Enteignung wegen Braunkohletagebau?

Aktuelle Stunde 04.06.2013 02:22 Min. Verfügbar bis 30.12.2099 WDR

Enteignet - zu Recht?

BVerfG entscheidet über Garzweiler II

Stand: 04.06.2013, 06:00 Uhr

Tausende Menschen mussten für den Braunkohletagebau ihre Häuser und ihre Heimat verlassen. Ein Mann aus Immerath und der BUND haben dagegen durch alle Instanzen geklagt. Ab Dienstag (04.06.2013) prüft das Bundesverfassungsgericht, ob die Enteignung gegen die Grundrechte verstößt – mit womöglich weitreichenden Folgen.

Die Richter des ersten Senats müssen darüber entscheiden, ob die Zwangsenteignung und die bergrechtliche Zulassung des Braunkohletagebaus Garzweiler II bei Mönchengladbach verfassungsgemäß sind. Stephan Pütz wird dann in Karlsruhe sein und die mündliche Verhandlung mitverfolgen. Seit mehr als 15 Jahren kämpft er gegen die Zerstörung seiner Heimat durch die riesigen Bagger des RWE-Konzerns.

"Recht auf Heimat"

Der 50-Jährige sieht durch die drohende Umsiedlung sein Grundrecht verletzt und beruft sich darauf, seinen Wohnsitz frei wählen zu dürfen. Sein Anwalt Dirk Teßmer, der auch den BUND vertritt, macht eine Verletzung von Artikel elf - Recht auf Freizügigkeit - des Grundgesetzes geltend. Dieser umfasse auch das Recht, den bisherigen Aufenthalt beizubehalten sowie ein Recht auf "Heimat".

Die Bagger rücken näher

Sein Mandant lebt in Immerath, einem Ortsteil von Erkelenz. Auch dort kommen die Bagger immer näher. Nachdem Garzweiler I auf 66 Quadratkilometern mehr als ein Dutzend Dörfer abgebaggert hat, frisst sich Garzweiler II seit 2006 von Osten her auf die Stadt Erkelenz zu. Der Abbaubereich erstreckt sich über 4.800 Hektar. Bis 2025 sollen hier 1,3 Millionen Tonnen Braunkohle abgebaut werden. Tausende Menschen müssen in der Region den Baggern weichen.

Die Obstbäume sind weg

Viele der Einwohner haben Immerath längst verlassen. Stephan Pütz ist in seinem Haus geblieben und will nicht weg. Eine Obstbaumwiese des Bund für Umwelt und Naturschutz in Nordrhein-Westfalen hat das riesige Loch dagegen längst geschluckt. Die Bezirksregierung Arnsberg hatte das Grundstück 2005 auf Antrag der RWE zwangsenteignet. Das Bundesberggesetz, auf dessen Grundlage der Rahmenbetriebsplan für Garzweiler II vom Bergamt Düren 1997 genehmigt wurde, sieht die Möglichkeit einer solchen Enteignung zugunsten des Bergbauunternehmens vor (sogenannte Grundabtretung).

"Bergrecht bricht Grundrecht"

"Es kann nicht angehen, dass im 21. Jahrhundert in Deutschland die betriebswirtschaftlichen Interessen der RWE Power AG höher gewichtet werden, als die Belange des Allgemeinwohls", sagt Dirk Jansen, Geschäftsleiter des BUND-Landesverbands NRW. Das Bergrecht dürfe nicht mehr länger Grundrecht brechen.

Enteignung zum Wohl der Allgemeinheit

"Es geht darum festzustellen, dass die Vorschriften des Bundesberggesetzes verfassungswidrig sind und nicht anerkannt werden durften", sagt Rechtsanwalt Dirk Teßmer. Er sieht in der Zwangsenteignung der Obstwiese einen Verstoß gegen das Grundrecht auf Eigentum gemäß Artikel 14 GG. Dieser garantiert zwar grundsätzlich das Eigentum; er legt aber auch fest, dass Enteignungen zulässig sind. Zum Beispiel für den Bau neuer Lande- oder Autobahnen oder die Gewinnung von Rohstoffen. Vorausgesetzt es dient dem Wohle der Allgemeinheit.

Laut einem früheren Karlsruher Urteil sind solche Eingriffe in das Grundrecht auf Eigentum aber nur zulässig, wenn ein besonders "schwer wiegendes, dringendes öffentliches Interesse" besteht. Doch diese Interessensabwägung fand den Angaben des Frankfurter Rechtsanwalts zufolge beim Abbau in Garzweiler nie statt. Teßmers Mandanten bezweifeln seit Langem die energiepolitische Notwendigkeit von Garzweiler und hoffen bei der Prüfung der bisherigen Urteile durch das Bundesverfassungsgericht auf die Stärkung ihrer Grundrechte.

Urteil mit Folgen?

Alles sei denkbar, sagt der Rechtsanwalt ohne allzu großen Optimismus. Sollt der Erste Senat tatsächlich zu dem Schluss gelangen, dass die Grundrechte verletzt sind, hätte dies weitreichende Folgen: "Das würde bedeuten, dass kein Tagebau auf besiedelten Ortschaften zulässig wäre", sagt Teßmer. Bis zur Bekanntgabe einer endgültigen Entscheidung der Richter wird es aber mindestens sechs Monate dauern.