Karstadt: Wie alles begann

Banges Warten bei 17.000 Karstadt-Beschäftigten: Der Aufsichtsrat berät heute darüber, wie es mit der angeschlagenen Warenhauskette weitergehen soll. Gesucht wird ein Zukunftskonzept. Ein Blick zurück auf 130 Jahre deutsche Konsumgeschichte.

Karstadt Schriftzug an einer Hausfassade

Im Sommer hat Immobilieninvestor René Benko die angeschlagene Warenhauskette Karstadt übernommen, zwei Monate später fürchtet die Belegschaft das Schlimmste. Das Treffen des Aufsichtsrats am Donnerstag wird mit Spannung erwartet. Vor allem die 17.000 Mitarbeiter in bundesweit 83 Karstadt-Filialen blicken mal wieder unsicheren Zeiten entgegen. Das traditionsreiche Warenhaus hat eine bewegte Geschichte hinter sich - und die beginnt bereits Ende des 19. Jahrhunderts.

Im Sommer hat Immobilieninvestor René Benko die angeschlagene Warenhauskette Karstadt übernommen, zwei Monate später fürchtet die Belegschaft das Schlimmste. Das Treffen des Aufsichtsrats am Donnerstag wird mit Spannung erwartet. Vor allem die 17.000 Mitarbeiter in bundesweit 83 Karstadt-Filialen blicken mal wieder unsicheren Zeiten entgegen. Das traditionsreiche Warenhaus hat eine bewegte Geschichte hinter sich - und die beginnt bereits Ende des 19. Jahrhunderts.

1881 eröffnet Rudolph Karstadt sein erstes "Tuch-, Manufactur- und Confectionsgeschäft" in Wismar. Die Kunden schätzen es, dass die Waren zu festen, vergleichsweise günstigen Preisen angeboten werden – Feilschen überflüssig. Schnell folgen weitere Filialen, bis 1931 sind es 89. Karstadt zieht mit der EPA-Einheitspreis-Aktiengesellschaft eine zweite Kette hoch, eine Art Discounter.

Das Stammhaus in Wismar heute: Die Fassade des Neubaus ist dem Zustand vom Beginn des 20. Jahrhunderts nachempfunden. Durch Kooperationen mit Unternehmen wie Rewe, Weltbild, WMF und Müller-Drogeriemärkte, die Ladenfläche mieten und auf eigene Rechnung betreiben, versucht Karstadt seit einigen Jahren, das eigene geschäftliche Risiko zu mindern. Viel genützt hat das nicht.

Groß, größer, Karstadt: Mit 72.000 Quadratmetern Fläche, neun Stockwerken, zwei 56 Metern hohen Türmen und 4.000 Mitarbeitern übertrifft das 1929 am Berliner Hermannplatz eröffnete Warenhaus alles, wovon deutsche Einkaufsbummler träumen. Das KaDeWe, das noch zum Konkurrenzbetrieb Hermann Tietz (später "Hertie") gehört, ist halb so groß. Am Hermannplatz gibt es sogar Aufzüge für Lkw, die Waren anliefern.

Von der U-Bahn geht es direkt in die Verkaufsräume im Berliner Karstadt am Hermannplatz. Die Massen strömen, bis die Weltwirtschaftskrise 1932 auf die Konsumlaune drückt. Bald stehen mehrere Stockwerke leer. Rudolph Karstadt zieht sich aus der Unternehmensleitung zurück. In den letzten Kriegstagen sprengt die SS das monumentale Gebäude.

Nach dem Zweiten Weltkrieg macht Karstadt mit 45 Warenhäusern auf dem Gebiet der BRD weiter, von denen die meisten schwer beschädigt sind. Dank "Wirtschaftswunder" expandiert das Unternehmen wieder. 1977 erwirbt Karstadt den Neckermann-Versand und steigt zum größten deutschen Handelskonzern auf. Der Jahresumsatz liegt über 10 Milliarden DM.

