Irmtrud und Winfried Hinz, Anwohner des Kraftwerks Datteln

Regionalplan kann geändert werden

Kraftwerk Datteln nimmt Planungshürde

Stand: 20.06.2011, 02:00 Uhr

Die Anwohner wollen es abreißen, Eon will es ans Netz bringen: das Kohlekraftwerk Datteln. Bei der Planung hatte es eklatante Pannen gegeben. Der Regionalverband Ruhr hat nun den Weg für eine Änderung der Regionalplanung freigemacht.

Von Christina Hebel

Die SPD haben sie hier schon lange abgeschrieben. "Ach die, die wartet doch nur ab und Eon schafft Fakten", sagt Irmtrud Hinz. Wie sie denken fast alle der 350 Bewohner der Dattelner Meistersiedlung. Seit 26 Jahren lebt die Rentnerin zusammen mit ihrem Mann Winfried in einem schmucken Klinkerbau mit Terrasse und Garten. Bis zum neuen Kraftwerk Datteln 4 auf der anderen Seite des Dortmund-Ems-Kanals sind es Luftlinie nur rund 600 Meter.

Dort drüben steht der Kühlturm, der mit seinen 178 Metern höher ist als der Kölner Dom. Eigentlich dürfte er da gar nicht stehen. Im Landesentwicklungsplan ist der Standort für ein Kraftwerk jedenfalls nicht vorgesehen, so nah an der Wohnsiedlung. Im September 2009 hatte das Oberverwaltungsgericht Münster - auch deshalb - schwerwiegende Planungsfehler festgestellt und den Bebauungsplan für nichtig erklärt. Das Kraftwerk, so wie es dasteht, ist ein Schwarzbau, befanden die Richter und stoppten zumindest teilweise dessen Weiterbau.

Sauer und enttäuscht über Grüne

An den Nebengebäuden darf Eon seitdem nicht mehr bauen, an Hauptgebäuden, Kesselhaus und Kühlturm, aber schon. Sie werden wohl im Herbst fertig sein. Derzeit sind 700 Arbeiter auf der Baustelle. Eine Milliarde Euro sind bereits verbaut, sagt der Energie-Konzern. 1,2 Milliarden Euro sollte das Projekt insgesamt ursprünglich kosten. Der Zeitplan und die Kosten sind nun völlig aus den Fugen geraten. Der Baustopp kostet viel Geld. Wie viel, darüber hüllt sich Eon in Schweigen.

Sollte der Kohlemeiler in Betrieb gehen, wird es in der Meistersiedlung vorbei sein mit der Ruhe. Die Anwohner fühlen sich im Stich gelassen: Bürgermeister, die Mehrheit des Stadtrats und der Dattelner sind für den neuen Kohlemeiler. Besonders "sauer und enttäuscht", wie Winfried Hinz sagt, sind die Menschen hier über die Grünen. Zumindest von denen hätte man sich im Regionalverband und auf Landesebene "Rückgrat" erhofft. Im Landtags-Wahlkampf im vergangenen Jahr hatte der heutige Grünen-Fraktionschef Reiner Priggen, wie andere Grüne auch, den Abriss des Kraftwerks gefordert und sich vehement gegen nachträgliche Tricksereien ausgesprochen.

Gerichte sind die letzte Hoffnung

Martin Tönnes, Planungsdezernent des Regionalverbandes Ruhr (RVR)

RVR-Planungsdezernent Martin Tönnes

Knapp 50 Kilometer weiter, beim Regionalverband Ruhr (RVR) in Essen, ist Planungsdezernent Martin Tönnes schon den ganzen Morgen mit dem Kraftwerk Datteln beschäftigt. Am Montag (20.06.2011) stellte die RVR-Verbandsversammlung die Weichen für ein sogenanntes "Planänderungsverfahren". Damit könnten die alten Planungspannen nachträglich "geheilt" werden. Tönnes, selbst Grüner, muss prüfen, ob und wenn ja wie die Zukunft des Kohlemeilers aussehen könnte. Die rot-grüne Mehrheit in der RVR-Verbandsversammlung hatte deshalb ein Gutachten in Auftrag gegeben. Es kommt zur Überraschung vieler zu dem klaren Ergebnis: Das Kraftwerk ist rechtlich sehr wohl genehmigungsfähig.

Drei Monate lang Einwände möglich

Doch erst einmal können Bürger, Kommunen und Interessenverbände ihre Einwände schriftlich einreichen. Drei Monate werden sie dazu Zeit haben, wenn der RVR das Verfahren in den kommenden Wochen eröffnen wird. Da wird einiges an Papier zusammenkommen. "Wir werden uns damit auseinandersetzen und einem Abwägungsverfahren unterziehen. Das wird bis Anfang 2012 dauern", sagt Tönnes. Die Entscheidung, ob am Ende ein Zielabweichungsverfahren, eine Art Ausnahmengenehmigung für den Kohlemeiler komme, falle die oberste Landesplanungsbehörde - und das sei die Landesregierung.

Zentrale Frage nach dem Abstand

Andreas Willeke, Eon-Projektleiter für den Block 4 des Kraftwerks Datteln

Eon-Projektleiter Andreas Willeke

Kernfrage dabei: Kraftwerke dieser Größenordnung - Datteln 4 hat eine Leistung von 1.100 Megawatt - müssen laut NRW Abstandserlass einen Mindestabstand von 1.500 Meter zur nächsten Wohnbebauung haben. Tatsächlich sind es in Datteln aber nur 400 Meter bis zum nächsten Haus. Kein Problem, sagt Eon-Projektleiter Andreas Willeke. Die 1.500 Meter seien "lediglich eine Faustformel", die die wenigsten Kraftwerke in NRW einhielten. Normal sei deshalb, in vielen Einzelgutachten nachzuweisen, wie groß die Belastung für die Bevölkerung durch den Meiler sei. Und da sei man sich sicher, die zulässigen Werte "auf jeden Fall" einzuhalten. Derzeit seien 40 bis 50 Expertisen in Arbeit.

Ammoniak soll nun verdünnt eingesetzt werden

Und Eon greift zu einem zusätzlichen Kniff: Nach den alten Planungen sollte zur Rauchgasreinigung Ammoniak eingesetzt werden. Damit fiel die Anlage automatisch unter die Störfall-Verordnung, nach der 1.500 Meter Mindestabstand ein Muss wäre. Jetzt will der Konzern nur noch Ammoniakwasser einsetzen. Damit greift die Verordnung nicht mehr; auch kleinere Abstände sind möglich.

Ob diese Änderungen am Ende ausreichen, damit Datteln 4 wirklich in Betrieb geht, ist ungewiss. Wann genau man Klarheit haben wird, da will sich der Projektleiter lieber nicht festlegen. Er setzt auf das neue Planverfahren im RVR: "Ich gehe auf jeden Fall davon aus, dass wir ans Netz gehen. Wann kann ich nicht sagen." Das Ringen um den Meiler, das wissen alle Beteiligte, wird noch Jahre dauern.