Stefan Mühlhofer in seinem Arbeitszimmer

Aktionsplan gegen Rechtsextremismus

Gegen rechte Gewalt und Terror in Dortmund

Seit 2007 wird in Dortmund an einem städtischen "Aktionsplan gegen Rechtsextremismus" gearbeitet. Nun ist er fertig und stand am Donnerstag (24.11.2011) auf der Tagesordnung des Stadtrats. Wie der Plan aussieht und warum er erst jetzt kommt, erklärt einer der Autoren.

Stefan Mühlhofer ist Historiker und leitet im Auftrag der Stadt die Dortmunder "Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie". Er hat von Anfang an am Aktionsplan mitgearbeitet.

WDR.de: Warum braucht die Stadt Dortmund einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus? Leben hier besonders viele Neonazis?

Stefan Mühlhofer: Es leben hier nicht mehr Neonazis als in anderen Städten, aber wir haben in Dortmund eine sehr aktive Szene, die bundesweit vernetzt ist. Sie organisiert Aufmärsche. Es gab, wie wir jetzt wissen, aber auch fünf rechtsextremistische Morde und zahlreiche Opfer, die terrorisiert wurden. Die rechtsextremistische Szene ist hier etwas anders gestrickt als anderswo: Wir haben die "Autonomen Nationalisten", das ist die Hauptgruppe, und die strahlt auf viele rechtsextremistische Gruppierungen in anderen Großstädten aus. Deshalb ist es auch so wichtig, dass in Dortmund etwas dagegen getan wird. Gerade diese Gruppe verfolgt ihre Gegner sehr hartnäckig und brutal: Sie werden verprügelt, es gibt Sachbeschädigungen, aber auch Mobbing, Telefonterror und ähnliche Sachen. Das verunsichert die Leute total, ist aber strafrechtlich nicht relevant.

WDR.de: Seit 2007 beschäftigt sich die Stadt Dortmund mit diesem Aktionsplan gegen Rechts. Warum hat das so lange gedauert?

Mühlhofer: 2007 ist der Aktionsplan vom Rat in Auftrag gegeben worden, 2008 wurde die "Koordinierungsstelle für Vielfalt, Toleranz und Demokratie" eingerichtet. Wir haben als erstes eine wissenschaftliche Studie beim "Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung" der Universität Bielefeld in Auftrag gegeben. Untersucht wurde die rechtsradikale und rechtsextremistische Szene in Dortmund, aber auch das Netzwerk der Akteure dagegen. Außerdem wurden zwei Stadtbezirke in Dortmund auf menschenfeindliche Denkstrukturen untersucht. Wir wissen jetzt, mit wem wir es zu tun haben und wo man ansetzen muss.

WDR.de: In dem 15-seitigen Aktionsplan stehen viele Wünsche, aber wenig Konkretes. Glauben Sie, dass sie mit diesem Aktionsplan die rechtsextremistische Szene in Dortmund in den Griff bekommen können?

Mühlhofer: Das liegt daran, dass der Rat der Stadt den zivilgesellschaftlichen Akteuren keine Befehle erteilen, sondern nur Wünsche äußern kann. Vieles von dem, was im Papier steht, passiert bereits. Einiges wird ganz bewusst nur angedeutet, weil wir die Rechtsradikalen in der Stadt nicht vorwarnen wollen und auf den Überraschungseffekt setzen. Wenn wir all das umsetzen können, was im Aktionsplan steht, dann werden wir die rechtsextremistische Szene extrem schwächen.

WDR.de: Welche Ziele verfolgt der Aktionsplan im Einzelnen?

Mühlhofer: Die Handlungsspielräume der Rechtsextremen sollen so weit wie möglich eingegrenzt werden. Den Opfern muss besser und professioneller als bisher geholfen werden. Die Zahl der Rechtsextremisten soll klein gehalten werden. Und schließlich wollen wir alles daran setzen, zu verhindern, dass sie neue Jugendliche für ihre Ziele gewinnen. Darüber hinaus erarbeiten wir zurzeit mit dem Aussteigerprogramm "Exit" ein Konzept, um Jugendlichen, die bereits in der Neonazi-Szene drin sind, dabei zu helfen, da wieder heraus zu kommen.

WDR.de: Wie sollen diese Ziele umgesetzt werden?

Mühlhofer: Einige Maßnahmen sind bereits gestartet: zum einen das Programm "Exit": Da erproben wir bereits einige Dinge, um rechtsextremistischen Jugendlichen klar zu machen, dass sie in einer Sackgasse stecken. Auf der anderen Seite ist jetzt vor wenigen Tagen mit "Back Up" eine Beratungsstelle für die Opfer rechtsextremer Gewalt eingerichtet worden, die für ganz Westfalen zuständig ist. Sie bietet kostenlos unter anderem psychologische und juristische Hilfe.

WDR.de: Welche Akteure waren am Aktionsplan beteiligt?

Mühlhofer: Beteiligt waren die Gewerkschaften, beide Kirchen, die Parteien und mehrere Jugendverbände. Kurz, alle, die nicht staatlich sind und sich schon immer gegen Rechtsextremismus engagiert haben.

WDR.de: Was hat die Stadt eigentlich in der Vergangenheit gegen Rechtsextremismus getan? Gab es bereits Hilfsangebote oder fängt sie jetzt bei Null an?

Mühlhofer: Die Stadt hat seit 2008 Gelder bereitgestellt für Projekte und Maßnahmen von Gruppen, Vereinen und Initiativen, um zivile Aktionen gegen Rechtsextremisten zu unterstützen.

WDR.de: Wer bezahlt denn all die Maßnahmen, die der Aktionsplan vorsieht?

Mühlhofer: Die neue Opferberatungsstelle wird dieses Jahr mit 150.000 Euro vom Land finanziert, die Stadt stellt für ein ganzes Bündel von Maßnahmen 200.000 Euro pro Jahr bereit. Damit wird zum Beispiel "Exit" bezahlt und als Drittes haben wir in diesem Jahr 60.000 Euro aus dem Bundesprogramm "Toleranz fördern – Kompetenz stärken" bekommen und im nächsten Jahr werden wir 80.000 Euro bekommen. Ich glaube, noch nie ist so viel Geld in die Arbeit gegen Rechtsextremismus gesteckt worden wie jetzt in Dortmund. Der Aktionsplan soll übrigens in den kommenden Jahren unter starker Beteiligung der Bevölkerung fortgeschrieben werden.

Das Interview führte Ilka Platzek.