Neuer Bericht zu Missbrauchsfällen

Aloisiuskolleg: Vertuschung und Ignoranz

Stand: 15.03.2013, 19:07 Uhr

Das Aloisiuskolleg in Bonn hat am Freitag (15.03.2013) einen weiteren Untersuchungsbericht zu den Missbrauchfällen vorgelegt. Den Jesuiten wird darin vor allem Vertuschung und Ignoranz bei der Aufklärung vorgeworfen. Doch die Verantwortlichen, so kritisieren die Opfer, bleiben unerwähnt.

Es begann am Canisius-Kolleg in Berlin: Anfang 2010 berichteten ehemalige Schüler, von Jesuitenpatres jahrelang sexuell missbraucht worden zu sein. Schnell meldeten sich auch Schüler anderer Jesuitenschulen, besonders das Aloisius-Kolleg (AKO) in Bonn entpuppte sich als Ort jahrzehntelangen Missbrauchs.

Seither gab es in Bonn verschiedene Versuche der Aufklärung. Zunächst beauftragten die Jesuiten ihre eigene Anwältin, Ursula Raue, mit einem Untersuchungsbericht. Nach empörter Kritik der Opferverbände wurde eine unabhängige Kommission unter der Leitung der Kölner Sozialwissenschaftlerin Julia Zinsmeister mit einer neuen Untersuchung beauftragt, die vor einem knappen Jahr veröffentlicht wurde. Zinsmeister hatte bei ihren Recherchen auch das dem AKO angegliederte AKO Pro Seminar ins Visier genommen. Nun legt das Aloisiuskolleg einen weiteren, Bericht nach, verfasst vom Bonner Psychologieprofessor Arnfried Bintig, der die Vorfälle am AKO Pro Seminar untersucht und auch die Art der Aufbereitung des Skandals durch die Jesuiten seit 2010 zum Inhalt hat.

"Keine akute Gefahr für Jugendliche"

Für die Jesuiten, die nach der Aufdeckung des Skandals immer wieder Aufklärung und Reue beteuert hatten, dürfte dieser 137 Seiten umfassende Bericht weitere unangenehme Wahrheiten enthalten. Akribisch dokumentiert Bintig darin, wie widerstrebend und zäh die Verantwortlichen auch noch 2010 versuchten, Zusammenhänge zu vertuschen und Beteiligte zu schützen. So war zwar der langjährige Leiter des AKO Pro Seminars längst als vielfacher Täter bekannt - es lagen mehrere Strafanzeigen ehemaliger Schüler gegen ihn vor - dennoch fehlte es dem damaligen Rektor offenbar an Willen oder Durchsetzungsvermögen, den Mann von seinem Job zu entbinden. Es gehe "keine akute Gefahr für Jugendliche" von ihm aus, zitiert Bintig den Rektor. Ein zu Rate gezogener Richter befand, dass es allein Sache der ehemaligen Schülerin sei, weitere Schritte einzuleiten und warnte vor einem andernfalls zu befürchtenden "Imageschaden" für das Aloisiuskolleg.

Täter ignorierte seine Kündigung - und niemand widersprach

Selbst nachdem die "Freistellung" des Seminarleiters ausgesprochen war, so der Bericht, bestand der Beschuldigte darauf, seine Kurse weiter fortzuführen - ohne, dass ihn über Wochen jemand daran hinderte. Der Rechtsanwalt des Aloisiuskollegs, so zitiert Bintig in seinem Bericht, habe den Rektor auf das "Problem Presse" hingewiesen: Um in der Öffentlichkeit nicht den Eindruck zu erwecken, man sei untätig, solle man doch eins der Opfer, das Anzeige gegen den Seminarleiter wegen jahrelangen sexuellen Missbrauchs erstattet hatte, zu einem klärenden Gespräch einladen.

