RWE-Kraftwerk Frimmersdorf in Grevenbroich

Vorruhestand für Kohlekraftwerk Frimmersdorf

Stand: 01.10.2017, 14:33 Uhr

  • Nach dem Atom- nun der Kohleausstieg.
  • Kraftwerk Frimmersdorf ist Sonntag (01.10.2017) vom Netz gegangen.
  • Fragen und Antworten zum umstrittenen Kohlekompromiss.

Von Dominik Reinle

Das Klimaziel ist klar: Die Bundesrepublik hat sich verpflichtet, ihren CO2-Ausstoß bis 2020 im Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu reduzieren. Im Juli 2015 einigten sich die Spitzen der Großen Koalition in Berlin auf einen Kohlekompromiss: Die Energieunternehmen nehmen bundesweit zwischen Oktober 2016 und Oktober 2019 insgesamt acht Blöcke von Braunkohlekraftwerken vom Netz und legen diese jeweils für vier Jahre vorläufig still.

Den Anfang machte am 1. Oktober 2016 das Braunkohlekraftwerk Buschhaus im Helmstedter Revier. Am Sonntag (01.10.2017) folgte das erste Kraftwerk in NRW: In Grevenbroich (Rhein-Kreis Neuss) gingen zwei Blöcke des Braunkohlekraftwerks Frimmersdorf vom Netz. Fragen und Antworten:

Nach der Abschaltung bleiben die Blöcke Teil der Sicherheitsreserve. Was bedeutet das konkret?

Die beiden 300-Megawatt-Blöcke P und Q des Braunkohle-Kraftwerks Frimmersdorf werden am 1. Oktober 2017 vom Netz genommen und bleiben bis zu ihrer Abschaltung am 1. Oktober 2021 in der sogenannten Sicherheitsbereitschaft. Das bedeutet, dass das Kraftwerk anfahrbereit gehalten wird.

"Mit der Verfügbarkeit der beiden Blöcke tragen wir in Notfallsituationen zur Sicherstellung der Stromversorgung bei", schreibt RWE Power dem WDR. "Die Sicherheitsbereitschaft kommt zum Einsatz, wenn die Bundesregierung eine Versorgungskrise ausgerufen hat." Das können zum Beispiel extreme Wettersituationen sein.

Die Kraftwerksanlagen müssen "innerhalb von 240 Stunden (zehn Tagen) betriebsbereit sein", teilt das NRW-Wirtschaftsministerium dem WDR mit. "Nach Herstellung der Betriebsbereitschaft müssen sie innerhalb von elf Stunden auf Mindestleistung" angefahren werden können. "Den Nachweis, dass sie dazu imstande sind, müssen sie vorher erbringen."

Wären die Blöcke auch ohne Kohleausstieg abgeschaltet worden?

Dazu gibt es unterschiedliche Aussagen. "Wir hatten zu keinem Zeitpunkt eine Stilllegung der Blöcke kommuniziert", schreibt RWE Power dem WDR. Die beiden Blöcke seien fester Bestandteil der Produktionsplanung gewesen.

Der BUND-Landesverband NRW hingegen sagt: "In der Region ist es kein Geheimnis, dass RWE Power die Anlagen nach Auslaufen von Fernwärmeverträgen in 2018 ohnehin stillgelegen wollte." Die 47 und 51 Jahre alten Blöcke seien seit Langem abgeschrieben und hätten kaum noch ihre Betriebskosten über den Stromverkauf decken können.

Das NRW-Wirtschaftsministerium wiederum weist daraufhin, dass die Abschaltung "eine unternehmerische Entscheidung des Betreibers" sei. "Allerdings halten alle Blöcke den heutigen Stand der Technik ein und haben rechtswirksame Genehmigungen für einen unbefristeten Betrieb."

Wie viel CO2 läßt sich durch die Abschaltung in Frimmersdorf einsparen?

Pro Block können in Frimmersdorf nach Angaben von RWE Power jährlich rund 2,5 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden. Insgesamt sind das fünf Millionen Tonnen Kohlenstoffdioxid weniger pro Jahr.

Der BUND-Landesverband NRW spricht von einem "Tropfen auf dem heißen Stein": "Die beiden Blöcke haben im letzten Jahr noch etwa 4,3 Millionen Tonnen Kohlendioxid ausgestoßen, was einem Anteil von weniger als fünf Prozent der RWE-Kraftwerks-Emissionen im Rheinischen Revier entspricht."

Der BUND räumt allerdings ein, dass der Umwelt mit der Abschaltung der beiden Frimmersdorfer Blöcke jährlich "auch 100 Kilogramm des Nervengiftes Quecksilber, 80.000 Kilogramm gesundheitsgefährdende Feinstäube und weitere Schadstoffe erspart" bleiben.

RWE Power und das NRW-Wirtschaftsministerium heben die Gesamteinsparung durch die geplanten Abschaltungen in Nordrhein-Westfalen hervor. Diese wird erreicht, wenn zusätzlich zu Frimmersdorf im Oktober 2018 die beiden RWE-Blöcke in Niederaußem und im Oktober 2019 der RWE-Block in Neurath den regulären Betrieb aufgeben.

