Fahne mit drei Halbmonden, Symbol der ultra-rechten MHP

Nationalistisch-islamistische Propaganda

"Gehirnwäsche bei türkischen Schülern"

Stand: 20.10.2006, 00:00 Uhr

Türkische Schüler werden durch nationalistische und islamistische Organisationen aufgehetzt, behaupten Lehrer. Das sind unpolitische Einzelfälle, sagt die Polizei. Sind rechtsextreme türkische Jugendliche an NRW-Schulen ein Tabu?

Von Dominik Reinle

"Wir sind Türken, Gott sei Dank", hat ein Kölner Schüler in türkischer Sprache auf seine Tischplatte geschrieben. Dazu hat er drei Halbmonde und das Kürzel MHP gemalt. MHP ist die nationalistische türkische "Partei der Nationalen Bewegung". Sie gilt als politischer Arm der rechtsextremen und zunehmend islamistisch geprägten "Grauen Wölfe", die laut NRW-Verfassungsschutz juden- und kurdenfeindliche Propaganda verbreiten. Der 15-jährige Schüler ist offenbar fasziniert von der rassistischen Idee eines großtürkischen Reiches, dessen Volk anderen Menschen angeblich überlegen ist. Sein Lehrer Mustafa Bilgin* ist entsetzt: "Der Junge gehört zur dritten Generation von Türken in Deutschland. Er ist hier aufgewachsen."

Bilgin, der selbst aus der Türkei stammt, unterrichtet seit mehr als 20 Jahren an einer Kölner Gesamtschule. Lange waren nationalistische Parolen bei türkisch-stämmigen Schülern kein Thema. Doch das änderte sich zu Beginn des letzten Schuljahres: "Plötzlich wurden mir in der neunten Klasse Fragen mit politischem Hintergrund gestellt", berichtet der Fachlehrer für Türkisch. "Zum Beispiel: Sind Sie bereit, die Türkei gegen einen Angriff der USA zu verteidigen? Glauben Sie an Allah oder sind Sie ein Ungläubiger? Was denken Sie über die Weltjuden-Herrschaft?" Eine Gruppe von acht Schülern habe ihn und zwei andere Kollegen immer wieder verbal attackiert und als "türkenfeindlich" beschimpft, so Bilgin. Er vermutet hinter den Provokationen eine gezielte Aktion der "Grauen Wölfe".

"Graue Wölfe" als Mode-Erscheinung?

Die von der Schulleitung eingeschaltete Polizei kommt zu einem ganz anderen Schluss. Für sie haben die Vorkommnisse "keinen politischen Hintergrund". Es handele sich vielmehr um "ein privates Problem". Der Lehrer habe den Schülern erzählt, er sei Kurde und setze sich für die Menschenrechte in der Türkei ein. "Das hat den Schülern nicht gepasst", sagt ein Kölner Polizeisprecher. "Wir haben keine Belege, dass Nationalismus dahinter steckt." Die Verwendung von Symbolen der "Grauen Wölfe" durch türkische Jugendliche ist lediglich eine "Mode-Erscheinung", glauben die Ermittler. Die Beamten hätten zwar an verschiedenen Kölner Schulen derartige Schmierereien gefunden. Es handele sich aber um Einzelfälle, die "nicht von einer Organisation gesteuert" worden seien.

Treffpunkt der "Grauen Wölfe" in Köln ist nach Polizeiangaben eine Moschee im Stadtteil Mülheim. Dort weist man die Vorwürfe zurück: "Damit haben wir nichts zu tun", sagte ein Sprecher. "Wir arbeiten ehrenamtlich mit türkischen Jugendlichen und erziehen sie dazu, Gewalt zu unterlassen."

