DJ Armin van Buuren steht bei der Mayday in der Westfalenhalle mit ausgebreiteten Armen vor einer Menschenmenge

Interview mit Soziologe Ronald Hitzler

Techno ist alt geworden

Stand: 30.04.2011, 00:00 Uhr

Die Mayday feiert Geburtstag: Heute findet die Techno-Party in der Dortmunder Westfalenhalle zum 20. Mal statt. Verändert hat sich in dieser Zeit vor allem das Publikum, sagt Soziologe Ronald Hitzler von der TU Dortmund.

Der Dortmunder Soziologe Ronald Hitzler war nicht ganz von Anfang an mit dabei: Vor 14 Jahren ging er zum ersten Mal zum "Tanz in den Mai" der Techno-Fans - der Mayday. Der 61-Jährige hat viel zur Jugendkultur und zur Techno-Szene geforscht. Am Samstag (30.04.2011) wird er nach zwei Jahren Pause wieder selbst an der Party teilnehmen.

WDR.de: Techno - gibt es das überhaupt noch?

Prof. Dr. Ronald Hitzler: (lacht) Ja. Sonst würde es die Mayday nicht geben. Techno lebt. Frank Zappa hat mal über den Jazz gesagt: "Jazz isn't dead, but it smells" (Übers.: Jazz ist nicht tot, aber er riecht schon). Ein bisschen kommt Techno in die Jahre.

WDR.de: Die Mayday gibt es seit 20 Jahren. Sind das immer noch dieselben Leute, die da feiern gehen, wie in den 90ern?

Hitzler: Ich bin erst seit den letzten 14 Jahren dabei - aber in dieser Zeit hat sich viel verändert. Das sagen auch meine Freunde, die zur Mayday gehen. Es sind einfach andere Leute da. Das hat zunächst einmal damit zu tun, dass sich die Ausrichtung der Mayday geändert hat. Der Veranstalter hat gewechselt - solche Veränderungen in der Organisation führen auch immer zur Veränderung der zentralen Teilnehmer.

WDR.de: Ist der Techno kommerzialisiert worden?

Hitzler: Kommerzialisierung war schon immer zentral in der Techno-Szene. Man kann Techno eben nicht mit der Wanderklampfe machen. Diese Partys sind extrem aufwendig - in der Logistik, der Finanzierung und beim Personalbedarf. Insofern gab es schon immer die Verbindung zu Sponsoren. Damit haben die Raver auch zum Großteil kein Problem.

WDR.de: Hat sich denn die Szene an sich verändert?

Hitzler: Szenen - und die Techno-Szene ist exemplarisch für eine Jugendszene - haben nach unserer Wahrnehmung ihren Höhepunkt eigentlich überschritten. Das ist völlig erklärbar, wenn man sich anguckt, welche Möglichkeiten der Vernetzung heute für junge Leute parat stehen. Die stärkste Konzentration auf etwas Bestimmtes war in den sogenannten Subkulturen, die vor den Szenen waren. Die Szenen waren schon sehr viel lockerere Gebilde. Heute findet die Nutzung von Szenen zwar noch statt, aber immer weniger Leute machen ein Bekenntnis zu so einer Gruppe.

WDR.de: Heute ist es nicht mehr so, dass Hip Hopper und Raver grundsätzlich nicht miteinander reden...

Hitzler: Die Leute nutzen heute eine Vielzahl von Unterhaltungsangeboten: Partys, Serien gucken, mit dem Handy spielen, Apps - alles was man so machen kann. Sie sind ungeheuer kompetent im Umgang mit all diesen Angeboten. Sie haben nicht das Bedürfnis, sich zu bekennen. Natürlich gibt es in jeder Jugendkultur immer Hardcore-Leute, die sagen: "Das ist richtig, da bin ich zu Hause." Aber der normal junge Mensch nutzt die Palette dessen, was wir inzwischen zur Verfügung haben. Es ist sehr schön zu beobachten, dass die Leute lässig mit dieser Vielfalt umgehen.

WDR.de: Die Techno-Fans der 90er Jahren haben den Ausdruck "Spaß-Generation" geprägt. Die Szene galt als unpolitisch. Heute gewinnt man den Eindruck, dass junge Leute ihre Wochenenden lieber in Stuttgart bei Demos verbringen.

