Auschwitz: Eingang mit der Aufschrift 'Arbeit macht frei' (Archivbild von ca. 1945)

89-Jähriger soll Juden erschossen haben

War Bonner Ex-Beamter ein NS-Verbrecher?

Stand: 18.01.2010, 16:27 Uhr

Die Zentralstelle für die Bearbeitung von Nazi-Verbrechen in Dortmund prüft, ob sie Anklage gegen einen 89-jährigen erhebt. Der Pensionär, der heute in der Nähe von Bonn lebt, soll im Vernichtungslager Belzec in Polen an der Ermordung von Juden beteiligt gewesen sein.

Anmerkung der Redaktion

Der vorliegende Beitrag stammt vom 8. Januar 2010. Der im Beitrag genannte Mann war Wachmann im Vernichtungslager Belzec/Polen. Nach Anklageerhebung im Juli 2010 verstarb er kurz vor Prozessbeginn im November des selben Jahres. Ihm wurde in der Anklage Mord in zehn und Beihilfe zum Mord in mindestens 430.000 Fällen vorgeworfen. Der Angeklagte hatte zuletzt im Rhein-Sieg-Kreis bei Bonn gewohnt und bis zu seinem Ruhestand als Handwerker im Bundesbauministerium gearbeitet.

Der ehemalige Beamte im Bundesbauministerium ist für die Ermittler von Nazi-Verbrechen kein Unbekannter. Mehrfach hatte der Mann, der erst nach dem zweiten Weltkrieg die deutsche Staatsbürgerschaft angenommen hatte, in Verfahren gegen Naziverbrecher ausgesagt, blieb dabei aber selbst immer unbehelligt. Weil er auch im derzeit laufenden Verfahren gegen den mutmaßlichen NS-Verbrecher John Demjanjuk in München aussagen soll, wurde die Zentralstelle für die Aufklärung von Nazi-Verbrechen auf den Zeugen aufmerksam. Dieses Mal als mutmaßlichen Täter. Einzelheiten zum Beschuldigten wollen die Ermittler der zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg aber noch nicht bekannt geben.

Neue Rechtsauffassung

Dass gegen den Mann viele Jahre nicht ermittelt wurde, liegt an der früheren Haltung der deutschen Justiz, wonach mutmaßliche Täter, die keine deutschen Staatsbürger waren und im Ausland Straftaten begangen hatten, nicht verfolgt wurden. "Hier sind wir inzwischen zu einer anderen Rechtsauffassung gekommen", erklärt der Leiter der Zentralstelle in Ludwigsburg, Kurt Schrimm, gegenüber WDR.de. Entscheidend sei mittlerweile, dass der Mann im Auftrag deutscher Befehlshaber gehandelt habe.

Zeugen haben gegen ihn ausgesagt

Mit der neuen rechtlichen Bewertung könnte Zeugenaussagen, die in den vergangenen Jahren gegen den Beschuldigten gemacht wurden, ein anderer Stellenwert gegeben werden. So habe ein ehemaliger Kamerad erklärt, der Mann hätte im Vernichtungslager im polnischen Belzec mehrere Juden erschossen. Auch ein Überlebender des Vernichtungslagers hatte ihn als Mörder bezeichnet, bestätigt Schrimm Aussagen aus der Ermittlungsakte, aus der das Nachrichtenmagazin "Spiegel" am Montag (18.01.2010) zitiert. Diese Aussagen von Zeugen könnten nun zu einer Verurteilung des 89-Jährigen führen. Dass der Mann an der Ermordung von Juden beteiligt war, hält Schrimm deshalb für erwiesen, weil in dem Vernichtungslager südlich von Lublin alle Aufseher in die Ermordung von Menschen eingebunden gewesen seien.

Staatsanwaltschaft sichtet Ermittlungsakten

Ob es zu einem Prozess gegen den Mann kommen wird, hängt nun von der Staatsanwaltschaft Dortmund ab, die zentral für Nordrhein-Westfalen die Verfahren gegen mutmaßliche Nazi-Verbrecher leitet. "Wir müssen erst mal die Materialien sichten", erklärt Andreas Brendel am Montag (18.01.2010) zum Stand der Ermittlungen, zu denen er aber nicht weiter Stellung nehmen will. Der Dortmunder Staatsanwalt muss nun prüfen, ob die von seinen Kollegen in Ludwigsburg zusammengetragenen Dokumente für eine Klage ausreichen. Eine Verhandlung hängt zudem vom Gesundheitszustand des Beschuldigten ab. Hier ist der Leiter der Ludwigsburger Zentralstelle für NS-Verbrecher aber zuversichtlich. "Wenn die Richter im Prozess gegen Demjanjuk ihn als Zeugen geladen haben, spricht einiges für seine Verhandlungsfähigkeit."