Antje Vollmer

Hans-Ehrenberg-Preis für Antje Vollmer

Preisverleihung unter Protest

Stand: 23.11.2011, 07:00 Uhr

Sie hatten ihn angekündigt, ihren Protest gegen die Preisträgerin Anke Vollmer. Bei der Verleihung des Hans-Ehrenberg-Preises machten sich ehemalige Heimkinder mit einer Demo Luft. Doch sie blieben friedlich und bekamen am Ende sogar Applaus.

Von Katja Goebel

Schon zwei Stunden vor der eigentlichen Preisverleihung in der Bochumer Christuskirche, haben sie auf dem Vorplatz einen weißen Pavillon aufgebaut. Es gibt Punsch und anfangs noch Musik. Ein Grüppchen von rund 30 Leuten steht dort beisammen - in stillem Protest. Sie halten Plakate in den Händen und tragen T-Shirts, auf denen ein mit wenigen Strichen gezeichneter Kinderkopf zu sehen ist, dem eine Träne über die Wange rollt. Die, die hier stehen, hatten keine Kindheit. Stattdessen sind sie in Heimen misshandelt worden. Viele von ihnen sind längst im Rentenalter und nun auf ihrer ersten Demo. Ihr Protest richtet sich gegen Antje Vollmer, die an diesem Abend den Hans-Ehrenberg-Preis erhalten soll - auch für ihre Bemühungen an dem "Runden Tisch Heimerziehung".

Preis für politische Initiativen

Mit der Auszeichnung, die an Leben und Werk des Theologen Hans Ehrenberg erinnert, wird die Grünen-Politikerin und ehemalige Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages für ihre politischen Initiativen geehrt, gerade auch als Schlichterin in gesellschaftlichen Konflikten. Vollmer hatte sich in der Vergangenheit unter anderem für die deutsch-tschechische Aussöhnung sowie die Entschädigung von NS-Opfern engagiert. Zuletzt saß sie dem "Runden Tisch Heimerziehung in den 50er und 60er Jahren" (RTH) vor. Das Gremium war 2009 vom Bundestag ins Leben gerufen worden, um die Verhältnisse in kirchlichen und staatlichen Heimen der Nachkriegszeit aufzuarbeiten und eine Entschädigungslösung zu finden.

"Das ist keine Entschädigung"

"Was sie vorher gemacht hat, ist uns egal. Dafür soll sie ruhig einen Preis bekommen", sagt Heidi Dettinger vom Verein der ehemaligen Heimkinder (VEH). "Dass sie den Preis aber für ihre Vermittlungen am Runden Tisch bekommen soll, ist für uns ein Schlag ins Gesicht." Der Name Vollmer sei schließlich untrennbar mit dem Ergebnis des Runden Tisches verbunden. Und das sei am Ende völlig inakzeptabel gewesen. 120 Millionen Euro sollen aus einem Fond an ehemalige Heimkinder fließen, die viel Leid, Gewalt und Zwangsarbeit ertragen mussten. "Bei 500.000 Betroffenen kann man sich ausrechnen, wie viel da für den Einzelnen übrig bleibt. Das ist keine Entschädigung, das ist eine Hilfeleistung, die Betroffene auch noch beantragen müssen und die vielleicht gar nicht genehmigt wird", so Dettinger. "Die sind billig davon gekommen."

Noch eine halbe Stunde bis zur Preisverleihung. Die Protestler ziehen schweigend vor den Kircheneingang. Drinnen soll es nach der Ehrung eine Podiumsdiskussion mit Antje Vollmer und Margot Käßmann geben. Ob die Demonstranten mitreden wollen? "Die Diskussion ist öffentlich, aber nicht offen", so Dettinger. "Vielleicht lassen die uns auch gar nicht rein."

Thomas Wessel ist Pfarrer der Bochumer Christuskirche und somit auch der Gastgeber des Abends. Er kennt die Argumente der Demonstranten. Seit Monaten diskutiert er mit ihnen im Internetforum seiner Kirche und wird nicht müde, den wütenden Schreibern zu erklären, dass Frau Vollmer den Preis nicht für das Ergebnis des Runden Tisches bekomme, sondern für ihre Rolle als Vermittlerin. Jetzt also stehen sie tatsächlich vor seiner Kirche und wollen rein. Er lässt sie. Aber die Plakate, die sollen doch bitte draußen bleiben.

"Menschenrechte verjähren nicht"

Wenig später eröffnet Peter Scheffler, Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises die Feierstunde in der gefüllten Christuskirche, während sich die Demonstranten still in einen Kirchenwinkel drücken - mit Plakaten. Dann betritt Antje Vollmer die Bühne, nimmt den mit 5.000 Euro dotierten Preis entgegen und ahnt wohl schon, dass dies keine gewöhnliche Ehrung werden wird. "Ich habe mir den Dialog am Runden Tisch nicht ausgesucht, ich wurde gebeten", so die Publizistin und wird bald deutlicher: "Ein Vermittler muss sich für die versöhnenden Seiten interessieren. Er muss sich aber auch der Vereinnahmung entziehen, damit er überhaupt die Freiheit hat, eine Lösung zu finden. Das war der intensivste Verständigungsprozess, den ich je durchgemacht habe."

Als Reinhard Mawick, Sprecher der Evangelischen Kirche und Moderator des Abends, der Preisträgerin später sensibles Wahrnehmen von geschehenem Unrecht bescheinigt, werden Zwischenrufe laut. Demonstranten mit Plakaten treten vor die Bühne. "Sie haben mir Unrecht getan", ruft eine Frau aufgelöst. Eine andere dreht sich zum Publikum und erzählt laut ihre Geschichte. Es ist eine von Schlägen, Zwang und Unmenschlichkeit - erlebt in einem Heim der Diakonie. "Ich möchte nur nicht, dass unsere Akten vernichtet werden. Menschenrechte verjähren nicht." Am Ende bekommt sie Applaus.

"Die Gesellschaft muss das ertragen"

"Ich begrüße, dass Sie sich trauen ihre Stimme zu erheben. Die Gesellschaft muss das ertragen", entgegnet Vollmer und ihre Stimme klingt brüchig. "Eines habe ich durch diesen schwierigen Prozess gelernt: Wenn es nicht zeitnah Leute gibt, die aufstehen, wird es später bitter." Das jetzige Ergebnis sei das, was möglich war. "Ich weiß, dass sie nicht mich meinen", sagt Antje Vollmer nach der Diskussion. Sie sitzt vorne auf einer Kirchenbank und sieht müde aus. "Ich fange das ab, was für andere bestimmt war. Aber es ist trotzdem anstrengend." Sie wisse aber auch, dass viele Betroffene nicht die Meinung der Protestler teilten.

Auf dem Kirchenvorplatz steht Monika Tschapeck-Günter. Sie ist die Vorsizende des Vereins der ehemaligen Heimkinder. Wird der Protest weitergehen? "Wir werden klagen. Wir wollen, dass die Menschenrechtsverletzungen von damals auch als solche anerkannt werden, genau wie die Zwangsarbeit der Heimkinder."

Im Portal seiner Kirche steht Thomas Wessel und blickt etwas ratlos zu den letzten Demonstranten herüber. Eine sehr emotionale Geschichte sei das. "Sie haben einfach immer Recht, auch wenn sie Unrecht haben."