Hitzler: Ich habe Zweifel daran, dass die Leute in den 90ern per se unpolitisch waren. Die waren nicht in einem traditionellen Sinne politisch. Im Grunde war das eine politische Inszenierung von: "So will ich leben". Jetzt haben wir wieder ein deutlich stärkeres Engagement. Engagement für etwas, was einen nicht unmittelbar betrifft. Heute sagen die jungen Leute: "Ich kämpfe für die Umwelt, weil ich noch eine Weile darin leben will." Das ist etwas anderes, als: "Ich will so bleiben, wie ich bin, deswegen tanze ich jetzt auf der Straße." Es gibt heute diese hochspannende Verbindung zwischen einer Bürgerlichkeit und gleichzeitig was dafür zu tun, dass der Globus erhalten bleibt. Das ist der Zeitgeist, den wir jetzt haben.

WDR.de: Stichwort Bürgerlichkeit: Wenn man an die Techno-Fans der 90er denkt, dann kommen gleich die Bilder von diesen verrückten Klamotten und knallbunt gefärbten Haaren zurück. Die gibt es heute nicht mehr, oder?

Hitzler: Die gibt es schon noch, aber die sind ganz sicher aus dem Sauerland. Ich entschuldige mich bei allen Sauerländern, aber wer heute noch so rumläuft, wird entweder dafür bezahlt oder er kommt wirklich aus der Provinz. Es gehört heute zur urbanen Coolness, eben nicht mehr so rumzulaufen. Trotzdem gibt es auch immer Paradiesvögel. Die Mayday fängt um sechs Uhr abends an und hört um neun Uhr morgens auf - da muss man etwas anhaben, was aushält, dass man ein paar Stunden lang tanzt. Die Leute sind pragmatisch, cool, urban - und so sehen sie auch aus. Wobei man sagen muss: Vorsicht, wenn man die Kleidungscodes nicht versteht.

WDR.de: Was meinen Sie damit?

Hitzler: Ich kann mich noch sehr gut an Diskussionen in der Techno-Szene erinnern, über Leute, die einfach die falsche Sonnenbrille aufhatten. Ich erinnere mich mit Grausen dran, dass ich lange Zeit keine Turnschuhe mit dicken Sohlen hatte. Und dann habe ich mir auch "Buffalos" gekauft. Meine Freunde waren entsetzt und meinten: "Was hast du denn da?" Dann hieß es: "Erstens haben das nur die Mädchen und zweitens sind jetzt wieder ganz flache Sohlen angesagt." Das geht rasend schnell.

WDR.de: Zwar ist das 20-jährige Bestehen der Mayday ein Grund zum Feiern, aber die Katastrophe der Loveparade ist noch nicht vergessen. Wie ist die Stimmung in der Szene?

Hitzler: Es gibt natürlich eine große Betroffenheit. Was mich irritiert hat, war, wie schnell in der Szene darüber gesprochen wurde: "Jetzt holen wir uns die Loveparade zurück." Die Szenefürsten hatten den Eindruck, dass diejenigen, die 2006 die Organisation der Loveparade übernommen haben, szenefremd waren. Waren sie ja auch. Die einen wurden mit den anderen nie richtig warm. Und nachdem im vergangenen Jahr 21 Menschen gestorben sind und Hunderte verletzt wurden hatte ich das Gefühl, jetzt sollte man einfach mal gar nichts sagen. Stattdessen ging die Debatte los, ob man sich die Loveparade zurückholen kann.

WDR.de: Ist die Mayday zum Ersatz für die Loveparade geworden?

Hitzler: Nein. Es gibt ein paar große Events jedes Jahr, wie "Nature One" und die "Street Parade". Die Street Parade in Zürich hatte der Loveparade vom mythischen her den Rang fast schon abgelaufen. Alle, die bei der Street Parade waren, haben gesagt: "Eigentlich ist die besser." Die Mayday ist etwas anderes. Die Mayday ist die Zentralveranstaltung für alle gewesen, die die Techno-Szene als ganz wichtigen Teil ihres Lebens begriffen haben. Bei der Mayday können Sie wahnsinnig viele und auch saugute internationale DJs in einer Nacht hören. Das ist im Grunde die Leistungsshow der Szene.

WDR.de: Sie gehen heute Abend (30.04.2011) selbst zur Mayday. Worauf freuen Sie sich?

Hitzler: Ich freue mich darauf, ein paar DJs zu hören, die ich bis jetzt noch gar nicht mitgekriegt habe. Es wird die ganze Nacht in drei Hallen gespielt - da muss ich mir mein eigenes Programm zusammenstellen. Ich bin in der Regel in der Halle 1, weil ich die so liebe.

Das Interview führte Katrin Schlusen.

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