Flucht vor Zwangsheirat

Hilfe für Migrantinnen

"Zwangsheirat gibt es mitten in Köln"

Stand: 18.06.2007, 17:46 Uhr

"Wir haben einen Ehemann für dich." Was können Mädchen tun, wenn die Eltern sie zur Heirat zwingen wollen? Das NRW-Integrationsministerium bietet eine neue Online-Beratung. Ein guter Schritt, meint Hanna Dirk von der Kölner "Lobby für Mädchen".

"Niemand hat das Recht, einem anderen Menschen durch psychischen Druck oder sogar körperliche Gewalt eine bestimmte Lebensführung aufzuzwingen", sagte Integrationsminister Armin Laschet zur Vorstellung des neuen Online-Angebotes am Sonntag (17.06.2007). Dabei können sich junge Frauen - und Männer -, die von Zwangsheirat bedroht sind, online informieren, anonym und in mehreren Sprachen. Das Projekt ist ein weiterer Baustein der Kampagne "Ihre Freiheit - seine Ehre". Hanna Dirk von der Mädchenberatungsstelle der Kölner "Lobby für Mädchen" begrüßt das neue Angebot, kritisiert aber zugleich Kürzungen im Beratungsbereich.

WDR.de: Wie sinnvoll ist eine solche Online-Beratung?

Hanna Dirk: Ich finde es gut, wenn solche Möglichkeiten geschaffen werden. Je mehr Angebote es gibt, umso leichter ist es für Betroffene, sich zu informieren und Hilfe zu bekommen. So erfahren sie auch, wie weit verbreitet das Problem ist und dass sie damit nicht alleine da stehen. Außerdem wissen wir aus unserer Arbeit, dass es Mädchen und Frauen gibt, die in ihrer Bewegungsfreiheit extrem eingeschränkt sind - die aber Internet-Zugang haben. Und auf diese Weise erhalten sie Zugang zu Hilfsanbegoten.

WDR.de: Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Beratungsstelle mit dem Thema "Zwangsheirat" gemacht?

Dirk: Zwangsheirat im engeren Sinne, also dass ein Mädchen tatsächlich gegen ihren Willen verheiratet wurde, das haben wir einmal erlebt. Das Mädchen war zum Zeitpunkt der Heirat noch keine 16 Jahre alt. Das war zwar natürlich keine Heirat im rechtlichen Sinne, aber es gab große Feierlichkeiten der Verlobung und Hochzeit, mit Hunderten von Gästen, die von dieser Heirat gegen den Willen des Mädchens wussten. Das hat hier in Köln stattgefunden, in großen angemieteten Festsälen. Wir hatten mit dem Mädchen erst Kontakt, als die Ehe schon geschlossen war. Aufmerksam gemacht wurden wir von der Schule. Dort war aufgefallen, dass das Mädchen immer depressiver schien. So kamen wir dann in Kontakt mit dem Mädchen. Zwangsheirat gibt es also tatsächlich auch mitten in Köln.

WDR.de: Wie ging die Geschichte aus?

Dirk: Inzwischen sind sie und ihr "Ehemann" getrennt, und das Mädchen hat nun wieder neue Hoffnung, ihr Leben so zu gestalten, wie es ihren Vorstellungen entspricht. Auch die Eltern haben mittlerweile ihre Einstellung geändert. Sie haben erkannt, wie tragisch diese Zwangsheirat für ihre Tochter war und versuchen jetzt, sie zu unterstützen. Aber das war ein langer Weg.

WDR.de: Wenn man das Problem "Zwangsheirat" breiter fasst, was gehört für Sie dazu?

Dirk: Was wir hier häufiger haben, sind Mädchen, die uns erzählen, wie sehr sie in ihren Freiheiten eingeschränkt sind. Mädchen, die zur Schule gehen, die aber nachmittags nicht raus dürfen, nicht alleine einkaufen dürfen, die über jede Minute Rechenschaft abgeben müssen. Nicht nur die Eltern üben diese starke Kontrolle, sondern häufig auch die Brüder, also tatsächlich junge Männer, die in Deutschland sozialisiert wurden. Sie haben eine Doppelmoral entwickelt und übernehmen die Aufgabe, die "Ehre" ihrer Schwestern zu kontrollieren. Das ist für mich die Vorstufe zu dem, was danach erfolgen kann, zum Beispiel eine arrangierte Ehe, von denen es ja sehr viele gibt. Und die Übergänge sind sehr fließend. Wo fängt Gewalt an, wo ist es keine? Es geht ja nicht nur um physische Gewalt; Familien können einen unwahrscheinlich großen moralischen Druck ausüben.

WDR.de: Welche Rolle spielt Religion dabei?

Dirk: Das Thema Zwangsheirat bezieht sich nicht nur auf den islamischen Glauben, sondern auch auf andere Religionen. Meiner Erfahrung nach spielt der kulturelle Hintergrund eine größere Rolle als die Religion.

WDR.de: Kommen mehr Mädchen aus Angst vor einer Zwangsheirat zu Ihnen als früher?

Dirk: Das kann ich schlecht beurteilen. Wir bekommen das zwar etwas mehr mit als früher. Das kann aber auch positiv bedeuten, dass Mädchen eher die Möglichkeit sehen, sich Hilfe und Beratung zu holen.

WDR.de: Wie können Sie den Mädchen helfen?

Indem wir ihnen erstmal die Möglichkeit geben, sich einer Person anzuvertrauen. Wenn ein Mädchen zu uns kommt, hat sie die Zusicherung, dass wir nichts gegen ihren Willen tun und auch keine anderen Einrichtungen einschalten, es sei denn, das Mädchen möchte das. Dann suchen wir zusammen nach Lösungen, bieten auch gemeinsame Gespräche mit den Eltern an - aber immer nur, wenn das Mädchen einverstanden ist. Außerdem versuchen wir die Mädchen darin zu stärken, eigene Interessen durchzusetzen, einen Schulabschluss zu machen, eine Berufsausbildung anzugehen, damit sie auf diesem Weg mehr Unabhängigkeit erlangen können.

WDR.de: Es gibt Mädchenhäuser, Frauenhäuser, jetzt die neue Online-Beratung - tut die Politik genug?

Dirk: Ich finde, dass das nicht der Fall ist. Es ist zwar die Rede davon, dass sich die Beratungsstellen stärker interkulturell öffnen sollen, was wir auch alle sehr wichtig finden. Gleichzeitig gab es aber finanzielle Kürzungen der Beratungsstellen durch das Land. Es wäre zum Beispiel wichtig, noch mehr Präventionsarbeit in Schulen zu leisten. Da wir aber personell so stark beschränkt sind, ist das ein Tropfen auf den heißen Stein. Dabei könnte man gerade in den Schulen gut sowohl die betroffenen Mädchen als auch Jungen erreichen.

Das Interview führte Kathrin Heßling.