Miguel Abrantes Ostrowski, ehemaliger Jesuitenschüler und Missbrauchsopfer

Kritik von Missbrauchsopfer

"Null Wärme, eiskalt"

Stand: 29.05.2010, 02:00 Uhr

Drei Tage nach dem erschütternden Bericht über sexuellen Missbrauch an Jesuitenschulen lädt die Opfergemeinschaft "Eckiger Tisch" am 29. Mai 2010 Missbrauchsopfer und Jesuiten zur Diskussion nach Berlin. Unter ihnen: Miguel Abrantes Ostrowski.

Zehn Jahre lang, bis 1993, war Miguel Abrantes Ostrowski Schüler am Aloisiuskolleg in Bonn. Die Nackfotos, die der leitende Pater damals von ihm als Elfjährigem machte, wurden inzwischen verbrannt - auf Anordnung von Ursula Raue, die seit 2007 Missbrauchsbeauftragte im Jesuitenorden ist und den Missbrauchsbericht verfasst hat. Ostrowski ist heute Theater- und Filmschauspieler und hat ein Buch über seine Erlebnisse am Jesuitenkolleg geschrieben.

WDR.de: Was halten Sie von dem Bericht?

Miguel Abrantes Ostrowski: Ich bin erstaunt darüber, wie detailliert der Bericht ist. Und: die beiden Stellungnahmen der Verantwortlichen des Aloisiuskollegs, die darauf folgten, dass der Leiter zurück getreten ist - das ist schon 3:0 für die Opfer.

WDR.de: Manche Taten sind genau beschrieben, andere, besonders Gewalttaten, nur angedeutet. Die Namen der Täter wurden zudem anonymisiert oder geändert. Ist das richtig?

Ostrowski:: Es ist lächerlich, dass da immer noch versucht wird, diese Leute zu schützen. Außerdem gibt es Beschreibungen, die ich ziemlich verharmlosend finde: Zum Beispiel schreibt Frau Raue, dass wir es als Elfjährige beim Duschen mit "Pater Georg", wie er im Bericht heißt, unangenehm gefunden hätten, seinen erigierten Penis zu sehen. Unangenehm? Es war unfassbar, man wäre am liebsten weggerannt! Im letzten Gespräch mit ihr vor zwei Wochen hatte ich das Gefühl, dass Frau Raue inzwischen selber gemerkt hat, wie sie sich vom Internatsleiter Pater Schneider hat einlullen lassen. Sie wirkte sehr betreten.

WDR.de: Noch während Ursula Raue mit der Untersuchung beschäftigt war, hat der Eckige Tisch Unzufriedenheit mit ihrer Arbeit geäußert. Inzwischen wird an einem zweiten Gutachten gearbeitet. Was haben Sie kritisiert an Ursula Raues Arbeit?

Ostrowski:: Wir halten Frau Raue nicht für objektiv genug. Sie arbeitet ja bereits seit 2007 als Missbrauchsbeauftragte für den Jesuitenorden und hat während dieser Zeit Beweismaterial vernichten lassen. Das waren Fotos, die der damals leitende Pater Stüper 1983 von mir und meinem Kumpel gemacht hat: Wir waren darauf nackt, in der Dusche und draußen auf der Wiese. Als Frau Raue auf diese Fotos stieß, hat sie sie im Einvernehmen mit Pater Stüper und Pater Schneider verbrennen lassen - angeblich zum Schutz der Opfer. Dieselbe Frau Raue ist jetzt angeblich objektive Ermittlerin, dabei ist ihr Mandant eigentlich der Jesuitenorden. Sie wird von ihm bezahlt.

WDR.de: Dem Bericht zufolge hat der Pater öfters Schüler nackt fotografiert. Wie kam es bei Ihnen damals zu dieser Situation?

Ostrowski:: Wir hatten einen Kurs "Tapezieren und Anstreichen" belegt. Als Abschlussarbeit mussten wir eine Garage streichen. Hinterher waren wir voller Farbe, und Pater Stüper hat uns erlaubt, statt des eigentlich anstehenden Silentiums zu duschen. Dabei hat er uns fotografiert, anschließend nackt auf die Wiese geschickt. Das Gefühl war gemischt: Einerseits waren wir stolz, die Aufmerksamkeit von Pater Stüper zu haben, denn der interessierte sich durchaus nicht für jeden Schüler. Uns war klar, dass das irgendwie komisch war, aber mit zehn, elf Jahren kann man das gar nicht richtig einordnen. Trotzdem waren solche Erlebnisse dann ganz schnell Thema für anzügliche Witze unter uns Schülern.

