Interview mit Extremismus-Forscher

"Neonazi-Datei ist kein Allheilmittel"

Stand: 18.01.2012, 00:00 Uhr

Als Reaktion auf die jahrelang unerkannt gebliebenen Morde von Rechtsterroristen hat das Bundeskabinett am Mittwoch (18.01.2012) eine Neonazi-Datei von Bund und Ländern beschlossen. Einschätzungen dazu von Rechtsextremismusforscher Alexander Häusler.

Nach dem Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium sollen Daten von "gewaltbezogenen Rechtsextremisten" zentral erfasst werden - dazu zählen auch Hintermänner und Drahtzieher rechtsextremer Gewalt. Dagegen sollen nach Angaben des Bundesjustizministeriums keine Daten von Menschen gespeichert werden, die Gewalt nur rein verbal befürworten.

WDR.de: NRW-Innenminister kritisiert Ralf Jäger (SPD) kritisiert, die Neonazi-Datei reiche für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus nicht aus. Was ist an diesem Vorwurf dran?

Alexander Häusler: Sicherlich ist die Umsetzung einer solchen Verbunddatei kein Allheilmittel gegen den militanten Rechtsextremismus. Ich halte es zudem für bedenklich, wenn die Trennungslinie zwischen Datenerhebungen von Verfassungsschutz- und Polizeibehörden noch weiter aufgeweicht wird. Denn mit der Schaffung eines gläsernen Menschen ist das Problem des militanten Rechtsextremismus nicht in den Begriff zu bekommen. Eine solche Forderung wird der Realität nicht gerecht und hat einen populistischen Beigeschmack.

Eine Verbunddatei kann helfen, einen genaueren Lageblick zu bekommen. Aber es gibt eine klare politisch-juristische Grenze: Diese Datei darf sich nicht zu einer Gesinnungsdatei entwickeln. Die historisch begründete Trennung von Verfassungsschutz und Polizei muss aufrechterhalten werden.

WDR.de: Was schlagen Sie vor?

Häusler: Der innerbehördliche und ressortübergreifende Austausch muss vernünftiger betrieben werden. Bei 16 unterschiedlich agierenden Landesverfassungsschutzbehörden plus Bundesbehörde, die sich gegenseitig behindern, stellt sich die Frage nach deren Effektivität und Existenzberechtigung. Man muss überlegen, wie diese Behörden zukünftig sinnvoll zusammengefasst werden können.

Mann fotografiert aus einem Auto-Fenster mit einem Teleobjektiv

Unter besonderer Beobachtung

Bei den Ermittlungen zu den Neonazi-Morden hat sich gezeigt, dass es nicht die fehlende Verbunddatei gewesen ist, welche die katastrophalen Ermittlungspannen begründet. Sondern es waren der falsche analytische Blick auf den militanten Rechtsextremismus und mangelhafte Kooperation sowie dubiose Praxis der Ermittlungsbehörden. Deshalb konnten das Trio und seine Unterstützer immer wieder durch das Sicherheitsnetz schlüpfen. Und dieses Fehlverhalten der Behörden wird nicht behoben, indem man eine solche Verbunddatei einführt.

WDR.de: Der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Peter Schaar, warnte im Vorfeld, dass auch unbescholtene Bürger als "Kontaktpersonen" erfasst werden könnten. Werden nun zu viele Daten erfasst?

Häusler: Mit der neuen Neonazi-Datei werden nicht nur zu viele Informationen erfasst, sondern der Blick ist dabei auch zu einseitig. Die Konsequenz aus den Ermittlungspannen sollte nicht die sein, noch mehr an Datenerhebungen zu fordern. Vielmehr soll das bereits vorhandene Instrumentarium effektiver eingesetzt werden. Das ist das Gebot der Stunde.

Zudem muss die Prävention gegen rechtsextreme Gewalt anders ausgerichtet werden. Rechtsextremismus entsteht in erster Linie durch eine Ausweitung von rechtsextremistischem Territorialverhalten. Das heißt, eine bestimmte Gruppe versucht sich mittels gewalttätigen Auftretens sozialräumlich zu verankern - zum Beispiel in Jugendzentren, Sportvereinen oder öffentlichen Plätzen. Wenn ein solches Bestreben nicht von Beginn an sanktioniert wird, breitet es sich immer weiter aus. Deshalb muss die sogenannte Gefährderansprache deutlich erhöht werden. Überall dort, wo Rechtsextreme durch Delikte auffallen, muss schneller und deutlicher reagiert werden. Es muss gerade auch jugendlichen Ersttätern gezeigt werden: Halt, stopp, hier geht es nicht weiter!

WDR.de: Hätten die Morde der "Zwickauer Zelle" mit einer solchen Datei verhindert werden können?

Häusler: Alles, was bisher an Ermittlungsergebnissen bekannt geworden ist, zeigt, dass dem nicht so ist. Dass Problem entstand, weil das Trio in die Illegalität gehen und sich weiter radikalisieren konnte, ohne dass die Behörden aufgrund der vorhandenen Informationen die richtigen Konsequenzen gezogen haben.

Montage: Zwickauer Zelle

Zwickauer Zelle

Zweifellos ist ein besserer Austausch und ein Behörden übergreifender Zugang zu personenbezogenen Daten des gewalttätigen Rechtsextremismus eine Voraussetzung für erfolgreiche Ermittlungen und für die Unterbindung rechtsextremistischen Terrors. Allerdings ist genau darauf zu achten, dass bei der neuen Datei nur rechtsextreme Straftatbestände aufgenommen werden und auf keinen Fall die Rechte auf informationelle Selbstbestimmung und auf Meinungsfreiheit beschnitten werden. Das politische Signal sollte nicht bloß auf den repressiven Bereich fokussiert werden. Die Forderung nach einer offenen Gesellschaft, wie sie in Norwegen eindrucksvoll nach dem rechtsextremen Terroranschlag zum Ausdruck kam, zeigt hierbei in die richtige Richtung.

Das Interview führte Dominik Reinle.