Der Bericht stellt bei den Jesuiten "das völlige Fehlen einer Opferperspektive", noch lange nach dem Bekanntwerden des Skandals, fest. Statt dessen sei es "um die Abwehr von potentiellen Regressansprüchen gegen das AKO" und "um das Image des Jesuitenordens" gegangen. "Diese Orientierung", schreibt Bintig weiter, "setzt nahtlos die Handhabung der zuvor aufgedeckten 200 Missbrauchsfälle fort": Schon die Beauftragte des Jesuitenordens habe festgestellt, "wie vordringlich die Fürsorge für die Mitbrüder und der Schutz der Einrichtung und des Ordens" sei. Erst auf öffentlichen Druck hin - im Bericht ist unter anderem die Berichterstattung des WDR erwähnt - habe der Beschuldigte seine Unterrichtsaktivitäten eingeschränkt. Die Kollegsleitung habe sich danach beeilt, zu versichern, dass "der Schutz von Kindern und Jugendlichen immer an erster Stelle stehe".

Opfer: Bericht nennt keine Verantwortlichen

Trotz solch bitterer Analysen ist der Bericht für die Opfer des Missbrauchs offenbar eine große Enttäuschung. Er konzentriere sich auf diesen einen Täter, den Leiter des AKO Pro Seminars, ohne die eigentlich für das System des Missbrauchs Verantwortlichen zu nennen, sagt Heiko Schnitzler, Geschäftsführer der Opfergemeinschaft Eckiger Tisch. Zwar ist einer der bereits hinreichend dokumentierten Haupttäter, Pater Stüper, inzwischen gestorben. "Pater Schneider aber, der ehemalige Rektor und Hauptmitwisser, wurde unbehelligt als Abt nach Göttingen versetzt", sagt Schnitzler. Der ehemalige Seminarleiter lebe mittlerweile ebenfalls unbehelligt in Ägypten. "Schneider war bis zu seinem Rücktritt auch Vereinsvorstand des AKO Pro und eng mit dem Haupttäter und Ako Pro-Gründer befreundet." Aus dem Bericht gehe dennoch nicht hervor, wer die Mitwisser waren, wer die Verantwortung für das System hat und hatte, das viele Kinder lebenslänglich traumatisiert hat. "Irgendjemand muss doch dafür in Regress genommen werden können", sagt Schnitzler, der bis 1992 Internatsschüler am Aloisiuskolleg war.

"Selbstbedienungsladen für Kindermaterial"

Der Bintig-Bericht kommt zu dem Schluss, dass es "Machtinseln" gegeben habe, innerhalb derer der Seminarleiter ungestört wirken konnte. Verschiedene Aufgabenbereiche würden im Aloisiuskolleg häufig getrennt voneinander verwaltet, zudem habe der "durchsetzungsstarke" AKO Pro-Leiter "gezielte Desinformationspolitik" betrieben. "Wer aber hat denn diese Machtinseln ermöglicht?", fragt Schnitzler. Auch der derzeitige, neue Rektor des Aloisiuskollegs müsse sich fragen, "wer von seinen Mitbrüdern das zugelassen hat". Statt Verantwortung für ihre Schüler zu tragen, hätten seine Vorgänger trotz besseren Wissens nicht verhindert, dass die Schule "ein Selbstbedienungsladen für Kindermaterial" wurde.

"Verantwortungskontinuität" für das Kolleg

Als "schmerzhaft und in Teilen beschämend" bezeichnet der jetzige Rektor Pater Johannes Siebner den Bericht. "Das Aloisiuskolleg sieht sich in einer Verantwortungskontinuität für das Kolleg und auch im Bezug auf das AKO-Pro", sagt er, "es kann und darf da kein Wegducken geben und keinen Verweis auf die vermeintliche Selbständigkeit des AKO Pro Seminar". Man werde den Bericht "aufmerksam studieren" und die "jetzigen Bemühungen daran messen". Für die Mitglieder des Eckigen Tisches steht fest, dass es erst dann Aufklärung geben kann, wenn sie "von dritter, völlig unabhängiger Seite" komme.