Portrait von Lars Lindemann

Sorgentelefon - Polizei schaltet Hotline

Trost am Telefon

Stand: 29.07.2010, 02:00 Uhr

Die Polizei in Essen bietet eine Hotline, bei der Menschen nach dem Loveparade-Unglück Trost finden können. Nicht nur Besucher und deren Angehörige rufen dort an. Auch Polizeibeamte, die bei der Tragödie im Einsatz waren.

Bis zu 30 Mitarbeiter sind seit Sonntag (25.07.10) bei der Hotline der Polizei rund um die Uhr zu erreichen, mehrere hundert Menschen rufen täglich an. Sie suchen vor allem seelsorgerischen Beistand - darunter auch die eigenen Kollegen, sagt Lars Lindemann, Sprecher der Polizei in Essen. Wer lieber schreiben will, kann sich per E-Mail an die Polizei wenden.

Bei der Hotline der Stadt Duisburg, von der es zunächst hieß, sie sei für besorgte Angehörige eingerichtet worden, handelt es sich hingegen um die normale Callcenter Nummer der Stadt. Sie steht nur für praktische Auskünfte zur Verfügung.

WDR.de: Bei Ihrer Essener Hotline klingeln die Telefone zurzeit mehrere hundert Mal am Tag. Wer ruft an?

Lars Lindemann: Ganz unterschiedlich: Es sind Kollegen, die anrufen, es sind Helfer, die vor Ort dabei waren, aber natürlich auch viele Angehörige von Opfern und auch Besucher der Loveparade, die die schrecklichen Bilder nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Oder sogar Fernsehzuschauer, die geschockt sind. Über die genauen Inhalte der Gespräche wollen wir aber keine Informationen nach außen geben, denn die Leute sollen keine Scheu haben, hier anzurufen.

WDR.de: Was können die Hotline-Mitarbeiter für die Anrufer tun?

Lindemann: Die Kollegen sprechen zunächst mit ihnen am Telefon. Teilweise gehen die Gespräche über Stunden. Wenn sie möchten, können die Anrufer auch einen Termin vereinbaren, um zum persönlichen Gespräch hierher zu kommen. Das geht kurzfristig und das Angebot wurde in den letzten Tagen sehr oft angenommen. Wenn wir merken, dass unsere Hilfe, unser Zuhören nicht ausreicht, dann vermitteln wir weiter an Fachleute, meistens an Psychologen.

WDR.de: Wie sind Ihre Kollegen am Telefon auf ihre Aufgabe vorbereitet?

Lindemann: Das sind Polizeibeamte, die mit solchen Situationen schon häufiger zu tun hatten und sich da bewährt haben - keine ausgebildeten Psychologen. Kollegen, die normalerweise einen anderen Job hier bei uns machen. Sie bieten den Anrufern einfach ein offenes Ohr.

WDR.de: Wie lange hält man diesen Job durch?

Lindemann: Bis jetzt sind noch alle dabei, natürlich in wechselnden Schichten. Ob der eine oder andere irgendwann auch mal aussetzen muss oder vielleicht selber Unterstützung braucht, um das Gehörte zu verarbeiten, das werden wir wohl gegen Ende der Woche abschätzen können.

WDR.de: Sicher keine leichte Aufgabe. Ist diese Hotline mehr oder weniger improvisiert eingerichtet worden?

Lindemann: Solche Einsätze sind für den Ernstfall theoretisch vorgedacht. Im Zusammenhang mit der Loveparade hatten wir zwar nicht damit gerechnet, aber generell haben alle großen Behörden einen Plan in der Schublade, wie im Ernstfall eine solche Betreuung zu organisieren ist. Die Telefonnummern derjenigen, die dann herbeigerufen werden, stehen schon fest.

WDR.de: Geht es in den Gesprächen hauptsächlich um die schrecklichen Erlebnisse oder auch um sachliche Fragen?

Lindemann: Manche wollen wissen, ob und wie sie jetzt eine Opferentschädigung bekommen - da versuchen wir auch, zu helfen. Andere nennen Namen von Bekannten oder Freunden und wollen wissen, ob sie unter den Verletzten sind. Da nennen wir die Stellen, wo man sich informieren kann. Aber in erster Linie geht es darum, ein offenes Ohr zu bieten und mit den Anrufern über ihre Gefühle zu reden.

WDR.de: Wie schlimm sind solche Erlebnisse für die Polizisten selbst?

Lindemann: Ich war selber am Samstag dienstlich am Unglücksort, ungefähr eine halbe Stunde nach der Panik, und ich muss sagen: So etwas hatte ich noch nicht ansatzweise vorher je gesehen. Auch, weil es für alle so unerwartet kam. Eigentlich hatte man sich auf eine friedliche Veranstaltung eingestellt - mit der Loveparade hatten die meisten Kollegen eher einen schönen Einsatz verbunden. Das Wetter war gut, laute Musik - und dann liegen da plötzlich 18 Tote und hunderte Schwerverletzte. Damit hat einfach niemand gerechnet. Dass da viele Kollegen, die im Einsatz waren, nicht alleine damit klarkommen, Redebedarf haben, kann ich sehr gut nachvollziehen.

Seelsorge für Loveparade Opfer

WDR aktuell 03.08.2010 04:02 Min. Verfügbar bis 31.12.2500 WDR

WDR.de: Ist das eine Ausnahmesituation oder braucht man als Polizist öfter Hilfe dabei, verstörende Erlebnisse zu verarbeiten?

Lindemann: Bei der Polizei gibt es generell rund um die Uhr die Möglichkeit, sich nach schwierigen Einsätzen psychologisch betreuen zu lassen. Das kann auch mal nach einem scheinbar einfachen Einsatz im Streifenwagen nötig sein, je nachdem, was passiert.

WDR.de: Wie lange wird es die Hotline geben?

Lindemann: Ein Ende ist noch nicht geplant. Da muss man abwarten, wie lange das Angebot noch angenommen wird.

Das Gespräch führte Nina Magoley.