Wie aus jungen Männern NS-Verbrecher wurden

Von Sabine Tenta

Auf der Burg Vogelsang im Nationalpark Eifel ist das neue Besucherzentrum mit zwei Dauer-Ausstellungen eröffnet worden. Eine widmet sich der NS-Vergangenheit des Ortes. In Vogelsang wurde der Elite-Nachwuchs der NSDAP ausgebildet.

Mitten im Nationalpark Eifel, in der ehemaligen NS-Ordensburg Vogelsang gibt es eine Dauer-Ausstellung zur Vergangenheit: "Bestimmung Herrenmensch: NS-Ordensburgen zwischen Faszination und Verbrechen“. Sie informiert über die Ausbildung des NSDAP-Verwaltungsnachwuchses in der Eifel und den Geist, der dort herrschte.

Die Besucher werden zu Beginn der Ausstellung von einigen lässig an die Mauer gelehnten "Herrenmenschen in Ausbildung" empfangen. Auf dem Boden steht ein Zitat aus dem letzten Flugblatt der studentischen Widerstandsgruppe "Weiße Rose": "Eine Führerauslese, wie sie teuflischer und bornierter zugleich nicht gedacht werden kann, zieht ihre künftigen Parteibonzen auf Ordensburgen zu gottlosen, schamlosen und gewissenlosen Ausbeutern und Mordbuben heran, zur blinden, stupiden Führergefolgschaft."

Was machte die Faszination der Ordensburg aus? Wie konnten aus jungen Männern "Ausbeuter und Mordbuben" werden? Welche Hoffnungen waren für die Einzelnen mit dieser Elite-Ausbildung verbunden? Wie wurden sie erzogen? Und welche Verbrechen wurden von ihnen begangen? All diesen Fragen widmet sich die Ausstellung, die über zwei Etagen führt.

Die Ausbildungsstätte war ein geschlossenes ideologisches System, das ganz auf den weltlichen Führer Adolf Hitler fixiert war. Religion wurde kategorisch abgelehnt und sogar alternative "braune Eheschließungen" auf der Burg Vogelsang für die Schüler angeboten. Aber wenn es um die Organisation und die Begrifflichkeiten ging, haben sich die Nazis gerne bei christlichen Vereinigungen bedient. So wurde das Schulungszentrum zur "Ordensburg" und die NS-Ideologie zur Ersatzreligion. Drei NSDAP-Ausbildungsstätten gab es: neben Vogelsang noch die Ordensburg Krössinsee bei Falkenburg im heutigen Polen und Sonthofen im Allgäu.

Die Teilnehmer, die zur neuen Elite der NSDAP-Verwaltung erzogen werden sollten, hießen "Adolf-Hitler-Schüler". Das war ihnen jedoch zu schlicht, weshalb sie sich selber "Junker" nannten. Mit Vorliebe knüpften sie an das Mittelalter an. So zeigt ein Holzschnitt aus dem Jahr 1939 einen NS-Junker mit Hakenkreuz-Banderole neben einem Ritter vor der Ausbildungsstätte in Vogelsang reiten.

2.200 Schüler wurden ab 1936 in Vogelsang ausgebildet. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 wurde der Lehrbetrieb eingestellt, die "Junker" wurden als Soldaten oder in der NSDAP-Verwaltung gebraucht. Auf einer Schautafel wird für einen Jahrgang exemplarisch gezeigt, wer wann in die NSDAP eingetreten ist. Voraussetzung für die Aufnahme in Vogelsang war anfangs ein Parteieintritt vor 1933, also vor der Machtübernahme durch die NSDAP. Mitläufer wollte man nicht, sondern nur früh überzeugte Nazis. Auf den herausziehbaren Infotafeln unter der Grafik kann man einzelne Lebensläufe von Lehrgangs-Teilnehmern lesen.

Herausragend war die Ordensburg in der Wertschätzung durch die NSDAP – und im topografischen Sinn. Denn die Ausbildungsstätte wurde auf einer Anhöhe über dem Rursee gebaut, umgeben von bewaldeten Hügeln. Ein Gelände-Modell gibt einen guten Überblick: Wählt man auf dem Monitor eine Gebäude-Einheit an, leuchtet sie in der Miniaturdarstellung auf und es werden passende historische Fotos gezeigt. Hier zum Beispiel vom Adlerhof, wo heute der Eingang zum neuen Besucherzentrum ist.