"Die CO2-Emissionen reduzieren sich bei fünf 300-Megawatt-Blöcken in Sicherheitsbereitschaft insgesamt um rund zwölf Millionen Tonnen pro Jahr oder rund 15 Prozent im Vergleich zum Weiterbetrieb der Anlagen", schreibt RWE-Power.

Wie hoch ist die Entschädigung, die RWE für die Abschaltung in Frimmersdorf erhält?

"Wir erhalten keine Vergütung für die Abschaltung der Kraftwerke, sondern für die Sicherheitsbereitschaft", antwortet RWE Power auf die WDR-Anfrage. Die Festlegung der Vergütung erfolge durch die Bundesnetzagentur. Damit sei in den ersten Monaten des nächsten Jahres zu rechnen. "Deswegen können wir zur Höhe der Vergütung noch nichts sagen."

Die Bundesnetzagentur teilt dem WDR mit, das Verfahren sei seit Juli 2017 in Gange, dessen Abschluss aber noch offen.

Einen Anhaltspunkt gibt es dennoch: Ende Oktober 2015 hatte der damalige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) angekündigt, dass die Energieunternehmen Mibrag, RWE und Vattenfall für "die befristete Einrichtung von einer Sicherheitsbereitschaft" eine Vergütung von "rund 230 Millionen Euro pro Jahr über sieben Jahre" erhalten - unter dem Strich also 1,61 Milliarden Euro für eine Gesamtleistung von 2,7 Gigawatt.

Pro Megawatt bedeutet das eine Entschädigung von knapp 600.000 Euro. Für die Quasi-Abschaltung der beiden 300-Megawatt-Blöcke in Frimmersdorf ergibt sich eine Summe von insgesamt knapp 360 Millionen.

Die Kosten für die Sicherheitsbereitschaft müssen die Stromkunden bezahlen. Das Bundeswirtschaftsministerium hatte 2015 - mit Blick auf die Gesamtkosten von 1,61 Milliarden Euro - angekündigt: "Das bedeutet einen Anstieg der Netzentgelte um rund 0,05 Cent pro Kilowattstunde."

Mit diesem Geld versüße der Stromkunde RWE Power "das goldene Ende der Kraftwerks-Dinosaurier", kritisiert der BUND-Landesverband NRW. "Das ist der eigentliche Skandal." Statt wie - wie ursprünglich geplant - eine Abgabe zu leisten, erhielten die Energiekonzerne nun sogar eine Prämie.

Welche Kritik gibt es am Kohlekompromiss?

"Schon jetzt ist absehbar, dass die beschlossenen Maßnahmen bei Weitem nicht ausreichen, die bundesdeutschen Klimaschutzziele zu erfüllen", kritisiert der BUND-Landesverband. "Deswegen muss der Ausstieg aus der Braunkohleverstromung sofort beginnen."

Die Forderung des BUND: "Drei Viertel der Braunkohle der jetzigen Tagebaue dürfen nicht mehr genutzt werden. Hierzu brauchen wir ein Kohleausstiegs-Gesetz." Außerdem müsse die Subventionierung fossiler Energien beendet und eine tragfähige Lösung für den Umgang mit den Braunkohle-Folgekosten erarbeitet werden.

Wie passen das Abschalten und der Neubau von Kohlekraftwerken zusammen?

"Die Entscheidung für die Wirtschaftlichkeit eines Kraftwerksneubaus ebenso wie für die Stilllegung einer bestehenden Anlage wird vom betreibenden Unternehmen gefällt", schreibt das NRW-Wirtschaftsministerium dem WDR. Das derzeitige Umfeld für den Neubau von Kohlekraftwerken könne jedoch "zumindest als herausfordernd" bezeichnet werden.

Trotzdem hält RWE Power an den Planungen für "BoAplus" fest - nach eigener Darstellung "das modernste Braunkohle-Kraftwerk der Welt in Niederaußem". Zurzeit laufe das Genehmigungsverfahren. Allerdings sei die Wirtschaftlichkeit Voraussetzung für die Realisierung des Vorhabens. "Diese Wirtschaftlichkeit ist bei den aktuellen Marktbedingungen nicht gegeben."

Der BUND-Landesverband NRW kritisiert: "Wer jetzt noch wie RWE Power auf neue Braunkohle-Kraftwerke wie BoAplus setzt, hat die Zeichen der Zeit immer noch nicht erkannt." Ein Neubau sei nicht nur klimaschutzpolitisch fatal, sondern auch ökonomisch unsinnig. "Denn mit Braunkohlestrom lässt sich heute kein Geld mehr verdienen."

Auch Steinkohle-Kraftwerke seien keine Alternative. Deren Klimabilanz sei ebenfalls verheerend. So habe das Trianel-Kohlekraftwerk Lünen seit seiner Inbetriebnahme Ende 2013 bis Ende 2016 fast zwölf Millionen Tonnen CO2 freigesetzt. "Mit maximal möglichen CO2-Emissionen von acht Millionen Tonnen pro Jahr wäre auch das geplante Uniper-Kohlekraftwerk Datteln 4 ein echter Klimakiller."

"Egal ob Alt- oder Neu-Kohlekraftwerk: Gegenüber Gaskraftwerken liegen die CO2-Emissionen der Steinkohlenkraftwerke mindestens um den Faktor 2 höher", so der BUND. "Bei Braunkohle-Kraftwerken sieht es noch schlechter aus."