Fragen zur Braunkohle

Kommt nach dem Atom- der Kohleausstieg?

Stand: 27.04.2015, 10:04 Uhr

Am Samstag (25.04.2015) bildeten rund 6.000 Kohle-Gegner eine Menschenkette quer durch den Braunkohletagebau Garzweiler II. In Berlin demonstrierten etwa 15.000 Menschen für den Erhalt von Braunkohlekraftwerken. Wie wichtig und wie umweltschädlich ist die Braunkohleverstromung tatsächlich?

Wie wichtig ist NRW-Braunkohle für die Stromerzeugung?

Ein Bagger steht in Erkelenz im Braunkohle-Tagebau Garzweiler.

Braunkohle-Tagebau Garzweiler

Das Rheinland ist das wichtigste deutsche Braunkohle-Abbaugebiet. Der Energiemulti RWE fördert jedes Jahr rund 100 Millionen Tonnen Braunkohle, die fast ausschließlich zur Stromerzeugung genutzt wird. Etwa die Hälfte des RWE-Stroms ist Braunkohlestrom. Bundesweit wird jede vierte Kilowattstunde Strom aus Braunkohle erzeugt. 2014 wurde aber erstmals mehr Strom aus erneuerbaren Energien als aus Braunkohle erzeugt. Die Rolle der Kohle dürfte abnehmen. Ein Grund dafür ist, dass die älteren Braunkohlekraftwerke reine Grundlastkraftwerke sind. Für die Energiewende werden aber Kraftwerke gebraucht, die sich der schwankenden Erzeugung aus Wind und Sonne anpassen können.

Wie umweltschädlich ist Braunkohlestrom?

Hier gibt schon die Stromrechnung eine Antwort: Im deutschen Strommix werden pro Kilowattstunde etwas mehr als 500 Gramm Kohlendioxid in die Luft gepustet. Viel Braunkohle im Strommix bedeutet hohe Treibhausgas-Emissionen. RWE-Strom kommt auf durchschnittlich rund 650 Gramm CO2 pro Kilowattstunde. Reiner Braunkohlestrom käme auf 950 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde, selbst wenn er aus den modernsten Kraftwerken kommt. Unter den zehn klimaschädlichsten Kohlekraftwerken in der EU sind mit Neurath, Niederaußem und Weisweiler drei RWE-Kraftwerke aus dem Rheinischen Braunkohlerevier. Bei der Kohleverstromung werden neben CO2 auch erhebliche Mengen Quecksilber in die Luft gepustet. Für die Umweltorganisation BUND sind die RWE-Großkraftwerke in der niederrheinischen Bucht die größten Quecksilber-Emittenten in Deutschland. Erheblich sei auch die Freisetzung von Feinstaub und Radioaktivität.

Sind die neuen Kraftwerke von RWE wirklich klimafreundlicher als die alten?

Bundesumweltminister Altmaier (CDU) und NRW-Ministerpräsidentin Kraft posieren anlässlich der Inbetriebnahme zweier neuer Braunkohleblöcke am RWE-Kraftwerk Neurath bei Grevenbroich (Nordrhein-Westfalen).

Einweihung in Neurath 2012

Im August 2012 wurden in Neurath zwei neue Kraftwerksblöcke eingeweiht. RWE-Chef, Peter Terium, Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und der damalige Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) verwiesen stolz auf den hohen Wirkungsgrad von 43 Prozent. Das heißt jedoch: Auch in diesen Kraftwerken verpufft der Großteil der Kohleenergie. Braunkohlekraftwerke bleiben riesige Wolkenfabriken, denn die nicht in Strom verwandelte Abwärme wird über große Kühltürme an die Umwelt abgegeben. Weil der EU-Emissionshandel für CO2 nicht funktioniert, laufen die älteren Kraftwerksblöcke mit deutlich schlechterer Ausbeute parallel.

Woher kommt die Kohle?