"Milli Görüs will islamistische Herrschaftsordnung"

Bei einem ähnlichen Fall in Gelsenkirchen geht die Polizei ebenfalls von "einem schulinternen Problem" aus. Wie sein Kölner Kollege berichtet auch Gesamtschullehrer Joachim Weber* von einer regelrechten Befragungskampagne. Immer wieder hätten türkische Schüler wissen wollen, ob er Jude sei. "Ich hatte vor Jahren im Geschichtsunterricht erzählt, dass meine Urgroßmutter Jüdin war", erklärt Weber. Ein Schüler habe ihn auf offener Straße als "Hurensohn, Missgeburt und Jude" beschimpft. "Ich wurde auch mehrmals gefragt, ob ich an die Lüge glauben würde, dass der Mensch vom Affen abstamme und warum die Schüler diese Lüge lernen müssten - obwohl die Evolutionstheorie gar nicht zum aktuellen Stoff gehörte", erzählt der 60-Jährige. Seine Schüler hätten ihn belehrt, nach islamischer Vorstellung stamme der Mensch nicht vom Tier ab, sondern sei "Gottes direkte Schöpfung". Ihre Ansichten beziehen die Schüler offenbar aus dem Koran-Unterricht einer Moschee, die mit der türkischen Bewegung Milli Görüs ("Nationale Sicht") zusammenarbeitet. "Die Schüler werden dort indoktriniert", glaubt Weber.

Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) mit Sitz in Kerpen ist laut NRW-Verfassungsschutz "die größte in Deutschland aktive islamistische Organisation". Die Behörde beobachtet die IGMG, weil diese "zweifellos eine islamistische Herrschaftsordnung" anstrebe. Charakteristisch für Milli Görüs ist ihr antidemokratisches, antisemitisches und totalitäres Gedankengut, sagen die Verfassungsschützer.

Für die Polizei in Gelsenkirchen besteht jedoch kein Zusammenhang zwischen den Vorfällen an der Gelsenkirchener Gesamtschule und Milli Görüs. "Es gibt keine konkreten Hinweise auf Straftaten oder einen islamistischen Hintergrund", sagt ihr Sprecher.

Indoktrinierung während des Nachhilfe-Unterrichts?

Sowohl in Köln als auch in Gelsenkirchen wertet die Polizei die Vorkommnisse an Schulen als unpolitische Einzelfälle. Strafbare Handlungen hätten nicht nachgewiesen werden können. Dennoch beobachtet der Staatsschutz der Polizei die Lage mit Besorgnis: Er verfügt über Informationen, dass es in NRW durchaus Versuche gibt, türkische Schüler islamistisch zu beeinflussen. "Wir haben Hinweise, dass Jugendliche während des Nachhilfe-Unterrichts indoktriniert werden", sagt ein Staatsschutz-Beamter hinter vorgehaltener Hand. Dies geschehe in einzelnen Gemeinden des bundesweiten "Verbandes der Islamischen Kulturzentren" (VIKZ) mit Sitz in Köln. "Zudem gibt es Wochenend-Internate des VIKZ, die an Moscheen angegliedert sind." Dort würde "etwas Ähnliches wie Gehirnwäsche" betrieben. Der Staatsschutz stützt sich auf Aussagen von Teilnehmern. "Die Lehrer müssen ihre Schüler nach einem solchen Wochenende erst einmal wieder auf den Boden zurückholen", so der Beamte, der nicht namentlich zitiert werden will. Der VIKZ widerspricht "diesen Unterstellungen" vehement. "Das sind Gerüchte ohne Hand und Fuß", sagt ein VIKZ-Sprecher. Er bestätigt jedoch die Hausaufgaben-Betreuung während der Woche und die so genannte religiöse Unterweisung am Wochenende.

Auch bei Milli Görüs hat der Staatsschutz Erkenntnisse über mögliche Beeinflussungsversuche: "Es gibt ernst zu nehmende Hinweise, dass in einigen IGMG-Ortsvereinen Eltern Geld als Belohnung bezahlt wird, wenn ihre Tochter das Kopftuch trägt." Der stellvertretende Generalsekretär der IGMG weist diese Darstellung als "absurden Schwachsinn" zurück. "Bei unserer religiösen Unterweisung geht es um Bekenntnisvermittlung und die Umsetzung islamischer Gebote." Die IGMG übe dabei jedoch keinen Druck - "welcher Art auch immer" - auf die Kinder aus. "Wir legen großen Wert auf Freiwilligkeit", betont das IGMG-Vorstandsmitglied.

Teil 2: Weshalb sich Schüler türkischer Herkunft für nationalistisch-islamistische Ideen interessieren.

*Namen von der Redaktion geändert.