Interview zum Auftakt des NSU-Prozesses

Die Doppelstrategie der Beate Zschäpe

Stand: 06.05.2013, 10:48 Uhr

Am Montag (06.05.2013) hat der NSU-Prozess begonnen. Im Mittelpunkt steht die Hauptangeklagte und mutmaßliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe. WDR-Journalistin Ayca Tolun berichtet über das Verfahren. Im Interview erklärt sie die Taktik der Verteidiger und warnt vor zu hohen Erwartungen.

WDR.de: 42 Prozent der Deutschen wünschen sich, dass durch den NSU-Prozess und die gerichtliche Aufarbeitung das Ansehen Deutschlands im Ausland verbessert wird. Das geht aus einer aktuellen Forsa-Umfrage für den "Stern" hervor. Sind die Erwartungen zu groß?

Ayca Tolun: Ja, das sind sie. Es handelt sich um einen Strafrechtsprozess. Es geht allein darum, der Hauptangeklagten Beate Zschäpe die Beteiligung an den Morden nachzuweisen. Es geht nicht um Aufarbeitung und Aufklärung – und auch nicht um Wiedergutmachung. Es kann natürlich sein, dass durch Zeugenaussagen oder anderweitige Erkenntnisse etwas Interessantes zutage tritt. Wenn dies nicht der Fall ist, müssen wir Medien dafür sorgen, dass die Enttäuschung der Öffentlichkeit und vor allem der Angehörigen am Schluss nicht zu groß ist. Für die Aufarbeitung der Ermittlungspannen sind andere zuständig, unter anderem der Untersuchungsausschuss des Bundestages.

WDR.de: Was ist der Richter in dem Prozess, Manfred Götzl, für ein Typ?

Tolun: Ich kenne ihn nicht persönlich. Kollegen beschreiben ihn als aufbrausend und einen Paragrafenreiter. Die Frage ist, ob er auch andere Facetten zeigen kann. Bei den zurückliegenden Pressekonferenzen hat sich das Gericht als sehr hochnäsig präsentiert. Ob das die richtige Haltung für einen derart wichtigen Prozess ist, halte ich für fraglich. Es ist die Frage, ob das Gericht aus seinem Debakel gelernt hat. Vielleicht wird das Gericht neben dem juristisch Notwendigen noch ein freundliches Wort finden. Das wäre eine nette Geste.

WDR.de: Was steht am ersten Tag auf dem Programm?

Tolun: Es geht noch nicht um Inhalte. Namen werden verlesen und die vielen Sachverständigen vereidigt. Wir sind aber gespannt auf die Atmosphäre im Gerichtssaal. Nach jetzigem Stand sitzen Zuschauer und Journalisten auf einer Empore. Die Angeklagten sind von dort aus nicht zu sehen. Die Nebenkläger, also die Angehörigen der Opfer, haben sich beschwert, dass sie den Angeklagten wahrscheinlich nicht in die Augen sehen können. Vielleicht gibt es im Saal Reaktionen oder Zwischenrufe. Über all das wird dann zu berichten sein.

WDR.de: Welche Taktik fahren die Verteidiger?

Tolun: Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe will nicht reden. Deshalb wird es zu einem Indizienprozess kommen. Die Anklage will mit Hilfe von Zeugen und anderen Beweisen darlegen, dass Zschäpe sehr wohl an den zehn Morden beteiligt war. Die Verteidigung will das verhindern und eine Doppelstrategie fahren. Zum einen wollen sie die Indizienkette erschüttern und zum anderen eine Konfliktverteidigung betreiben. Gegen jede kleine Entscheidung des Gerichts soll Protest eingelegt werden. Somit soll das Gericht zu Formfehlern verleitet werden. Das Ziel kann dann eine Revision sein.

WDR.de: Wie sieht die Beweislage aus?

Tolun: Es ist immer schwierig, wenn die Angeklagten nicht reden. Indizienketten sind immer leicht zu erschüttern. Es gibt Mutmaßungen, dass die Staatsanwaltschaft womöglich nicht genug in der Hand hat. Das vermag ich aber nicht zu beurteilen.

WDR.de: Wie lange wird der Prozess dauern?

Tolun: Zweieinhalb Jahre sind angesetzt. Die Gerichtstage sind bis Januar 2014 schon fest durchgeplant. Jeden Monat gibt es drei Verhandlungswochen mit je drei Verhandlungstagen. Das ist eine sehr enge Taktung. Es kann sein, dass die Zeit nicht reicht. Und nach einem Urteil kann es noch zur Revision kommen.

Das Interview führte Fabian Wahl.