Eine rote Rose und ein Stoffband mit der Aufschrift "Loveparade"

Innenminister steht weiter hinter Polizei

Erbitterte Debatte um Loveparade-Unglück

Stand: 19.05.2011, 17:45 Uhr

Heftig diskutierte der Landtag am Donnerstag (19.05.2011) über mögliche Polizeipannen beim Loveparade-Unglück. Dabei griff die Opposition den Innenminister Ralf Jäger (SPD) scharf an: Er habe "eiskalt getäuscht" und "mauere". Jäger verteidigte erneut die Polizei.

Von Christina Hebel

Wer austeilt, muss auch einstecken können. Wie sich letzteres anfühlt, erlebt Ralf Jäger (SPD) derzeit. Schon seinerzeit in der Opposition verlangte er fast im Wochentakt den Rücktritt irgendeines Ministers der damaligen schwarz-gelben Regierung. Zimperlich war er dabei nicht, "Jäger 90" war sein Spitzname, in Anlehnung an das Kampflugzeug. Jetzt ist der 50-Jährige Minister und selbst Ziel teils heftiger Attacken von FDP und CDU. Dabei ging es am Donnerstag nicht um die dubiosen Spenden in seinem SPD-Unterbezirk Duisburg, sondern um mögliche Polizeipannen bei der Loveparade-Katastrophe in Duisburg. Jäger trage nicht ausreichend zur Aufklärung bei, so der Vorwurf der Opposition. Jäger habe "eiskalt getäuscht" und "getrickst", empörte sich der innenpolitische Sprecher der FDP, Horst Engel.

Linke: Offenbar entscheidende Fehler bei der Polizei

Die Linksfraktion hatte eine Aktuelle Stunde zum Loveparade-Unglück beantragt. Es habe "offenbar entscheidende Fehler bei der Polizei" gegeben, sagte die Linken-Abgeordnete Anna Conrads. Es könne nicht sein, dass die Abgeordneten erst aus den Medien über Polizeipannen erfahren, kritisierte sie mit Verweis auf den "Spiegel". Die Staatsanwaltschaft werfe in ihrem Bericht der Polizei gravierende Fehler bei der Loveparade vor, schreibt das Magazin in seiner aktuellen Ausgabe. Danach soll ein Schichtwechsel mitten in der "heißen Phase" der Veranstaltung erfolgt sein und die Arbeit der Beamten behindert haben. Außerdem habe die Polizei Sicherheitsbedenken ignoriert. Bei dem Unglück im Juli vergangenen Jahres waren 21 Menschen tödlich verletzt worden, mehr als 500 Menschen erlitten teilweise schwere Verletzungen.

Jäger stellt sich vor die Polizei

Jäger wies die Vorwürfe zurück. Er hatte sich schon kurz nach dem Unglück hinter die Polizei gestellt, massive Versäumnisse bei der Stadt Duisburg und dem Veranstalter Lopavent angeprangert. Damals Anfang August 2010 sagte der Minister: "Ich werde es nicht zulassen, dass die Polizei als Sündenbock für die Fehler und Versäumnisse anderer herhalten muss." Neun Monate später im Landtag bleibt er bei der Linie. Er habe nie gesagt, dass es "keinerlei Fehler" bei der Polizei gegeben habe: "Es ist unwahrscheinlich, dass ein Polizeieinsatz fehlerfrei abläuft, wenn das Sicherheitskonzept des Veranstalters gleich zu Beginn zusammenbricht".

Ermittlungen gegen Polizei-Einsatzleiter

In Abstimmung mit dem Justizminister zitierte Jäger am Donnerstag aus einem Vermerk der Staatsanwaltschaft. Seine Kernaussage: Die Polizei ist nicht hauptursächlich für das Unglück verantwortlich. "Es gab keine strafbare Pflichtverletzung durch Polizeibeamte im Genehmigungsverfahren." Eine "strafrechtliche Verantwortung" der Polizei habe sich erst mit "Beginn der kritischen Menschenverdichtung im Rampenbereich" ergeben. Letztlich sei ein Anfangsverdacht gegen den Polizeieinsatzleiter von den Ermittlern "bejaht" worden, sagte Jäger: "Eine Ausweitung der Ermittlungen auf die Polizei ist derzeit nicht geplant." Ermittlungen laufen zudem gegen elf Mitarbeiter der Stadt - Oberbürgermeister Adolf Sauerland ist nicht darunter - und vier Mitarbeiter des Veranstalters.

Der Opposition reichte Jägers Erklärung nicht: Das sei noch nicht "das Ende des Wahrheit", sagte CDU-Innenexperte Peter Biesenbach, der wie die Linke kritisierte, dass der Minister immer nur dann informiere, wenn er müsse - und das nur unzulänglich: "Sie predigen Transparenz und mauern." Es gehe nicht um die juristische Schuld, sondern um die politische.

"Moralischer Tabubruch"

Biesenbach wurde in der teils hitzigen Debatte auch persönlich - Jäger habe das Veranstaltungsgelände der Loveparade als Besucher im VIP-Bereich verlassen, nachdem es die ersten Toten gegeben habe. Eine Behauptung, die für laute Empörung bei der SPD sorgte: "Unsäglich" riefen einige Abgeordnete, der Grünen-Politiker Matthi Bolte sprach von einem "moralischen Tabubruch". Jäger war erst später, nachdem er die Loveparade verlassen hatte, telefonisch über das Unglück informiert worden und zurückgekehrt, wie er im Innenausschuss immer wieder betont hatte. Nahezu regungslos ließ Jäger die Angriffe der Opposition über sich ergehen: "Wer in die Küche geht, muss Hitze vertragen", sagte er: Als Hobbykoch könne er eine Menge vertragen.

CDU versucht Sauerland aus der Schusslinie zu nehmen

Die CDU nutzte die Aktuelle Stunde aber nicht nur dafür, den Minister zu attackieren: Sie versuchte gleichzeitig immer wieder ihren Parteifreund, den Duisburger Oberbürgermeister Sauerland, aus der Schusslinie zu nehmen. Er steht seit dem Unglück wegen massiver Planungsfehler der Stadt in der Kritik, einen Rücktritt lehnt er jedoch ab - sehr zum Unmut vieler Bürger. Biesenbach sprach von einer "Hetzjagd", sein Kollege Wilhelm Droste davon, dass es "in einem unerträglichen Maß zur Vorverurteilung" gekommen sei, Sauerland zum alleinigen "Sündenbock" gemacht werden solle - was wiederum empörte Zwischenrufe von SPD und Grünen provozierte. Die hatten tags zuvor im Landtag mit den Linken und bei Enthaltung der FDP das Abwahlrecht für Bürgermeister erleichtert. Sauerland droht nun ein neues Abwahlverfahren, das erste war gescheitert.