Paradoxe Energiewende

Braunkohle-Strom auf Rekord-Niveau

Stand: 07.01.2014, 14:00 Uhr

Im vergangenen Jahr wurde fast so viel Strom aus Braunkohle produziert wie im Jahr der Wiedervereinigung - trotz des steigenden Ökostromanteils. In NRW verschwinden deswegen ganze Dörfer: Mehr als die Hälfte der deutschen Braunkohle wird hier abgebaut und zur Stromerzeugung genutzt.

Von Martina Züger

Der Bagger frisst und frisst und steht kurz vor dem Ortsrand von Erkelenz-Borschemich. Bald wird das Dorf weggebaggert sein - und die Anwohner vertrieben. Leo Jans und alle, die nahe der drei NRW-Braunkohletagebaue Hambach, Inden und Garzweiler wohnen - sie zahlen den Preis für die billige Braunkohle. "Das ist ein Eingriff ins Leben, das können Außenstehende nicht nachvollziehen", sagt Leo Jans, Pferdehofbesitzer in Borschemich.

2013 wurden 97 Millionen Tonnen Braunkohle im Rheinland gefördert

Das Rheinland ist das größte Braunkohlerevier Europas, 60 Prozent der deutschen Braunkohle werden zwischen Köln, Aachen und Mönchengladbach gewonnen. 2013 wurden im rheinischen Abbaugebiet 97 Millionen Tonnen Braunkohle gefördert, immerhin vier Prozent weniger als im Vorjahr. Seit 1990 war die Stromproduktion aus Braunkohle gesunken. Doch seit 15 Jahren steigt sie wieder - trotz der milliardenschweren Förderung Erneuerbarer Energien. Obwohl der Ökostromanteil inzwischen knapp 25 Prozent beträgt, wird dadurch mit einem erneut gestiegenen CO2-Ausstoß in Deutschland gerechnet. Denn 2013 ist die klimaschädliche Stromproduktion aus Braunkohle in Deutschland auf den höchsten Wert seit 1990 geklettert. Das geht aus vorläufigen Zahlen der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen hervor. Demnach wurden 2013 mehr als 162 Milliarden Kilowattstunden Strom in Braunkohlekraftwerken erzeugt. 1990, als noch viele alte DDR-Meiler liefen, waren es knapp 171 Milliarden Kilowattstunden. 147 Milliarden Kilowattstunden wurden über Erneuerbare Energien erzeugt und 124 Milliarden Kilowattstunden in Steinkohlekraftwerken.

Ganze Stadtteile verschwinden

"Diese Entwicklung überrascht mich nicht. Braunkohle ist eben der billigste Energieträger, den es zurzeit gibt", sagt Peter Jansen, Oberbürgermeister von Erkelenz. Die Stadt wird wohl ein Drittel ihrer Fläche durch den Kohleabbau verlieren." Das ist in Zeiten der Energiewende nicht nachzuvollziehen", so Peter Jansen. Das Problem: Eigentlich sollte Kohlestrom durch die Pflicht zum Ankauf von CO2-Zertifikaten schrittweise teurer werden - doch der Markt wird überschwemmt mit billigen Zertifikaten. Und deshalb ist auch die Braunkohleverstromung billig. "Die Struktur der Energieversorgung hat sich zugunsten der Kohle verschoben. Das liegt an den veränderten Wettbewerbsbedingungen", sagt Hans-Joachim Ziesing von der Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen.

Weiteres Braunkohlekraftwerk in Niederaußem?

Nach Angaben des Deutschen Braunkohlen-Industrie-Verein (DEBRIV) in Köln werden mehr als 90 Prozent der gesamten inländischen Braunkohlenförderung in Kraftwerken zur Strom- und Wärmerzeugung eingesetzt. Davon wird jedoch rund ein Fünftel exportiert, rund 33 Milliarden Kilowattstunden. Der Verband betont jedoch, dass der Kohlenverbrauch in den deutschen Braunkohlekraftwerken um rund zwei Prozent gesunken ist - weil die Stromerzeugung effizienter geworden ist. Grund seien neue Kraftwerke und die Abschaltung von Altanlagen. So wurden in NRW neue Kraftwerksblöcke in Neurath in Betrieb genommen, mit einer Leistung von rund 2.200 Megawatt. Dafür wurden alle verbliebenen Kraftwerke der 150-MW-Klasse abgeschaltet. Für Abbau und Verstromung der Braunkohle in NRW ist ausschließlich der RWE-Konzern zuständig. Der plant ein weiteres Braunkohlekraftwerk in Niederaußem mit einer Leistung von 1.100 Megawatt.