WDR.de: Was versprechen sich die Missbrauchsopfer von dem vorliegenden und dem weiteren Bericht? Was erwarten Sie von den Jesuiten?

Ostrowski:: Die Ereignisse überschlagen sich für uns zur Zeit. Vor zwei Tagen hätten wir gefordert, dass Pater Schneider öffentlich Stellung zu den Vorwürfen gegen ihn nimmt. Das hat er inzwischen getan. Es muss klar sein, dass Frau Raue in Frage gestellt werden muss. Der Provinzial der Jesuiten, Stefan Dartmann, hat gesagt, dass der Orden Geld in die Prävention stecken will, damit so etwas nicht wieder passiert. Ich selber brauche nichts, ich lebe mein Leben und komme klar. Aber es gibt Leute - zwei, drei meiner früheren Schulkollegen zum Beispiel -, die wirklich schwer geschädigt sind und gar nicht reden können, sobald es auf das Thema kommt, denen geht es wirklich schlecht. Dazu sagt der Orden jetzt, dass für solche Leute die Therapiekosten übernommen werden könnten, aber nur wenn die Krankenkasse nicht zahlt - statt einer wirklichen Geste, ihnen zu helfen. Das ist so unglaublich bürokratisch. Geld haben die genug, zur Not müssten sie einfach ein paar Grundstücke von dem riesigen Gelände in Bad Godesberg verkaufen. Da ist null Wärme, das ist eiskalt.

WDR.de: Jesuitenprovinzial Dartmann hat verkündet, eine persönliche Entschuldigung des Ordens bei den Opfern, "die das wünschen", sei "möglich".

Ostrowski:: Es ist furchtbar, dass die Opfer quasi auf die Täter zugehen müssen und um eine Entschuldigung bitten müssen. Das ist ein total kranker Denkansatz. Eigentlich ginge es jetzt um Emotionen, die gezeigt werden müssten. Doch da sieht man eine ganz große Hilflosigkeit.

WDR.de: Was erwarten Sie von der Diskussionsveranstaltung am Samstag?

Ostrowski:: Dass wir unsere Forderung nach weiterer, guter Aufklärung aussprechen können. Und dass der Inhalt des Berichts noch mal laut besprochen wird - die Fakten und auch, dass darin Täter zum Teil Fehler eingestehen. Und dass Frau Raue fordert, am Aloisiuskolleg noch weitere Untersuchungen zu machen. Dem können sich die Jesuiten nicht entziehen, besonders, weil sie jetzt so vernünftig tun. Dass dieses geschlossene Netz erkennbar wird, dieses System, das von Generation zu Generation weiter gegeben wurde.

WDR.de: Viele Kritiker, sogar der Jesuit Friedhelm Mennekes, sehen im Zölibat die Hauptursache für den offenbar massenhaften sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen in katholischen Einrichtungen. Sehen Sie das genauso?

Ostrowski:: Das Zölibat spielt bestimmt eine Rolle dabei. Aber auch aus umgekehrtem Grund: Vielen, die in solche Orden eintreten, bietet das Zölibat eine Art Schutzraum. Das sind Männer, die ein irgendwie gestörtes Verhältnis zu ihrem eigenen Körper haben oder feststellen, dass sie homosexuell sind und nicht wissen, wie sie damit umgehen sollen. Ich habe viele angehende Brüder oder Novizen kennenlernt, die, glaube ich, froh waren, in einer Gemeinschaft gelandet zu sein, wo sie sich nicht rechtfertigen müssen dafür, wie sie sind und dass sie keine Freundin haben. Das Zölibat vereinfacht diesen Konflikt sehr.

WDR.de: Was müsste sich noch ändern, um in Zukunft zu verhindern, dass in katholischen Bildungseinrichtungen mehr sexueller Missbrauch geschieht als anderswo?

Ostrowski:: Das Zölibat abzuschaffen, wäre auf jeden Fall ein großer Schritt. Als nächstes müssten all die Mitwisser, die jetzt noch so scheinheilig auf ihren Posten sitzen, zur Verantwortung gezogen werden. Eigentlich gibt es eine Menge Kontrollmechanismen bei den Jesuiten - kein Pater sollte länger als fünf oder sechs Jahre in einem Haus bleiben, gegenseitige Prüfungen, Melden von Auffälligkeiten. Aber wenn in einer solchen Institution schon so viele zusammen kommen, die mit sich selber Probleme haben, wie soll das funktionieren?

Das Gespräch führte Nina Magoley.