Aloisiuskolleg in Bonn

Neue Missbrauchsfälle in Bonn und Essen

Anklage gegen Ex-Rektor des Bonner Kollegs?

Stand: 23.02.2010, 20:56 Uhr

Laut einer Sprecherin des Jesuiten-Ordens scheint gegen einen ehemaligen, langjährigen Rektor des Bonner Aloisius-Kollegs eine Anklage möglich. Die Staatsanwaltschaft Bonn prüfe ein entsprechendes Vorgehen.

Von Lars Hering

Im Skandal um mögliche Missbrauchsfälle beim katholischen Jesuitenorden kann offenbar erstmals ein Tatverdächtiger juristisch zur Verantwortung gezogen werden. Gegen einen ehemaligen, langjährigen Rektor des Bonner Aloisius-Kollegs scheint nach Angaben von Ursula Raue, Beauftragte für Fälle sexuellen Missbrauchs beim Orden, eine Anklage möglich. Ein heute 17 Jahre alter Junge werfe dem Jesuitenpater vor, ihn vor fünf Jahren nackt fotografiert zu haben. Die Staatsanwaltschaft Bonn prüfe derzeit, ob der Vorwurf des Fotografierens für eine Anklage ausreiche. Bislang konnte keiner der mutmaßlichen Täter strafrechtlich belangt werden, da der Zeitpunkt des Missbrauchs mehr als zwanzig Jahre zurückliegt und damit verjährt ist. Die Zahl der Tatverdächtigen sei mittlerweile auf 15 gestiegen.

Nackt fotografiert und unter der Dusche eingeseift

Der Fall war am Montag (22.02.2010) bekannt geworden. Erneut soll es ein heute 82-jähriger Pater gewesen sein, der sich an einem Schüler vergriffen hat. Er soll den Schüler unter der Dusche eingeseift beziehungsweise dies versucht haben: "Ein Schüler, der heute in der Oberstufe ist, hat sich an uns gewandt. Er hat von einem Übergriff aus dem Jahr 2005 berichtet. Wir haben mit ihm gesprochen, ihm Hilfe angeboten und ihn gebeten, mit der Staatsanwaltschaft zu sprechen", sagte Robert Wittbrodt, Lehrer am Aloisiuskolleg, zu WDR.de.

Pater werden bereits zwölf Fälle zur Last gelegt

Rosenkranz in der Hand eines Geistlichen

Mit diesem Schüler sind es mittlerweile zwölf Fälle, die dem Pater zur Last gelegt werden. Er war von 2005 bis 2007 am Internat tätig. "Die Vorwürfe reichen von Nacktfotos über Betatschen, Einseifen unter der Dusche bis zu voyeuristischen Blicken", so Wittbrodt. Vor rund drei Wochen waren die ersten Vorwürfe laut geworden. Daraufhin wurde in der Schule ein Arbeitsstab gebildet und ein Vertrauenslehrer ernannt, um zu erfahren, wie viele Schüler möglicherweise betroffen sind. "Wir müssen uns mit diesen Sachen beschäftigen. Denn es gibt auch noch 70-Jährige, die dies nicht alleine verarbeiten können. Es ist auch für uns hart, dies aufzuarbeiten, aber wir können mit unserer Arbeit zur Aufklärung beitragen. Und das gibt uns Kraft", sagte Wittbrodt.

Missbrauchsfall auch in Essen

Aufgrund der Verjährungsvorschriften dürfte es für ein weiteres mutmaßliches Opfer mittlerweile zu spät sein, um Gerechtigkeit einfordern zu können. Denn ein weiterer Fall hat sich möglicherweise am "Franz Sales Haus" in Essen ereignet. Ein ehemaliger Bewohner der Behinderteneinrichtung kontaktierte den Direktor Günter Oelscher und belastete einen ehemaligen Mitarbeiter schwer. "Es handelte sich um einen Bewohner, der Ende der 60er Jahre bei uns lebte. Die Angaben sind leider etwas wirr und unkonkret. Wir können den Namen des Täters nicht zuordnen und vergleichen diesen deshalb zurzeit mit ähnlich klingenden Namen", sagte Valeska Ehlert, Sprecherin des Franz Sales Haus. Der Direktor stufe die Vorwürfe aber als "sehr glaubwürdig" ein und sei äußerst schockiert gewesen.

Das mutmaßliche Opfer habe bereits vor einigen Jahren seinen Peiniger alleine ausfindig gemacht. Doch dieser liege inzwischen im Pflegeheim und sei dement. Warum sich das Opfer erst so spät an die Einrichtung gewandt hat? "Das wissen wir nicht, aber wem so etwas zugestoßen ist, der trägt das mit sich herum. Und irgendwann kocht das noch einmal hoch", vermutet Ehlert. Mit diesen Vorwüfen steht das Haus erneut in den Schlagzeilen. 2002 trat der damalige Leiter, ein Priester, zurück. Er hatte zugegeben, zu einem 16-Jährigen sexuelle Kontakte gehabt zu haben. "Dieser Vorfall lag allerdings vor seiner Zeit im Haus bei uns. Seitdem haben wir keine Geistlichen mehr als Direktoren", sagte Ehlert. Dies sei jedoch kein Generalverdacht gegen Geistliche, sondern liege daran, dass die Einrichtung nicht zur katholischen Kirche gehöre, sondern lediglich einen "katholischen Hintergrund" habe, betonte die Sprecherin.

Katholische Internate wollen schneller reagieren

Ursula Raue, Beauftragte für Fälle sexuellen Missbrauchs beim Jesuitenorden

Ursula Raue plant die Einrichtung eines Arbeitsstabs

Der Oberstufenschüler des Aloisius-Kolleg, der einen Vorfall aus dem Jahr 2005 gemeldet hat, hat sich mittlerweile auch Ursula Raue anvertraut. Bei der Jesuiten-Beauftragten und Anwältin haben sich seit dem Bekanntwerden der ersten Missbrauchs- und Misshandlungsfälle am Berliner Canisius-Kolleg rund 120 ehemalige Schüler von insgesamt vier betroffenen Jesuitengymnasien gemeldet. Raue plant nun die Einrichtung eines Arbeitsstabs, der die Vorgänge an den betroffenen Schulen detailliert aufklären soll. Außerdem will sie Modelle vorschlagen, wie Missbrauch in Zukunft verhindert werden kann. Die Anwältin ist der Meinung, dass im Jesuiten-Orden "institutionelles Wegschauen" bei Missbrauchsfällen vorgeherrscht habe.

Der Verband der Katholischen Internate und Tagesinternate (VKIT) erklärte am Montag (22.02.2010), künftig jedem Verdacht auf sexuellen Missbrauch sofort nachzugehen. Bei Erhärtung des Verdachts sei die Staatsanwaltschaft einzuschalten.