Das am 8.10.1997 von der Pariser Zeitung "Liberation" veröffentlichte Foto zeigt den am 5.9.1977 von der RAF entführten Arbeitsgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer

Sechs Wochen, die die Republik veränderten

Schleyer entführt, "Landshut" gekapert

Stand: 28.04.2007, 00:00 Uhr

Schleyer-Entführung, die Kaperung der Lufthansa-Maschine "Landshut" und tote RAF-Häftlinge im Hochsicherheitstrakt der JVA Stuttgart-Stammheim: Der so genannte Deutsche Herbst bildete den Höhepunkt des Terror-Jahres 1977. Sechs Wochen, die die Republik veränderten.

Von Frank Menke

"Wir haben nach 43 Tagen Hanns Martin Schleyers klägliche und korrupte Existenz beendet" - das 25. Bekennerschreiben der "Roten Armee Fraktion" (RAF) bringt am 19. Oktober 1977 die tödliche Gewissheit. Der entführte Arbeitgeber-Präsident, für die Terroristen eine der Symbolfiguren des verhassten Kapitalismus, ist tot. Hingerichtet mit drei Kopfschüssen findet die Polizei den 62-Jährigen im Kofferraum eines Audi im elsässischen Mühlhausen. Bereits am 4. August 1977, einen Monat vor der Entführung, hatte die Bild-Zeitung getitelt: "Schleyer soll der nächste sein".

Sofort das Feuer eröffnet

Nachgestelltes Schleyer-Attentat

Nachgestellt: Überfall auf Schleyer-Fahrzeuge

Sechs Wochen lang halten die Terroristen die Bundesrepublik und das Ausland in Atem. Am 5. September 1977 um 17.29 Uhr stoppt das vierköpfige RAF-Kommando "Siegfried Hausner" in Köln-Braunsfeld Schleyers Fahrzeugkonvoi. Die Terroristen eröffnen sofort das Feuer. Schleyers Fahrer und drei Polizisten sterben im Kugelhagel, der Arbeitgeber-Präsident wird aus dem Wagen gezerrt und per VW-Bus in eine Hochhauswohnung in Erftstadt verschleppt. Im Auto findet die Polizei die erste Nachricht der Terroristen: "an die bundesregierung. sie werden dafür sorgen, dass alle öffentlichen fahndungsmaßnahmen unterbleiben, oder wir erschießen schleyer sofort, ohne dass es zu verhandlungen über seine freilassung kommt. raf."

Operation "Big Raushole"

"Big Raushole" haben die Terroristen ihre Aktion getauft, mit der sie elf inhaftierte RAF-Mitglieder - darunter Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe - aus dem Gefängnis in Stammheim freipressen wollen. Die Tat wird vom RAF-Kommando "Siegfried Hausner" begangen. Daran beteiligt sind unter anderem Brigitte Mohnhaupt, Christian Klar und Peter-Jürgen Boock. Mit der Schleyer-Entführung im September beginnt der Höhepunkt des blutigen Terrorjahres 1977. Die Zeitspanne bis zur Ermordung des Arbeitgeber-Präsidenten wird später als "Deutscher Herbst" bezeichnet. Im selben Jahr waren schon Generalbundesanwalt Siegfried Buback und Dresdner-Bank-Chef Jürgen Ponto dem RAF-Terror zum Opfer gefallen.

Der Staat bleibt hart

Fahndungsbild von Brigitte Mohnhaupt

Tatbeteiligt: Brigitte Mohnhaupt

Während Schleyer seine ersten Stunden im so genannten Volksgefängnis verbringt, tagt in Bonn bereits der Krisenstab. Die von Helmut Schmidt (SPD) geführte Regierung setzt mit Zustimmung aller Parteien auf Härte, will Zeit gewinnen. Der Staat solle sich nicht wieder erpressbar machen wie 1975 bei der Lorenz-Entführung. Der CDU-Politiker war damals gegen inhaftierte Terroristen ausgetauscht worden. "Eines war klar: Wir wollten niemals die Terroristen in Stammheim freilassen", erinnert sich Ex-Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski (SPD) später.

Regierungskritik in Schleyer-Videos

Bonn reagiert mit Rasterfahndung, Straßen- und Nachrichtensperren sowie umstrittenen Anti-Terror-Gesetzen. Dazu gehört unter anderem das Kontaktsperregesetz, das in Gefahrensituationen Häftlingen den Kontakt zu ihren Anwälten verbietet. Doch Schleyer bleibt verschwunden. Einem Hinweis auf das "Volksgefängnis" in Erftstadt geht die Polizei aufgrund einer Fahndungspanne nicht nach. Auf Videobändern, die die RAF den Behörden schickt, beklagt sich der Entführte zunehmend über die Haltung der Regierung: "Ich habe nie um mein Leben gewinselt. Was sich aber seit Tagen abspielt, ist Menschenquälerei ohne Sinn." Und weiter: "Ich bin nicht bereit, lautlos aus diesem Leben abzutreten, um die Fehler der Regierung und die Unzulänglichkeit des hochgejubelten Chefs des Bundeskriminalamtes zu decken."

Schleyer-Sohn scheitert vor dem Verfassungsgericht

Richter des Bundesverfassungsgerichts

Ablehnend: Karlsruher Richter

Der zermürbende Austausch von Forderungen der Entführer und Reaktionen der Regierung geht bis zum 13. Oktober weiter. Dann kapert ein arabisches Terrorkommando die Lufthansa-Maschine "Landshut" auf dem Weg von Palma de Mallorca nach Frankfurt am Main. Die Palästinenser wollen zusätzlich Druck machen, um ihre Gesinnungsgenossen frei zu bekommen. Fast zeitgleich wird Schleyer erst nach Den Haag, später nach Brüssel verschleppt. Die Lage spitzt sich zu. Am 15. Oktober stellt Schleyers Sohn Hanns-Eberhard beim Bundesverfassungsgericht in Karsruhe einen Antrag auf einstweilige Anordnung. Er will damit die Regierung zwingen, den Forderungen der Terroristen nachzugeben, um seinen Vater frei zu bekommen - vergeblich. Der Erste Senat verwirft den Antrag nach mehrstündigen Beratungen.

Tod in Stammheim

Der Wagen mit Schleyers Leiche

Gefunden: Der Wagen mit Schleyers Leiche

Drei Tage später stürmt die GSG 9, eine Eliteeinheit des Bundesgrenzschutzes, in Mogadischu die "Landshut" und befreit die 90 Geiseln. Die Terroristen Baader, Ensslin und Raspe werden im Stammheimer Gefängnis tot aufgefunden. Die Behörden sprechen von Selbstmord. Die RAF-Anwälte halten aufgrund von - teilweise bis heute ungeklärten - Widersprüchen Mord für möglich. Durch die Tode in Stammheim ist Schleyer als Geisel für die RAF wertlos geworden. Sein Todesurteil ist gefällt.


Mit einem Staatsakt in Stuttgart verabschiedet sich die Bundesrepublik am 25. Oktober 1977 von Hanns Martin Schleyer. Bundeskanzler Schmidt kondoliert Schleyers Witwe Waltrude. Zwei Tage später werden Baader, Ensslin und Raspe ebenfalls in Stuttgart beerdigt. Wer Schleyer erschossen hat, ist bis heute ungeklärt.