Wer mit dem Flugzeug über die Rheinische Bucht fliegt, sieht eine gespenstische Mondlandschaft. In Abbaugruben von bis zu 450 Metern Tiefe wird Tag und Nacht die Braunkohle gefördert. Die Gewinnung der Braunkohle im Tagebau ist sehr umstritten, weil sie ganze Landstriche verwüstet, tausenden Menschen ihre Heimat raubt und großflächige Grundwasserabsenkungen erfordert. Nach Angaben des BUND hat das Folgen bis in die benachbarten Niederlande hinein.

Wie sieht die Kohlestrategie der Bundesregierung aus?

Deutschland wird seine Klimaziele nur erfüllen können, wenn die Kohleverstromung gedrosselt wird. Deshalb will Energie- und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) über einen "Klimabeitrag" den Betrieb besonders klimaschädlicher Altkraftwerke einschränken. Das Bundeskabinett hat im Dezember einen entsprechenden Beschluss gefasst. Seine Parteifreundin, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, wehrt sich gegen den sanften Kohleausstieg. Gabriels Kritiker argumentieren mit zehntausenden Arbeitsplätzen, die auf dem Spiel stünden. "Der Klimabeitrag für Kohlekraftwerke könnte den 38 Braunkohleblöcken in Deutschland den Garaus machen", argumentieren die Gewerkschaften. Dagegen rechnet das Umweltbundesamt in einer aktuellen Studie maximal mit einem Verlust von 4700 Arbeitsplätzen im Braunkohlesektor, falls die Klimaschutz-Abgabe kommt. Die Verluste könnten auch deutlich geringer ausfallen: "Sie würden im Wesentlichen nur entstehen, falls es durch die Klimaabgabe zu Kraftwerksstilllegungen käme", betonen die Autoren der Studie. Dies sei aber unwahrscheinlich, weil nach Modellrechnungen von Fachinstituten selbst alte Braunkohlekraftwerke "wegen der eingeräumten Freibeträge und der moderaten Höhe des Klimabeitrags noch hinreichende Deckungsbeiträge erwirtschaften dürften".

Wie geht es weiter mit Garzweiler?

Eckkneipe mit zugenagelten Türen und Fenstern

Geisterdorf Immerath

Die Erweiterung des derzeitigen Tagebaus Garzweiler I auf das größtenteils westlich der Autobahn 61 gelegene Areal (Garzweiler II) ist schon lange ein Streitthema in NRW. Die großen Braunkohlebagger haben sich schon nah an die Autobahn herangefressen, in den nächsten zehn Jahren sollen die Autobahn und zum Beispiel die Ortschaft Immerath im Braunkohleloch verschwinden. Zurzeit erlebt man ein Geisterdorf, in der nur noch wenige Menschen leben. Nach einem Aussegnungsgottesdienst am 13. Oktober 2013 steht der alten Pfarrkirche St. Lambertus der Abriss bevor. 2017 soll ersatzweise ein neues Autobahnteilstück über eine rekultivierte Fläche des Tagesbaus Garzweiler in Betrieb gehen.

Ende März 2014 beschloss die nordrhein-westfälische Landesregierung eine Verkleinerung des Abbaufeldes von Garzweiler II. Unter anderem soll die Ortschaft Holzweiler erhalten werden. Noch vor der Sommerpause will Ministerpräsidentin Hannelore Kraft ihre neue Leitentscheidung zur Braunkohlenpolitik vorstellen.

Verschiedene Studien und Umweltorganisationen sehen aus Klimaschutzgründen einen vorzeitigen Ausstieg aus der Kohleverstromung kommen. Ein Szenario der Bundesnetzagentur brachte das Jahr 2025 ins Gespräch. Bis dahin könnten rund 20 Kraftwerksblöcke stillgelegt werden, was Bürger in der Region auf ein vorzeitiges Ende des Tagebaus Garzweiler hoffen lässt. Die Umweltorganisation BUND fordert ein Braunkohle-Aus bis 2030. RWE spricht auf den Infotafeln am Rande des Tagebaus von einem "Abbau bis 2045".