Volunteer Rüdiger Steinborn

Volunteers erkundeten die Ballon-Standorte

Auf Spurensuche nach früheren Schächten

Stand: 22.05.2010, 06:00 Uhr

Nächstes Jahr könnte Rüdiger Steinborn die Langeweile packen. Was tun, wenn das Ruhrgebiet nicht mehr Kulturhauptstadt ist? Als Volunteer hilft er bei vielen Projekten mit. Für die "Schachtzeichen" ist er fünf Wochen lang ehemalige Zechen abgefahren.

Von Dorothee Klee

Weithin sichtbar sollen sie sein, die gelben Ballons, die in der "Schachtzeichen"-Woche überall im Ruhrgebiet aufgelassen werden. Das geht allerdings nur, wenn keine großen Gebäude die Sicht versperren. Und dann muss der Eigentümer des Grundstücks ja auch einverstanden sein. Und in der Nähe muss es Toiletten für die Bewacher der Ballons geben. Und die Möglichkeit sich bei Regen unterzustellen. Und, und, und...

Bereits im Herbst 2009 haben sich deshalb acht Ehrenamtliche auf den Weg gemacht, um eine lange Checkliste abzuhaken. Sie sind nur ein kleiner Teil der insgesamt 1.200 Freiwilligen, die im Rahmen des Volunteer-Programms bei den verschiedenen Attraktionen der Kulturhauptstadt mithelfen. Aber sie sind acht wichtige Freiwillige, denn ohne ihre Vorarbeit wären die "Schachtzeichen" überhaupt nicht möglich gewesen.

Einer der "Vorbesichtiger" war Rüdiger Steinborn. Als Vermessungsingenieur hat er selbst 30 Jahre lang unter Tage gearbeitet. Schächte kennt er zu Genüge: Er arbeitete im Verbundbergwerk Pörtingsiepen/ Carl Funke südlich des Baldeneysees, auf der Essener Zeche Katharina, auf der Zeche Zollverein in Essen, auf der Zeche Consolidation in Gelsenkirchen und die letzten acht Jahre auf Prosper in Bottrop. "Ich habe die ganze Nordwanderung mitgemacht", erzählt der 56-Jährige.

Wo früher eine Zeche war, ist heute ein Kino

Für das "Schachtzeichen"-Projekt ist Rüdiger Steinborn mit einem weiteren Volunteer die ehemaligen Zechen nördlich der A40 abgefahren. Mit einer Straßenkarte bewappnet haben sich die beiden an die Schächte herangetastet. An vielen Orten weist nichts mehr auf die frühere Nutzung hin. Wo einst die Zeche Humboldt war, ist heute das Kino des Rhein-Ruhr-Zentrums in Mülheim. Das Bergwerk Haard in Oer-Erkenschwick ist einem Naherholungsgebiet gewichen. An die Zeche Welheim in Bottrop erinnern nur noch zwei Rohre auf dem Parkplatz eines großen Möbelhauses.

Das Gesicht des Ruhrgebiets hat sich über die Jahrzehnte verändert. Rüdiger Steinborn vergleicht den Strukturwandel mit Schwerhörigkeit. "Das ist ein langsamer, schleichender Prozess. Man merkt das selbst gar nicht so." Der Bottroper ist allerdings nicht traurig über die Veränderungen. "Wehmut gibt es bei mir nicht", betont der ehemalige Bergmann. "Die Arbeit hat Spaß gemacht. Das war unter Tage eine andere Arbeit als im Büro." Trotzdem glorifiziert er die alten Zeiten nicht. "Es war auch viel Sozialromantik dabei", ist Steinborn überzeugt. "Wenn die unter Tage nicht zusammengehalten hätten, hätten die kein Geld verdienen können." Steinborn war im Jahr 2001 das letzte Mal auf einer Zeche. Danach kein einziges Mal mehr.

Mit dem Bergbau verschwinden auch die Arbeitsplätze

Der Vermessungsingenieur hätte an der ganzen Entwicklung nichts auszusetzen, würden dadurch nicht massenhaft Jobs verloren gehen. "Wenn wir eine Zukunft haben wollen, brauchen wir Arbeitsplätze. Sonst gehen die jungen Leute." Der Abzug der Schwerindustrie im Ruhrgebiet hat seine Folgen: "Es gibt nicht mehr die Arbeitsplätze für die Jungs mit den dicken Armen."

Stattdessen sprießen Gründerzentren aus dem Boden. Einige altehrwürdige Gebäude, wie beispielsweise die Zeche Arenberg-Fortsetzung in Bottrop, dienen als Büros für neue Wirtschaftszweige: für die IT- oder die Kreativwirtschaft. Hier macht sich keiner mehr die Hände schmutzig. Hier arbeitet man emsig hinter dem PC, während der Gang zum nächsten Büro durch die ehemalige Lohnhalle oder die Kaue führt. Das alles ist Teil des neuen Bilds des Ruhrgebiets. Und Rüdiger Steinborn gefällt dieses Bild. Nicht umsonst engagiert er sich das ganze Jahr als Volunteer: "Weil's Spaß macht und ich stolz aufs Ruhrgebiet bin. Ich will den anderen zeigen, wie schön das hier ist. Wir haben nichts zu verstecken", sagt Steinborn mit Nachdruck. "Das Ruhrgebiet hat viel zu bieten, was die meisten nicht wissen."

Einmal Volunteer, immer Volunteer

Rüdiger Steinborn sieht die Kulturhauptstadt als Chance, hätte nie gedacht, dass sie so viele Menschen anzieht. Er hätte eher erwartet, dass vor allem viele Ältere sagen: "Was soll den der Quatsch?" Nichts dergleichen hat er bisher erlebt. - Und er hat schon bei einigen Projekten mitgeholfen. Bei der Eröffnungsveranstaltung auf der Zeche Zollverein war er im Einsatz, bei der Odyssee, beim Kanalglühen, bei den Ruhr-Atollen. Als nächstes stehen im Juni der Day of Song und im Juli - natürlich - das Still-Leben Ruhrschnellweg in seinem Kalender.

Zu Demonstrationszwecken hat Rüdiger Steinborn bereits einen der großen, gelben Ballons in die Luft gelassen. In der "Schachtzeichen"-Woche ist er allerdings ausnahmsweise mal nur Besucher. Und er freut sich vor allem auf die bei Nacht beleuchteten Ballons. Und auf die Gruppe von Pfadfindern, die bei "ihrem" Ballon campen werden. Und auf seinen Volunteer-Kollegen, der auch während der Woche im Einsatz sein wird. Und, und, und...