Jalal Shayaa

Kinder flohen allein aus dem Irak

Vater der sieben "Waisen" lebt

Stand: 12.02.2009, 17:05 Uhr

Die Mutter getötet, der Vater in der Heimat verschleppt - für sieben Kinder begann im Juli 2007 eine abenteuerliche Flucht aus dem Irak. Sie endete bei den Großeltern in Essen. Jetzt gibt es ein Lebenszeichen vom Vater.

Von Katja Goebel

Schon vor einigen Wochen gab es erste Gerüchte. Verwandte aus Mossul wollten den Vater der sieben Kinder gesehen haben. Jenen 38-Jährigen, der am 12. Juli 2007 verschleppt worden war - wahrscheinlich von religiösen Extremisten, die im Irak wiederholt Jagd auf Christen machten. Seine Frau wird an diesem Tag sterben. Vermummte Männer dringen nachmittags in das Haus der Familie ein und erschießen die Mutter vor den Augen ihrer Kinder.

Der älteste Sohn Naseem, damals 15 Jahre alt, hat nicht viel Zeit zum Trauern. Er nimmt seine kleinen Geschwister mit auf eine abenteuerliche Flucht. Zunächst in den Norden des Landes zu Verwandten, dann weiter, mit einem fremden Fahrer über die Landesgrenze ins syrische Damaskus.

Neuanfang in Deutschland

Es soll ein langer Weg werden, bis die sieben Kinder zumindest äußerlich unbeschadet in Essen ankommen. Dort leben die Großeltern. Als Großmutter Fiktoria Hannah von der Flucht ihrer Enkel erfährt, reist auch sie nach Damaskus. Sieben Monate dauert es, bis sie alle gemeinsam Syrien verlassen dürfen.

In Sicherheit angekommen, ist für die plötzlich vereinte Großfamilie nichts mehr, wie es war. Die Kinder, allesamt Analphabeten, werden ein paar Monate später deutsche Schulen besuchen. Sie haben Alpträume, können das Erlebte einfach nicht vergessen. Fiktoria Hannah und ihr Mann sind sichtlich überfordert mit den Kindern. Die Caritas vor Ort hilft, wo sie nur kann. Auch Shairzid Thomas, Dolmetscher und Caritasmitarbeiter, der für die Familie Ämtergänge erledigt und mutmachende Gespräche mit ihnen führt. Er ist es auch, der ihnen jetzt die freudige Nachricht über ihren Vater bestätigt.

Ein Foto als erstes Lebenszeichen

Seit Januar 2009 ist Shairzid Thomas, der vor Jahren aus Bagdad geflohen war, schon zwei Mal in die alte Heimat gereist. Für die Caritas kümmert er sich vor Ort um Flüchtlinge, verteilt Geld, knüpft Kontakte. Nun soll er nach dem Vater der Kinder suchen und feststellen, ob an den Gerüchten aus Mossul etwas dran ist. Er trifft ihn tatsächlich und macht Bilder. Als er sie schließlich in Essen den Kindern zeigt, brechen alle in Tränen aus. Einzig Naseem, der heute 16 Jahre alt ist, hatte immer am Tod seines Vaters gezweifelt.

Bis sich die Familie wiedersehen wird, werden noch einige Wochen vergehen. "Die Nagelprobe kommt noch", sagt Rudi Löffelsend vom Essener Caritasverband. Jetzt geht es darum, den Vater so schnell wie möglich nach Deutschland zu holen. Ein Visum muss beantragt werden, das Asylverfahren muss in Gang kommen. Löffelsend will Kontakte zu Botschaftsmitarbeitern und dem Auswärtigen Amt aufnehmen. "Der Mann ist dort unten völlig mittellos, sein Haus steht nicht mehr. Das Einzige, was er in den Taschen hatte, waren die Bilder seiner Kinder."