Chronik

Industrieraum wird zur Kulturhochburg

Stand: 26.11.2009, 10:16 Uhr

Essen und das Ruhrgebiet tragen 2010 den Titel "Kulturhauptstadt Europas". Lange wurde darum gerungen. Am Ende setzte sich das Revier mit einem überzeugenden Leitgedanken und starken Projektideen gegen 16 Mitbewerber durch. Die Ereignisse im Überblick.

Das Ruhrgebiet als Kulturhochburg? Dieser riesige Ballungsraum wird so lange von Schwerindustrie geprägt, dass er auch heute noch hartnäckig mit Stahlwerken, qualmenden Schloten und Malochern in Verbindung gebracht wird. Doch schon 1989 kommt es mit dem Beginn der Internationalen Bauausstellung Emscher Park zu einer Art Initialzündung: Das Ruhrgebiet wird umgebaut, die einstige Industrieregion wandelt sich. Großangelegte Projekte lassen neue Naturräume und Architekturen entstehen. Damit liegt ein Zukunftsplan für den sozialen und wirtschaftlichen Wandel auf dem Tisch.

Das Augenmerk fällt auch immer mehr auf die kulturelle Entwicklung in der Region. Der Strukturwandel im Ruhrgebiet lässt die 53 Revierstädte enger zusammenrücken, gemeinsame Kulturprojekte werden gestemmt. 2001 entsteht schließlich die Idee, sich um den Titel Kulturhauptstadt Europas zu bewerben. Das Motto: "Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel". Das erklärte Ziel: Die Region, die viele immer noch allein mit Stahl und Kohle in Verbindung bringen, europaweit als Kulturmetropole bekannt zu machen. Startschuss für einen echten Bewerbungsmarathon.

Kampf um den Titel

Scheytt

Kulturpolitiker Oliver Scheytt setzt sich für Essen ein

Seit 1985 wird jährlich eine europäische Kulturhauptstadt benannt. Jedes Jahr erhält eine andere Stadt den Titel, um ihren kulturellen Reichtum und markante Merkmale der Region vorzustellen. Allein das Land steht vorher fest. Und so soll im Jahr 2010 die Auszeichnung turnusgemäß an eine deutsche Stadt gehen. Fast vier Jahre dauert allein die Bewerbungsphase und die Konkurrenz ist riesig. Insgesamt 17 Städte und Regionen in Deutschland bemühen sich anfangs um die Auszeichnung der Europäischen Union. Aus Gründen des Reglements bewirbt sich die Stadt Essen stellvertretend für das gesamte Ruhrgebiet. Aber auch andere NRW-Städte mischen zu diesem Zeitpunkt noch mit - Köln und Münster zum Beispiel - doch ohne Erfolg. Das Ruhrgebiet kickt mit seinem Konzept des Wandels die Mitbewerber auf Landesebene aus dem Feld. Im Mai 2004 entscheidet die NRW-Jury, dass "Essen für das Ruhrgebiet" auch auf Bundesebene antreten darf.

Die Konkurrenz schrumpft

Im nationalen Wettbewerb konkurriert Essen nun mit neun anderen Städten, darunter Bremen, Lübeck, Potsdam, Görlitz und Regensburg. Das Bangen geht weiter - bis zum März 2005. Da wird entschieden, dass nur zwei Städte zum Endspurt um den Titel antreten dürfen: Essen und Görlitz. Görlitz, seit 1945 in eine deutsche (Görlitz) und eine polnische (Sgorzelec) Hälfte geteilt, hat gerade einmal 60.000 Einwohner, kommt aber auf 4.000 Baudenkmäler. Die Stadt punktet als "Perle der Renaissance", mehr aber noch als Stein gewordenes Symbol der Ost-West-Annäherung.

Die Metropole Ruhr kann überzeugen

Selbstbewusst geht Essen für das Ruhrgebiet auch in die letzte Runde. Man spielt bewusst die europäische Karte. Das Ruhrgebiet sei schließlich neben London, Paris und Moskau einer der wichtigsten Ballungsräume Europas, versichern die Bewerber immerzu. Die Region sei ein Europa im Kleinen, hier lebten Nationen aus der ganzen Welt friedlich zusammen. Die Bewerber setzen auf den Modell-Charakter ihrer Region: Hier wird der Strukturwandel schließlich auch durch die Kultur vorangetrieben. Am Ende überzeugt das auch die von EU-Gremien eingesetzte Jury. Am 13. November 2006 verkündet sie offiziell den Sieger: Essen wird stellvertretend für das Ruhrgebiet zur Kulturhauptstadt Europas 2010 ernannt.