Der Flurname Vogelsang gehörte eigentlich zu einem weiter entfernten Landstrich. Doch die Nazis haben ihn auf die Anhöhe übertragen. Wäre man beim eigentlichen Namen des Ortes geblieben, dann hätte "Ordensburg Erpenscheid" wohl zu hinterwäldlerisch geklungen. Der Name Vogelsang stand auf den eigens für die "Junker" angefertigten Uniformen ...

... und auf dem Geschirr aus rostfreiem Edelstahl, das in der Burgschänke, dem Speisesaal mit 500 Sitzplätzen, aufgetischt wurde. Für die angehenden Herrenmenschen war reichlich Zivil-Personal auf Vogelsang aktiv. Darum war die NS-Stätte auch ein wichtiger Arbeitgeber in der Region.

Zur Ausbildung des Nachwuchses gehörte neben der Indoktrination durch Vorlesungen auch reichlich Sport. Er diente der Wehrertüchtigung und Disziplinierung. Für das Vogelsanger Gelände schuf der Kölner Bildhauer Willy Mellers ein riesiges Relief, das muskulöse Athleten bei unterschiedlichen Sportarten zeigt. Eine Miniatur-Nachbildung in der barrierefreien Ausstellung kann auch von Blinden ertastet werden.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Ausbildung waren Mutproben unterschiedlicher Art: Dazu gehörten der "Sprung ins Ungewisse" an einem Abhang oder das Balancieren über einen Abgrund.

Adolf Hitler war zwei mal in Vogelsang, im November 1936 und im April 1937. Über seinen ersten Besuch notiert die Zeitschrift des Eifelvereins, dass ihn bei seiner Ankunft am Bahnhof des nahegelegenen Gemünd "ein unbeschreiblicher Jubel des Eifelvolks" empfangen habe.

Vogelsang war für Touristen ein beliebtes Ausflugsziel. Busweise kamen sie in die Eifel und wurden von "Junkern" übers Gelände geführt. Auch weil die Architektur als vorbildlicher neuer Baustil der Nationalsozialisten propagiert wurde. Es gab sogar kitschige Ordensburg-Devotionalien, wie Baumscheiben mit Ordensburg-Foto und Hirschrelief. Dieses heimattümelnde Exponat hat das Kriegsende überlebt. Das Hakenkreuz in der Fahne wurde rausgekratzt – die Begeisterung für den Ort hat offensichtlich überdauert.

Neben der Eigen-Wahrnehmung der "Herrenmenschen" wird in der Ausstellung auch die Opfer-Perspektive gezeigt: In einem Film kommt die Jüdin Mascha Rolnikaite zu Wort. Sie überlebte das Ghetto in Vilnius und mehrere Konzentrationslager. Sie litt unter Franz Murer, einem in Vogelsang ausgebildeten Nazi. Er ist einer der Hauptverantwortlichen der Judenermordung in der litauischen Hauptstadt und wurde auch "Schlächter von Vilnius" genannt. Mascha Rolnikaite sagt über ihn: "Er brauchte Blut. Er musste Menschen morden."

Am Ende der Ausstellung gibt es Dokumente zu den in Nürnberg als Kriegsverbrecher verurteilten Ordensjunkern. Und zu den "Alten Kameraden", denn der Geist von Vogelsang hat in einem Bündnis namens "Alte-Burger-Kreis" überlebt. Man beschenkte sich gegenseitig mit "Ehrentellern", trug Anstecknadeln mit dem Bild der Ordensburg am Revers und schwelgte in gemeinsamen Erinnerungen. Bis in die 1990er Jahre gab es deratige Treffen der Unbelehrbaren.

Die Ausstellung gibt anschauliche Einblicke, wie die Nazis dachten und fühlten und was ihr Handeln bei den Opfern auslöste. Sie bietet viel Text, Töne und Filme. Wer sich auf den Rundgang über zwei Etagen durch elf Stationen macht, sollte Zeit einplanen. Für die Vertiefung empfiehlt sich der Katalog zur Ausstellung. Angeraten wird der Rundgang ab 12 Jahre. Für Jüngere ist hingegen die unmittelbar nebenan gelegene Schau zur Wildnis in der Eifel bestens geeignet. Beide Ausstellungen sind ab dem 12.09.2016 täglich von 10 bis 17 Uhr geöffnet.

Stand: 11.09.2016, 06:00 Uhr