Kritik an den Ermittlungsmethoden in der rechten Szene

Verfassungsschutz und Rechtsextremismus - Fragen und Antworten

Stand: 14.11.2011, 11:35 Uhr

Angesichts der jetzt aufgedeckten rechtsextremen Mordserie wächst die Kritik an der Arbeit des Verfassungsschutzes. Die Aufklärung habe nicht funktioniert und müsse neu organisiert werden, fordert Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Experten sehen strukturelle Probleme in der staatlichen Aufklärung.

Wie sammelt der Staat Informationen in der rechten Szene?

Bermd Wagner

Bernd Wagner, Gründer von "Exit"

Die wichtigste Rolle nehmen dabei die so genannten V-Männer ein. "Der Verfassungsschutz ist bemüht, Mitarbeiter in allen relevanten rechtsextremistischen Organisationen und Gruppierungen zu platzieren", sagt Bernd Wagner, Gründer des Aussteigerprogramms für Rechtsextreme "Exit", ehemaliger Kriminalist und Kenner der rechten Szene. Diese Informanten erstatten ihrem V-Mann-Führer demnach regelmäßig Bericht über aktuelle Vorgänge und geplante Aktionen. Dafür erhalten sie einen durchschnittlichen Lohn von 300 bis 1.000 Euro im Monat. "Wie viele Informanten der Verfassungsschutz in der Szene genau hat, ist nicht bekannt. Es sind aber sehr viele", sagt Wagner.

Wie wird die Aufklärung koordiniert?

Zuständig sind zunächst die Landesbehörden, in deren Grenzen die beobachtete Gruppe aktiv ist. Bei länderübergreifenden Gruppierungen übernimmt der Bundesverfassungsschutz die Federführung. Die Kontrolle liegt bei den parlamentarischen Kontrollausschüssen, die es sowohl auf Bundes- als auch auf Länderebene gibt. "Die Politiker erfahren regelmäßig, wer überwacht wird und mit welchen Methoden der Verfassungsschutz vorgeht. Details werden gewöhnlich nur auf Nachfrage mitgeteilt", sagt Wagner. Grundsätzlich sollte zwischen Landesbehörden und Bundesverfassungsschutz ein ständiger Informationsaustausch stattfinden: Hierfür wurde in Berlin ein gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum eingerichtet, das sich allerdings aussschließlich mit islamistischen Terror beschäftigt. "Möglicherweise haben viele Behörden in den vergangenen Jahren das Phänomen des Rechtsterrorismus zu spät erkannt, weil man sich beim Austausch von Informationen zu sehr mit den Islamisten beschäftigt hat", sagt ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt.

Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit der Polizei?

ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt

ARD-Terrorismusexperte Holger Schmidt

Sobald der Verfassungsschutz von einer unmittelbaren Gefährdung für die öffentliche Sicherheit erfährt, zum Beispiel von einem geplanten Anschlag, muss er die Polizei informieren. Dieser Pflichtaustausch bezieht sich allerdings nicht auf alle Straftaten. "Der Verfassungsschutz arbeitet nach dem Opportunitätsprinzip, die Polizei nach dem Legalitätsprinzip", erklärt Wagner. Die Polizei müsse eingreifen, wenn sie von einem Verbrechen erfährt, der Geheimdienst könne zunächst abwägen, ob er die Information zurück hält. Das Problem sei auch, dass Verfassungsschutzbehörden mit den Methoden eines Geheimdienstes arbeiten. "Die eigenen Quellen, die eigenen V-Leute, die man hat, die Art und Weise, wie man an Informationen kommt ist sehr sensibel", sagt Schmidt. "Jede Behörde tut sich schwer, irgendeine andere Behörde zu beteiligen, weil man immer Angst um die eigenen Quellen hat."

Gibt es noch andere strukturelle Probleme?

Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger ist nicht die erste, die den Verfassungsschutz in Deutschland für nicht "optimal organisiert" hält. Eine zentrale Behörde könne die Lösung sein, meinen einige Kritiker. Andere argumentieren, dass die Landesämter für Verfassungsschutz besser auf die Gegebenheiten in ihrem Bundesland reagieren können als eine Bundesbehörde, erklärt Schmidt. "Eine komplette Neustrukturierung wird kommen", meint Wagner. "Im aktuellen Fall waren die Täter schon als militante Gewalttäter identifiziert und wurden vom Thüringer Verfassungsschutz beobachtet. Und dann sind sie einfach untergetaucht und wurden einfach vergessen." Eine solch massive Panne müsse einfach Konsequenzen nach sich ziehen - nicht nur für die unmittelbar Verantwortlichen beim Landesverfassungsschutz Thüringen.

Wie ist die Situation des Verfassungsschutzes in NRW?

Das Landesamt für Verfassungsschutz in NRW gehört zu den größten deutschen Landesämtern. "Hier kann man sich große Abteilungen für Rechtsextremismus, Linksextremismus und einen großen Bereich für die islamistischen Brennpunkte in NRW leisten. In anderen Bundesländern bestehen die einzelnen Referate zu den unterschiedlichen Phänomenbereichen unter Umständen nur aus einigen wenigen Personen", erklärt Schmidt. Sollte sich herausstellen, dass auch der Nagelbombenanschlag in Köln der Gruppe um die mutmaßlichen Heilbronner Polizistenmörder zuzuordnen ist, müssten sowohl Polizei als auch Verfassungsschutz in NRW einige Fragen beantworten. "Bei dem Anschlag ist ja lange darüber gerätselt worden, ob das nicht ein Anschlag der PKK gewesen ist. Und hier räumen auch führende Ermittler ein, dass man das vollkommen falsch bewertet hat."