Bundeskabinett berät über Energiepaket

Braunkohle: 12.000 Jobs in NRW gefährdet?

Stand: 03.12.2014, 06:50 Uhr

Am Mittwoch (03.12.2014) will Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel im Bundeskabinett erläutern, wie die Energiewirtschaft bis 2020 ihre CO₂-Emissionen um 22 Millionen Tonnen verringern soll. In NRW sind vor allem die Braunkohlekraftwerke betroffen.

Von Christoph Stehr

Die Große Koalition sei entschlossen, ihre gemäß dem Kyoto-Protokoll gesteckten Klimaziele zu erreichen, verkündete der Koalitionsausschuss am vergangenen Dienstag (25.11.2014): Bis 2020 soll der Ausstoß von Treibhausgasen, vor allem Kohlendioxid (CO₂), um 40 Prozent unter den Stand von 1990 gesenkt werden, bis 2050 sogar um 80 bis 95 Prozent. Aktuell zeichnet sich aber nur eine Einsparung zwischen 32 und 35 Prozent ab. Die beiden Hauptmaßnahmen des Energiekonzepts der Bundesregierung – Ausbau der erneuerbaren Energien und Steigerung der Energieeffizienz – reichen nicht aus.

Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel plant deshalb, ein Drittel der CO₂-Einsparung bei den Kraftwerken hereinzuholen. Sie sollen von 2016 bis 2020 jedes Jahr 4,4 Millionen Tonnen weniger Treibhausgase ausstoßen, insgesamt 22 Millionen Tonnen. Es steht den Betreibern frei, wie sie ihre "Minderungsbeiträge", so der Fachbegriff, leisten. Sie können Kraftwerke drosseln oder ganz abschalten. Die Vorgabe aus Berlin, die als Gesetz oder Verordnung formuliert wird, soll auch offen lassen, welche Kraftwerkstypen betroffen sind. Allerdings ist logisch, dass die Betreiber zuerst ihre größten Dreckschleudern auf den Prüfstand stellen – nämlich Kohlekraftwerke, wobei die Braunkohle im Fokus steht.

NRW trägt Hauptlast

In Deutschland sind derzeit Braunkohlekraftwerke mit einer Gesamtleistung von knapp 21 Gigawatt am Netz. Der Löwenanteil entfällt mit rund zehn Gigawatt auf die Reviere im Rheinland, gefolgt von Mitteldeutschland und Helmstedt mit drei Gigawatt sowie der Lausitz mit sieben Gigawatt. Anders ausgedrückt: Die Hälfte des Problems liegt in NRW. Und das ist noch vorsichtig geschätzt. Denn nach einer aktuellen Untersuchung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, Berlin, stammen sieben der zehn, in NRW installierten Gigawatt aus Kraftwerken, die älter als 35 Jahre sind. Im Rheinischen Revier qualmt somit das älteste Drittel der deutschen Braunkohlekapazitäten. Die hiesigen Kraftwerke stünden höchstwahrscheinlich ganz oben auf der Streichliste.

Alte Kraftwerke werden nicht schlechter gewartet als neue und technisch laufend nachgerüstet, trotzdem sind sie in Sachen Energieeffizienz und Klimaschutz rückständig. So überrascht es nicht, dass sich unter den Top-10 der klimaschädlichsten Kohlekraftwerke in der EU drei in NRW finden: Neurath, Niederaußem und Weisweiler. Nach Zahlen der EU-Kommission haben sie 2013 zusammen 81,6 Millionen Tonnen CO₂ in die Umwelt geblasen. Nur ein Kraftwerk in Polen hatte eine schlechtere Einzelbilanz.

Druck auf RWE

Mit Neurath, Niederaußem und Weisweiler ist auch der Betreiber genannt, der in NRW für die Braunkohle steht: RWE. Der Essener Konzern fördert in den Tagebauen Garzweiler, Hambach und Inden 100 Millionen Tonnen jährlich. Rund 40 Prozent der Stromerzeugung bei RWE kommen aus der Braunkohle – bei allen Energieversorgern in Deutschland sind es nur knapp ein Viertel. Die Düsseldorfer Eon dagegen hat nur vereinzelte Berührungspunkte mit diesem Rohstoff, etwa durch eine Mehrheitsbeteiligung an dem ostdeutschen Kraftwerk Schkopau. Überdies zieht sich Eon bald ganz aus den konventionellen Energien zurück: Am Sonntag (30.11.2014) beschloss der Aufsichtsrat eine neue Konzernstrategie, nach der die Stromerzeugung aus Kohle, Gas und Kernkraft ausgelagert wird. Nur die erneuerbaren Energien bleiben bei Eon.

Offiziell hat RWE bislang nicht zu den Klimaplänen von Minister Gabriel Stellung genommen, aber hinter den Kulissen bringt sich die ganze Branche in Stellung. "Der Gesamtrahmen lässt aktuell keinen Spielraum für weitere einseitige Vorleistungen der Kraftwerksbetreiber", beteuert der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft in einem Brief an seine Mitglieder. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) warnt in einer jüngst veröffentlichten Studie, die Abschaltung von Kraftwerken verteuere den Großhandelsstrom um 15 Prozent und gefährde so die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Wirtschaft.

Zahlen mit Drohpotenzial

Natürlich schwingt immer das Job-Argument mit. Die BDI-Studie rechnet vor, dass bundesweit bis zu 74.000 Arbeitsplätze gefährdet seien. Auch wenn diese Zahl vor allem wegen ihres Drohpotenzials gern in die Diskussion geworfen wird, lässt sich Seriosität der Studie, an der das Hamburgische Weltwirtschaftsministerium mitgearbeitet hat, kaum anzweifeln. Darin heißt es: "Allein der Beschäftigungsverlust aus der vorzeitigen Stilllegung von Braunkohlekraftwerken wird (einschließlich der Effekte auf Tagebau und Zuliefererbranchen) auf etwa 24.000 Arbeitsplätze geschätzt." Auf NRW heruntergebrochen bedeutet das, dass hier mindestens 12.000 Arbeitsplätze wackeln.

Wie Kohlendioxid und Jobs zusammenhängen, zeigt eine einfache Überlegung. Um 22 Millionen Tonnen CO₂ einzusparen, müssten die Energieversorger etwa zehn Gigawatt Leistung vom Netz nehmen. Das sind acht alte Kohlekraftwerke, für die fast keine Mitarbeiter mehr benötigt würden und für die im Tagebau keine Schichten mehr gefahren werden müssten. Zulieferer des Maschinen- und Anlagenbaus bekämen weniger Aufträge, ebenso Partnerfirmen in der Chemie oder Logistik.

Ein Gutes – neben den Effekten auf die Umwelt – haben Gabriels Klimapläne auf jeden Fall: Sie machen den Energieversorgern endgültig klar, dass sie an der Energiewende nicht vorbeikommen. Und dass ein steiniger Weg vor ihnen liegt. "Die langsame Reduzierung von Kohlestrom wird unter den neuen Vorzeichen nicht ohne Probleme bleiben. Mit einer temporären Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit muss daher gerechnet werden", sagt Heino Hammann, Energieanalyst bei der NordLB in Hannover. Das Ende der Durststrecke sei absehbar: "Mittelfristig sollte dieses Konzept jedoch aufgehen, so dass sich auch ein möglicher Abbau von Arbeitsplätzen in Grenzen halten sollte."