Psychologie-Professor Dollase zum Erdogan-Besuch

"Es gibt keine Integration der Herzen"

Stand: 11.02.2008, 12:28 Uhr

Beruhigung erhitzter Gemüter in Ludwigshafen, Polit-Show in Köln: Was bedeutet der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan für die Integration? WDR.de sprach darüber mit dem Psychologie-Professor Rainer Dollase.

Dollase ist stellvertretender Leiter des Instituts für Konflikt- und Gewaltforschung der Universität Bielefeld. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören Erziehung, Gewalt, Fremden- und Islamfeindlichkeit.

WDR.de: Drei Tage beherrschte der Besuch des türkischen Regierungschef Recep Tayyip Erdogan in Deutschland die Schlagzeilen. Welche seiner Aussagen war für Sie die entscheidende?

Prof. Rainer Dollase: Die Berichterstattung war ja teilweise sehr unterschiedlich und hat manches verkürzt dargestellt. Dass Erdogan gleich nach dem Brand und der erregten Berichterstattung in türkischen Medien befürchtet hat, es könne sich um Brandstiftung handeln und von einem "zweiten Solingen" gesprochen hat, war auf Basis der damaligen Erkenntnisse zu früh. Andererseits hat seine Rede in Ludwigshafen eher beruhigend gewirkt. Das Relevante war für mich aber dort sein Vorschlag, türkischsprachige Schulen und Universitäten in Deutschland einzurichten. Man muss fairerweise sagen: Es gibt auch deutsch-französische Gymnasien hier. Aber es darf keine Parallelgesellschaften geben - und für die Integration ist die Schule das Entscheidende. Das haben auch Studien immer wieder bewiesen.

WDR.de: Und sein Vorschlag, türkische Ermittler nach Ludwigshafen zu schicken? Kann dies nicht leicht den Eindruck erwecken, die Türkei traue der deutschen Polizei nicht?

Dollase: Solche Hospitationen entsprechen den internationalen Gepflogenheiten bei derartigen Untersuchungen. Eine brisante Mischung ist für mich allerdings das Zusammentreffen der Katastrophe mit Erdogans politischer Veranstaltung in der Kölnarena.

WDR.de: Dort wurde der türkische Regierungschef von tausenden Landsleuten fast wie ein Popstar gefeiert. Brauchte die türkische Gemeinde nach dem Brand von Ludwigshafen einen Seelentröster - oder zeigt es, dass viele Migranten sich der Türkei eben doch noch stärker verbunden fühlen, obwohl sie in Deutschland leben?

Dollase: Ein Großteil des Publikums in der Kölnarena waren ja Deutsche. Sie sind hier aufgewachsen, haben einen deutschen Pass. Aber es zeigt, dass das Gefühl, Deutsche zu sein, bei vielen türkischstämmigen Migranten immer noch relativ gering ist. Wir haben eine Befragung durchgeführt: Dabei haben 40 bis 50 Prozent der türkischstämmigen Jugendlichen gesagt, sie fühlten sich als Türken. Die übrigen fühlten sich "teils, teils" oder als Deutsche. Migranten aus Russland oder Polen sagen dagegen vergleichsweise schnell "Ich bin Deutscher".

WDR.de: Woran liegt das Ihrer Einschätzung nach?

Dollase: Ein wichtiger Faktor ist: Die Deutschen verhalten sich gegenüber Migranten politisch korrekt, aber es gibt keine "Integration der Herzen". Wir dürfen es nicht dabei belassen, mal einen Döner zu essen, sondern müssen offener auf sie zugehen. Kleine Gesten zählen viel.

WDR.de: Aber wie nimmt die deutsche Bevölkerung nun Erdogans Auftritt wahr? Türkischer Wahlkampf in Deutschland, Erdogans Idee türkischer Schulen in Deutschland - wirkt das in Sachen Integration nicht eher kontraproduktiv?

Dollase: Nein, und dazu habe ich auch Daten: Wir haben 2004/2005 rund 6.500 Bundesbürger aus elf Berufen befragt. Die Studie hat gezeigt, dass die grundlegenden Einstellungen zur Integration nicht solchen Einflüssen unterliegen, sondern relativ stabil sind. Wir haben damals immer mit abgeglichen, ob es zum Zeitpunkt der Antworten vergleichbare Ereignisse wie jetzt den Brand in Ludwigshafen gab. Dabei haben wir aber keine Unterschiede festgestellt. Wir haben sogar relativ provokante Fragen gestellt, um das abzusichern: Wenn in der Nachbarschaft eine Moschee gebaut werden und ein Muezzin rufen soll, stößt das vielfach auf Ablehnung. Aber das ist meiner Einschätzung nach nicht gleichbedeutend mit Fremdenfeindlichkeit: Eine christliche Kirche mit Glockenläuten wollten die Leute auch nicht nebenan haben.

Das Interview führte Fiete Stegers.