Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement (SPD) (Archivfoto vom 30.08.2007)

Interview mit Parteienforscher Alemann

"Entscheidung ist aberwitzig und unüberlegt"

Stand: 01.08.2008, 06:00 Uhr

Rückt die SPD nach Clements Ausschluss weiter nach links? Was wird aus der Agenda 2010? Wie viel internen Widerspruch verträgt eine Partei? Ein Gespräch mit dem Düsseldorfer Parteienforscher Ulrich von Alemann.

WDR.de: Waren Sie überrascht, als Sie von Wolfgang Clements Parteiausschluss erfahren haben?

Ulrich von Alemann: Ja, sehr. Ich hätte nicht gedacht, dass es so weit kommt. Denn ein Ausschluss ist immer eine Reinigung. Man will das, was stört, nicht haben. Wolfgang Clement hat die NRW-SPD wohl so sehr gestört und verstört, dass diese zur höchsten Strafe gegriffen hat, die eine Partei aussprechen kann.

WDR.de: Wäre die Rüge, die in erster Instanz verhängt wurde, angemessen gewesen?

von Alemann: Ich finde ja. Denn er hat mit seiner Aussage den hessischen Wahlkampf schon etwas gestört. Aber Clement ist ein Mann der Prinzipien. Er sah die Rüge nicht ein, die die erste Instanz gegen ihn aussprach, und wollte freigesprochen werden. Doch nun kam es anders. Ihn gleich auszuschließen, halte ich für eine törichte Überreaktion, die zudem noch kontraproduktiv ist. Der Ausschluss wird bei der SPD größeren Schaden anrichten als Clement mit seiner Äußerung.

WDR.de: Inwiefern?

von Alemann: Dadurch werden auch andere SPD-Politiker getroffen, die sich mit Clement solidarisieren oder seine Positionen teilen. Die SPD verfügt ja zurzeit über keinen besonders großen Magnetismus auf neue Mitglieder. Und durch einen solchen Vorgang stößt man noch weitere Mitglieder ab. Dieses Urteil wird der SPD eine negative Debatte bescheren, und zwar nicht nur in NRW, sondern in der Gesamtpartei. Was will die SPD? Wohin will sie? Mit welchen Führungspersonen? Diese Fragen, die im Moment keiner in der Partei beantworten will, werden nun noch drängender gestellt werden.

WDR.de: Wie erklären Sie sich das harte Urteil?

Porträt Ulrich von Alemann

Parteienforscher Ulrich von Alemann

von Alemann: Ich vermute, die Schiedskommission wollte ein Exempel statuieren. Nicht kuschen vor hohen Tieren, jeder muss gleich behandelt werden - diese Motive dürften eine Rolle gespielt haben. Klare Kante zeigen, wie man im Ruhrgebiet so schön sagt. Dazu kommt: Clement hat viele Leute vor den Kopf gestoßen, gerade in NRW und in seiner eigenen Partei. Er hielt sich nie zurück und tut das bis heute nicht. Aber es ist aberwitzig und unüberlegt, hier die Höchststrafe zu verhängen. Die Schiedskommission hat nicht beachtet, welche Wirkung diese Entscheidung hat. Einen Mann mit einer solchen Parteigeschichte auszuschließen, ist in der Nachkriegsgeschichte einmalig. Oskar Lafontaine beispielsweise hat als SPD-Mitglied offen mit der WASG sympathisiert und dadurch der Partei sicher mehr geschadet als Clement mit seinem Kommentar. Aber gegen ihn gab es nie ein Verfahren.

WDR.de: Wie viel innerparteilicher Widerspruch muss in einer Partei erlaubt sein?

von Alemann: Eine große Volkspartei, als die sich die SPD ja versteht, muss solche Diskussionen aushalten können. Und in der Regel ist das auch der Fall. Parteien haben eine ganz breite Palette an Meinungen und Positionen, und da kommt es auch oft zu kontroversen Debatten. Debatte und Streit sind aber notwendig, richtig und wichtig für Parteien in einer Demokratie. Deshalb muss die Spannbreite relativ groß sein. Clements Äußerung im hessischen Wahlkampf war meiner Meinung nach innerhalb der Diskussionsbreite, wenn auch knapp an der Grenze.

WDR.de: Clement war einer der Macher der umstrittenen Agenda 2010. Ist sein Rauswurf ein Symbol für eine Abkehr von der bisherigen Politik?

von Alemann: Natürlich ist die Agenda 2010 ein hohes politisches Symbol in der SPD, für das Clement stand. Aber er war ja nicht der Einzige. Wenn das ein Motiv wäre, müsste man die halbe Mannschaft der SPD rauswerfen. Man darf nicht vergessen, dass die Agenda 2010 auf Parteitagen und in der Bundestagsfraktion der SPD mehrheitlich verabschiedet wurde. Dieses Programm war keine Verschwörung einiger weniger Technokraten, wie es immer wieder dargestellt wird. Die Mehrheit der Partei stand dahinter.

WDR.de: Kann sich die SPD nun weiter links positionieren? Wird sie attraktiver für linke Wähler?

von Alemann: Das glaube ich nicht. Dem SPD-Vorsitzenden Kurt Beck kann man wahrlich keine linken Strömungsgelüste unterstellen. Auch denke ich nicht, dass eine einzelne Entscheidung wie diese großen Einfluss auf die Wähler hat. Zumal Clement in letzter Zeit keine große Rolle mehr in der Partei gespielt hat.

WDR.de: Wie sehen Sie Clements Chancen bei der Berufungsverhandlung?

von Alemann: Die sind gut. Ich rechne damit, dass die Bundesschiedskommission das Urteil korrigiert und auf die erste Instanz zurückkommt: eine Rüge. Mehr aber nicht. Die Bundesschiedskommission wird weniger emotional und mit kühlerem Kopf an den Fall herangehen. Aber selbst wenn sein Ausschluss bestätigt würde, kann Clement immer noch vor ein ordentliches Gericht gehen.

WDR.de: Für den Fall seines Ausschlusses haben ihm CDU und FDP schon Angebote gemacht, dort eine neue politische Heimat zu finden. Wird er diese annehmen?

von Alemann: Das glaube ich nicht. Die FDP macht gerne solche Angebote. Friedrich Merz zum Beispiel hat auch schon lange ein Angebot der Liberalen in der Tasche. Er nimmt es aber nicht an, genauso wenig wie Clement in eine andere Partei eintreten wird.

Das Interview führte Ingo Neumayer.