Walter Deuss zieht über 30 Jahre die Fäden bei Karstadt, ab 1967 als Vorstandsmitglied und von 1982 bis 2000 als Vorstandschef. Er bringt die Übernahme von Neckermann und Hertie sowie die Fusion mit Quelle auf den Weg. Pilotenbrille und dicke Zigarre sind seine Markenzeichen. Aus dem Ruhestand heraus sorgt er noch einmal für Unruhe, als er 2005 seine Vorstandsprivilegien, etwa Dienstwagen nebst Chauffeur auf Lebenszeit, vor Gericht einklagt – und gewinnt.

Die Wiedervereinigung lässt wie hier am Kurfürstendamm in Berlin die Kassen klingeln. Karstadt erwirbt unter anderem in Dresden, Magdeburg, Halle und Görlitz ehemalige Centrum-Warenhäuser aus der Konkursmasse der DDR. Kurz vor dem Boom des Online-Handels erlebt Karstadt die wahrscheinlich letzte Blüte des klassischen Warenhauskonzepts.

1994 übernimmt Karstadt den Wettbewerber Hertie – und mit ihm das Kaufhaus des Westens (KaDeWe) in Berlin. Es bietet Konsumrausch auf 60.000 Quadratmetern, seit es für 46 Millionen Euro umgebaut worden ist. Der Name KaDeWe bezieht sich nicht auf Nachkriegs-Westdeutschland, sondern auf den "Neuen Westen", wie der Standort Charlottenburg 1907, zur Zeit der Warenhauseröffnung, heißt.

Madeleine Schickedanz, die Tochter der Quelle-Gründer Gustav und Grete Schickedanz, ruiniert sich beinahe durch ihr Engagement bei Karstadt. Die Warenhauskette und das Versandhaus fusionieren 1999 zu KarstadtQuelle. 2007 firmiert das Unternehmen zu Arcandor um. Zu diesem Zeitpunkt schreiben die Warenhäuser bereits rote Zahlen. Großaktionärin Schickedanz verliert viel Geld, als Arcandor 2009 Insolvenz beantragt.

Der Düsseldorfer Thomas Middelhoff ist der erste in einer mittlerweile langen Reihe von – gescheiterten – Karstadt-Rettern. Zwischen 2004 und 2009 hat er als Vertrauter von Großaktionärin Madeleine Schickedanz das Sagen bei dem angeschlagenen Handels- und Touristikriesen KarstadtQuelle/Arcandor. Die Insolvenz kann er nicht verhindern. Kritiker werfen ihm Missmanagement und Verschwendung vor, Gerichtsverfahren laufen noch oder sind bereits abgeschlossen.

Der deutsch-amerikanische Finanzinvestor Nicolas Berggruen wird zunächst gefeiert, als er 2010 die insolvente Warenhauskette für 1 Euro kauft. Seine Sanierungsmaßnahmen bedeuten Gehaltseinbußen für die Mitarbeiter, Arbeitsplatzabbau und Einnahmenverzicht für die Vermieter. Die Wende gelingt trotzdem nicht. Berggruen wird vorgeworfen, zu wenig in Karstadt zu investieren. Ab 2013 verkauft er das Unternehmen schrittweise an René Benko.

Eva-Lotta Sjöstedt hat zehn Jahre sehr erfolgreich für Ikea gearbeitet – das sind Vorschusslorbeeren genug, um Karstadt zu retten. Ab Dezember 2013 packt sie mit an, steht auch mal an der Kasse, berät Kunden und räumt Regale ein. Im Februar 2014 wird sie offiziell Chefin. Am 7. Juli erklärt sie ihren Rücktritt, weil sie sich von Noch-Eigentümer Nicolaus Berggruen nicht ausreichend unterstützt fühlt.

René Benko ist der neue Karstadt-Eigentümer. Der 37-jährige Österreicher macht eine bemerkenswerte Karriere. Er schmeißt die Schule, gründet mit Anfang 20 ein Immobilienunternehmen, das heute Signa heißt. Angeblich gehört Benko zu den 50 reichsten Österreichern. Mit dem Gesetz ist er auch schon einmal in Konflikt geraten: 2013 wird er in einem Korruptionsverfahren zu einer Bewährungsstrafe verurteilt.

Stand: 23.10.2014, 07:44 Uhr