor allem die Mitarbeiter der Kirche, die unter Generalverdacht stehen. "Gerade unsere ehrenamtlichen Mitarbeiter sind zur Zeit unzufrieden und ratlos, weil sie sich vor Freunden und Arbeitskollegen rechtfertigen müssen: Für den Laden arbeitest du?"

Katholische Elternschaft stellt sich hinter Kirche

Auch der Kölner Verband der Katholischen Elternschaft Deutschlands (KED) unterstützt die kirchlichen Einrichtungen. In einer Erklärung erklärt die KED Köln, "dass die überwiegende Mehrheit der Schülerinnen und Schüler und deren Eltern an katholischen Schulen positive Erfahrungen machen und von der dortigen Ausbildung und Erziehung für ihr Leben profitieren." Doch auch die Gläubigen, die sich hinter ihre Kirche stellen, fordern Aufarbeitung der Vergangenheit. "Sexueller Missbrauch an Kindern, von Priestern begangen, ist ein abscheuliches Verbrechen, weil die Kirche für sich immer einen hohen moralischen Anspruch erhoben hat", schreibt der Katholik Peter Weber in einem weiteren empörten Brief an die Kölner "Kirchenzeitung". Und weiter: "Die katholische Kirche muss sich den Vorwurf gefallen lassen, dass sie in vielen Fällen untätig geblieben ist."