Flugzeuge der Lufthansa stehen am Boden

Der sanfte Arm der Lufthansa

Tag 3: Krisen und Stresssituationen

Stand: 16.09.2001, 15:08 Uhr

Tote. Verwundete. Vermisste. Milliardenschäden. Und Zigtausende gestrandeter Passagiere. Nachdem Terroristen in New York, Washington und Pittsburgh gemordet hatten, wurde der Luftraum über Amerika geschlossen. Die Folge: Flugreisende aus aller Welt kamen nicht mehr weiter. Darunter Tausende, die mit der Lufthansa geflogen waren.

Von Herbert Bopp

Doch nicht nur Urlauber und Geschäftsleute blieben hängen. Auch LH-Crew-Mitglieder konnten nicht weiterreisen. Da kommt das CISM-Team ins Spiel. Und damit Carsten Krupke (28) und Dr. Michael Otto (48). CISM steht für: Critical Incidents Stress Management. Die Feuerwehr für Krisen- und Stress-Situationen. Der tröstende Arm, den die Lufthansa um seine Crewmitglieder legt, wenn die Not am größten ist.

Fünf Tage und Nächte auf dem Rollfeld

Seit dem Anschlag auf das World Trade Center am vergangenen Dienstag (11.09.01) stehen sechs Lufthansa-Maschinen auf den beiden New Yorker Flughäfen. Drei in Newark, drei auf dem John F. Kennedy-Airport. Die Maschinen waren aus Frankfurt, München und Düsseldorf gestartet. In New York ging nichts mehr. Fünf Tage und Nächte lang blieben sechs LH-Maschinen auf dem Rollfeld. Über tausend Passagiere und mehr als hundert Besatzungsmitglieder saßen fest. Um die LH-Leute kümmerten sich Carsten Krupke und Michael Otto. "Die Crew war fit und gut organisiert, als wir hierher kamen", attestiert Dr. Otto seinen Kollegen. Er selbst war früher Flugbegleiter gewesen. Dann wurde er Arzt. Doch das Fliegen hat ihn nie mehr losgelassen. So ist der aus Adlenburg bei Lüneburg stammende Mediziner beim CISM-Team gelandet. Sein Kollege Carsten Krupke stammt aus Wiesbaden.

Inzwischen dürften alle LH-Maschinen den New Yorker Luftraum verlassen haben. Was immer in diesen Krisenzeiten auch normal heißen mag: Life goes on - auch bei der Deutschen Lufthansa.

Zwischenstation auf Neufundland

Die Reise nach New York war selbst für erfahrene Flieger wie Michael Otto, Carsten Krupke und all die anderen Mitglieder des Betreuungs-Teams eine logistische Herausforderung. Über Kevlavik/Island ging es zunächst nach Gander/Neufundland. Dort waren vier LH-Crews und rund 900 Passagiere gestrandet. Zwei Drittel der Stress-Management-Leute gingen in Gander von Bord. Sie versorgten Crew und Fluggäste mit Hilfsgütern: Schlafsäcke, Windeln, Hygiene-Artikel. Was der Mensch eben so braucht, wenn er unverhofft in Not gerät. "Die kanadischen Behörden waren hervorragend organisiert" lobt Carsten Krupke die Vor-Ort-Betreuung auf dem kleinen Flughafen des Zwölftausend-Einwohner-Städtchens Gander. Trotzdem wollte die Lufthansa vor Ort sein, um nach dem Rechten zu sehen. Von Gander aus flog der Rest des CISM-Teams weiter nach Hailfax. Auch dort waren 280 LH-Passagiere und Crew-Mitglieder gestrandet.

Jetzt hatten Krupke, Otto und der Rest des Krisenstabs ein Problem: Wie kommen sie vom kanadischen Halifax ins amerikanische New York, wo doch der Luftraum dicht ist? Eine United Airlines-Maschine mit Sondergenehmigung nahm die Deutschen kurzerhand an Bord. Das Krisen- und Stress-Management-Team war am Ziel.

"Ich war den Tränen nahe"

In New York musste dann nur noch der Rückflug der Crew-Mitglieder organisiert werden. Psychologische Betreuung war nicht nötig. Auch aus medizinischer Sicht war alles in Ordnung. Carsten Krupke und Michael Otto hatten Zeit, sich in New York umzusehen. Doch es wurde keine Fun-Tour: "Die Stimmung war unglaublich bedrückend", sagt Dr. Otto. Die Nachrichten von den Toten. Die Plakate mit den Fotos der Vermissten. Die abgekämpften Gesichter der Rettungstrupps. So hatten die beiden LH-Leute die Stadt noch nie zuvor erlebt. "Ich war mehrmals den Tränen nahe", sagt Dr.Otto. Noch in der Nacht zum Montag reisen Otto, Krupke und der Rest des CISM-Teams nach Frankfurt zurück. Mit an Bord: Erinnerungen an ein New York im Ausnahmezustand.

New Yorker Zitate

"Wollt Ihr noch mehr Tote?"
Ein argentinischer Reporter zu einem Polizisten, nachdem dieser ihn mit gezogener Pistole am Zutritt zum Trümmerhaufen gehindert hatte.

"Leute, kauft mehr Zeitungen! Es gibt Krieg!"
Ein Zeitungsverkäufer an einem Kiosk an der Ecke Broadway/Ecke 31st Street.

"Meine Hoffnung, meinen Vater lebend zu finden, ist größer als das World Trade Center jemals war."
Eine junge Frau an der "Mauer der Tränen", wo Fotos von vermissten Personen ausgehängt sind.